Meinung

Missliebige Erinnerungskultur: Der Kampf gegen sowjetische Mahnmale in der Europäischen Union

Der am vergangenen Dienstag in Russland begangene "Tag des Sieges" im sogenannten Großen Vaterländischen Krieg gilt sowohl für die Russen als auch für Millionen anderer ehemaliger Sowjetbürger und deren Nachkommen zweifelsohne als einer der heute wichtigsten Feiertage.
Missliebige Erinnerungskultur: Der Kampf gegen sowjetische Mahnmale in der Europäischen UnionQuelle: Sputnik

Von Alexander Männer

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 wurde die Urkunde der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor der Roten Armee unterzeichnet. Damit wurde dem von Hitlerdeutschland ausgegangenen "Weltanschauungs- und Vernichtungskrieg" gegen die UdSSR – und dem Zweiten Weltkrieg zumindest in Europa – ein Ende gesetzt. Diesem Krieg waren am Ende 27 Millionen sowjetische Staatsbürger unterschiedlicher Nationalitäten zum Opfer gefallen.

Heute symbolisiert dieses Datum nicht nur den Sieg über den deutschen "Nationalsozialismus", sondern auch den Freiheitskampf der Völker der Welt gegen eine menschenverachtende Tyrannei. In diesem Sinne finden in Russland und auch in anderen Ländern jedes Jahr am 9. Mai Feierlichkeiten statt, um die Erinnerung und das Andenken an Millionen Rotarmisten und Partisanen sowie deren Verbündete zu bewahren.

Demontage von sowjetischen Denkmälern

Dies war zu Zeiten des vom Westen sogenannten Ostblocks auch in den meisten osteuropäischen Ländern selbstverständlich. Inzwischen aber haben einige von ihnen und diverse ehemalige Sowjetrepubliken ihre vom erduldeten Leid geprägte Haltung zum "Großen Vaterländischen Krieg" und so auch die damit verbundene Gedenk- und Erinnerungskultur von Grund auf gewendet. In einigen dieser Staaten, die mittlerweile auch Mitglieder der Europäischen Union (EU) sind, wird regelmäßig vonseiten zahlreicher an die Macht gelangter Politiker und Aktivisten versucht, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu relativieren, umzudeuten oder gar umzuschreiben. Darüber hinaus halten sie sich nicht damit zurück, den heroischen Kampf der Sowjetvölker zu verleumden und zu verunglimpfen.

Große Abhilfe gegen das ehrende Gedenken an die Opfer schafft dabei die 2019 durch das Europäische Parlament verabschiedete Resolution zur "Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas", die insbesondere von Abgeordneten osteuropäischer EU-Mitglieder forciert wurde und im Grunde von der Gleichsetzung der faschistischen Ideologie mit dem sogenannten "kommunistischen Totalitarismus" durchtränkt ist. Darin wird etwa der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt von 1939 zum Auslöser des Krieges umgedeutet und damit der Sowjetunion und Hitlers "Drittem Reich" gleichermaßen Schuld am Zweiten Weltkrieg zugeschoben.

Indem sich also die Politiker daran machten, historische Geschehnisse neu zu interpretieren und einzuordnen, um angeblich eine gemeinsame Gedenkkultur in der EU zu etablieren, öffneten sie diversen EU-Ländern Tür und Tor, um gegen die lange Zeit für unwiderruflich gehaltene Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs legal und mit einer Art "moralischer Lizenzierung" vorzugehen. Daraus ergaben sich vor allem vielfältige Möglichkeiten für den "Kampf" gegen die unzähligen sowjetischen Kriegsdenkmäler, die es in vielen Ländern Europas gibt.

So wurden zum Beispiel in den heutigen EU-Ländern Litauen, Lettland und Estland im Baltikum bereits hunderte Ehrenmale aus der Sowjetzeit demontiert oder gänzlich zerstört. Hunderte weitere sollen noch folgen. Laut der Deutschen Welle sind allein in Estland mehr als 300 solcher Monumente für die Demontage vorgesehen.

Auch in Polen läuft der Kampf auf Hochtouren – gegen die Erinnerung an die Soldaten der Roten Armee, von denen allein 600.000 ihr Leben nur für die Befreiung der Polen gaben. Während in diesem Land um die Jahrtausendwende noch etwa 500 Kriegsdenkmäler gezählt wurden, soll es dort nach Angaben des polnischen "Instituts für Nationales Gedenken" derzeit nur noch etwa 35 solcher Denkmäler geben. Die Demontagen werden in Polen heute damit begründet, dass diese Monumente den Kommunismus verherrlicht hätten, und das sei nach heutigem polnischem Recht gesetzeswidrig.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es in Tschechien, wo ebenfalls schon zahlreiche Denkmäler mit Bezug auf die sowjetischen Befreier entfernt wurden. Bei der vor drei Jahren in Prag stattgefundenen Demontage des Ehrenmals für den sowjetischen Marschall Iwan Konew, dessen Truppen 1945 unter anderem das Konzentrationslager Auschwitz und die gesamte Tschechoslowakei befreiten, kam es sogar zu einem innenpolitischen Skandal. Neben den Kritikern in Russland hatte selbst der damalige tschechische Präsident Miloš Zeman den Abriss der Konew-Statue scharf verurteilt. Er hatte erklärt: "Das ist unsere Schande, weil ungeachtet dessen, was für ein Mensch Konew gewesen sein mag, das Denkmal ein Symbol für diejenigen sowjetischen Soldaten war, die bei der Befreiung Prags starben ..."

