Meinung

Boris Palmer gibt auf – Die Grünen verlieren einen weiteren Politiker mit Bezug zur Realität

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist bei den Grünen ausgetreten. Er will sich eine Auszeit nehmen. Er ist das nächste Opfer eines vollständig vergifteten Klimas in Deutschland, in dem Wunschdenken und Haltung jeden Hinweis auf Realität verbieten.
Boris Palmer gibt auf – Die Grünen verlieren einen weiteren Politiker mit Bezug zur RealitätQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Ulmer

Von Gert Ewen Ungar

Der Streit zwischen den Grünen einerseits und Boris Palmer andererseits zieht sich schon über Jahre. Keinen Streit über Palmer gibt es dagegen in der Stadt Tübingen. Palmer ist dort Oberbürgermeister und erfreut sich großer Beliebtheit. Bei seiner ehemaligen Partei Bündnis 90/Die Grünen dagegen nicht. 

Palmer regiert seit 2007 die schwäbische Universitätsstadt. Er wurde zweimal wiedergewählt. Bei seiner jüngsten Wiederwahl im vergangenen Jahr errang er die absolute Mehrheit als parteiloser Kandidat und damit ohne die Unterstützung seiner Partei. Bereits im Jahr 2021 haben die Grünen Palmers Parteiausschluss beantragt. Palmer hat daraufhin seine Mitgliedschaft ruhen lassen. Er wollte nicht mehr kandidieren, trat aber auf Bitten einer Wählerinitiative als unabhängiger Kandidat zur OB-Wahl an. 

Palmer ist Kommunalpolitiker. Er kennt die Probleme vor Ort. Auf Grundlage dieser Kenntnis äußerte sich Palmer regelmäßig kritisch zur Migrationspolitik. Palmer stand auch kritisch zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Politik und damit quer zur Parteilinie der Grünen. Er äußerte in diesem Zusammenhang öffentlich:

"Ich sag's Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären."

Er erntete dafür vor allem aus den eigenen Reihen umfassende und unsachliche Kritik. In der Pandemie wollten viele Linksliberale, allen voran die Grünen, alle retten – um jeden Preis und gegen jede Vernunft. Die Verfehlungen und Verirrungen sind bis heute unaufgearbeitet und werden es mangels Interesse wohl auch bleiben.  

Auch hinsichtlich der Migrationspolitik vertritt Palmer einen Ansatz, der zu seiner Isolation bei den Grünen, aber offensichtlich nicht in der Stadt Tübingen geführt hat. 

Palmer besteht darauf, dass Deutschland keinen Platz für alle habe, die kommen wollen. Er verweist immer wieder auf kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und den Herkunftsländern, die eine Integration zumindest erschweren und die vor allem dann zum Problem wird, wenn nicht Einzelne, sondern Millionen zuwandern.

Bei seiner Partei und im linksliberalen Milieu beißt er mit dieser Position natürlich auf Granit. Dort gilt "Refugees welcome", denn "Wir haben Platz". Darüber gibt es keine Diskussion. Das bekam auch Palmer zu spüren. Er wurde und wird offen diskriminiert, ohne dass es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung kommen würde. Er teilt damit das Schicksal von Sahra Wagenknecht, die zu denselben Themen in ähnlicher Weise angefeindet wird – auch wenn es ansonsten wenig politische Überschneidungen zwischen den beiden gibt. Palmer war immer auf ein Bündnis mit der CDU orientiert. 

Auch der "Appell für freie Debattenräume", zu dessen Erstunterzeichnern Palmer gehört, hat die Situation für ihn und vor allem die Situation in Deutschland nicht verbessert. Die Diskussionskultur liegt in Deutschland am Boden. Man tut sich schwer mit anderen Meinungen, hört nicht zu und nimmt auch Fakten nicht zur Kenntnis. Man bezeugt Haltung, wähnt sich moralisch überlegen und sucht den Schulterschluss zu Gleichgesinnten. Palmer gehörte schon längst nicht mehr dazu. 

Palmer ist ein weiteres Opfer fehlender Debattenkultur in Deutschland. Er ist nicht der Erste und er wird bei Weitem nicht der Letzte sein, der auf diese Weise behandelt wird. Insbesondere seine Partei steht dafür, dass Haltung und Moral die inhaltliche Debatte vollständig ersetzt haben. Sie steht auch dafür, dass Repression ein geeignetes und legitimes Mittel ist, anderen Meinungen zu begegnen.