Das Vorgehen der tschechischen Behörden sowie auch das in anderen bereits genannten EU-Staaten verdeutlicht, dass die internationalen Verpflichtungen in Bezug auf Denkmalschutz vor allem in den osteuropäischen Ländern seit Jahren offen missachtet werden.

Umgang mit Mahnmalen und Kriegsgräbern in Deutschland

Wie steht es aber um Deutschland, wenn es um diese Gedenk- und Erinnerungskultur und  den Umgang mit sowjetischen Ehrenmalen geht?

Grundsätzlich ist zu betonen, dass in Deutschland am 8. Mai vielerorts an die "Befreiung von dem Hitler-Regime" erinnert wird und dass wohl eine große Mehrheit der Bundesbürger diesem Thema mit Respekt begegnet, wenn auch regional sehr unterschiedlich. Während diese Deutung des Tages in den sogenannten alten Bundesländern der BRD weniger Anklang findet, gibt es in der ehemaligen DDR noch spürbar mehr neue Bundesbürger, die diese Sicht auf das Datum in einer besonderen Weise würdigen. Insbesondere die Vertreter der älteren Generationen und jene Bürger, die mit Russland sympathisieren, nehmen an Kranz- und Blumenniederlegungen oder an Demonstrationen teil, die meist von linksgerichteten Parteien und Organisationen veranstaltet werden.

Nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine 2022 ist der Umgang mit dieser Erinnerung in Deutschland jedoch komplizierter geworden. So ist mittlerweile auch eine Debatte um sowjetische Ehrenmale und Kriegsgräber entbrannt, bei denen wiederholt sogar Abrissforderungen erhoben wurden. Zum Beispiel hatte die CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr gefordert, als Reaktion auf die russischen Militärintervention zwei Panzer abzubauen, die das sowjetische Ehrenmal flankieren, das westlich des Brandenburger Tors und unweit des legendären Reichstagsgebäudes gelegen ist. Noch blieb dieser Vorstoß ohne Erfolg, denn der Berliner Senat lehnte das im vergangenen Jahr korrekterweise ab.

Denn auch Deutschland ist gemäß internationalen Vereinbarungen dazu verpflichtet, sowjetische Gedenkstätten und Kriegsgräber zu ehren und zu pflegen. Zudem fallen etwa die Ehrenmäler in den Berliner Stadtteilen Treptow, Tiergarten und Pankow, die gleichzeitig auch Grabstätten sind, unter das Gräbergesetz der Bundesrepublik, das die Pflege und Instandhaltung regelt.

Ungeachtet dessen wollen manche Bürger – angeblich wegen des eskalierten Krieges in der Ukraine – die "Russen-Denkmäler" weghaben, wie sie oft abfällig genannt werden. Es kam zudem bereits mehrfach zu Farbschmierereien an solchen Monumenten und auch zu anderen Akten von Vandalismus. Zum Beispiel wurden die Säulen des Eingangstores zum besonders bekannten Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow mit Beleidigungen und antirussischen Parolen beschmiert. Auch wenn Zustände wie in Polen oder Tschechien in Deutschland wohl eher nicht zu befürchten sind, könnten die Kriegsdenkmäler sowie andere sowjetische Gedenkstätten auch in Zukunft noch häufiger zu Angriffszielen werden.

Hingegen ist der Abriss, wie von diversen politischen Kräften in Deutschland gefordert, zumindest in der heutigen Situation noch eher unwahrscheinlich, und zwar auch deshalb, weil dies in großen Teilen der deutschen Gesellschaft klar auf Ablehnung und Unverständnis stoßen würde. Es bleibt zu hoffen, dass sich eine Mehrzahl der Bundesbürger der Tatsache bewusst bleibt, dass ein Abriss von sowjetischen Mahnmalen nicht nur als widerwärtig abzulehnen ist, sondern auch nicht mit den moralischen Verpflichtungen vereinbar wäre, die Deutschland zuerst bei der Versöhnung mit der Sowjetunion und später bei der Wiedervereinigung auf sich genommen hatte.

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