Man muss Palmer in seinen Ausführungen zur Migrationspolitik nicht zustimmen, dass er dafür aber ausschließlich angegriffen, ihm die Diskussion schon in der eigenen Partei verweigert wurde, deutet auf eine grundlegende Fehlentwicklung in Deutschland.

Palmer sucht die Schuld auch bei sich, meint, ihm fehle die Impulskontrolle. Er will professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Es mag sein, dass er unter Druck überreagiert. Es spricht aber nicht gegen Palmer, sondern gegen Deutschland, wenn Redner, die nicht vollständig das linksliberale Vokabular durchdeklinieren, vor ihren Auftritten beschimpft werden und man versucht, deren öffentliche Auftritte ganz zu verhindern.

Im Vorfeld einer Veranstaltung in Frankfurt zur Migrationspolitik fühlte er sich bedrängt und drangsaliert. Man nannte ihn Rassist und Nazi. Er griff für sich zum Vergleich mit der Stigmatisierung der Juden im Dritten Reich. Man mag Palmers Judenstern-Vergleich mehr als verunglückt finden, in die richtige Richtung weist er dennoch. Die Entwicklung in Deutschland geht in eine gefährlich falsche, gefährlich repressive Richtung. Man mag sagen, Palmer habe mit seinem Vergleich den Holocaust und den Faschismus relativiert. Warum das aber nur für Palmer gelten soll und nicht auch für jene, die Palmer einen Nazi nannten, bleibt das Geheimnis derjenigen, die das Argument vorbringen. 

Dass etwas in Deutschland nicht stimmt, zeigen auch die Berichte über den Fall Palmer. Palmer habe das "N-Wort" gesagt, ist überall zu lesen. Das N-Wort! Palmer hat "Neger" gesagt. Dass sich deutsche Medien noch nicht einmal trauen, das Wort als Zitat in Anführungszeichen zu verwenden, bezeugt den unglaublichen Tugendterror, der in Deutschland herrscht. 

Palmer ist daran gescheitert, dass die Zahl der Tabuthemen immer weiter zunimmt, die Debatten eingeengt werden und die inhaltliche Diskussion zu gesellschaftlich relevanten Themen durch ein Aufsagen der politisch korrekten Haltung ersetzt wurde. Politik in Deutschland verliert ihren Zugang zur Aufklärung, die Freiheit wird immer weiter beschränkt. 

Wer die Notwendigkeit von Zuwanderung infrage stellt, wer auf Probleme bei der Integration verweist, wer darauf verweist, dass es in Deutschland an den Grundlagen für die Aufnahme von Zuwanderern und Flüchtlingen fehlt, weil es keine ausreichende Zahl von Wohnungen, einen Mangel an Lehrern, Sozialarbeitern und Fachkräften gibt, die es braucht, um Integration und Zuwanderung überhaupt glücken zu lassen, wird – wie Palmer – in die rechte Ecke gestellt und diffamiert. Realitätssinn und Denken in Zusammenhängen sind in Deutschland aktuell unerwünscht.

Keine Partei steht für die völlige Verweigerung der Kenntnisnahme von Realität so sehr und so emblematisch wie die Grünen. Aber durch die Verweigerung der Kenntnisnahme von Realität ändert sie sich nicht. Das ist der große Irrtum, dem die Partei und ihre Tugendterroristen aufsitzen.  

Palmer ist bei den Grünen ausgetreten. Auf großen Druck hin. Man hat ihm über Jahre gezeigt, dass er unerwünscht ist. Palmer war enormer psychischer Belastung ausgesetzt, dem Hass derjenigen, die keine andere Meinung als die ihre dulden. Durch seinen Weggang verlieren die Grünen erneut jemanden mit Bezug zur Realität. Das wird den Grünen deutlich mehr schaden als Palmer, denn der ganze Vorgang zeigt, wie repressiv, reaktionär und vom Geist der Gegenaufklärung die grüne Partei inzwischen beseelt ist. 

Der Fall Palmer in seiner ganzen Tragik verdeutlicht, woran es vor allem der Mitte der deutschen Gesellschaft aktuell mangelt: an einem grundlegenden Verständnis demokratischer Prinzipien, an Toleranz und Offenheit gegenüber anderen Meinungen und Andersdenkenden. Es ist vor allem das linksliberale Milieu, das in seiner ganzen Breite ganz weit nach rechts gedriftet ist. 

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