Seymour Hershs jüngste Publikation treibt Keil zwischen Kiews Verbündete
Von Kirill Benediktow
Seymour Hersh, der bekannte Enthüllungsjournalist, der die Regierung Biden beschuldigt, Nord Stream sabotiert zu haben, hat eine weitere Informationsbombe gezündet. Er behauptet, dass mehrere osteuropäische Länder – Polen, Ungarn, Estland, die Tschechische Republik, die Slowakei und Lettland – eine Art inoffizielle Koalition gebildet haben, um Druck auf den außer Kontrolle geratenen ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij auszuüben:
"Alle diese Länder sind Verbündete der Ukraine und erklärte Feinde von Wladimir Putin. Angeführt wird diese Gruppe von Polen, dessen Führung die russische Armee nicht mehr fürchtet, weil ihr Vorgehen in der Ukraine den glühenden Ruhm ihres Erfolgs bei Stalingrad im Zweiten Weltkrieg zunichte gemacht hat."
Lassen wir diesen tatsachenwidrigen Vergleich auf dem Gewissen von Hersh lasten – geschenkt. Das Ganze ist schließlich nicht für den russischen Leser geschrieben. Interessanter ist an dieser Passage etwas anderes: Hersh schreibt, die Gruppe habe "Selenskij insgeheim gedrängt, einen Weg zur Beendigung des Krieges zu suchen, notfalls sogar zurückzutreten und so den Wiederaufbau seines Staates beginnen zu lassen." Dem Journalisten zufolge werde Selenskij jedoch nicht von der Position abrücken, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen.
Dank durchgesickerter US-Geheimdienstdokumente wurde bekannt, dass Selenskij aktiv "hinter dem Rücken des Weißen Hauses" auf "eine erweiterte Serie von Raketenangriffen auf russisches Territorium" drängte. Dies, obwohl er Biden offiziell versprochen hatte, dafür keine von den USA gelieferten Waffen zu verwenden. Doch seine aggressive Hartnäckigkeit irritiert auch die Osteuropäer. Laut "abgefangener Kommunikation und anderen der CIA bekannten Daten" beginne Selenskij, "die Unterstützung seiner Nachbarn im Privaten zu verlieren".
Es wird allgemein angenommen, dass Polen und die baltischen Staaten an der Spitze der Unterstützung für die Ukraine stehen. Hat sich Hersh nun geirrt, als er diese Länder und Ungarn, das Russland gegenüber ohnehin recht freundlich gesonnen ist, in dieselbe Gruppe einordnete? Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass ein solches stilles Bündnis existiert?
Zunächst einmal sollte man sich vor Augen halten, dass Hersh ein Aufdeckungsjournalist auf höchstem Niveau ist. Wenn er etwas veröffentlicht, dann erst nach einer mehrstufigen Überprüfung aller Fakten. In diesem Fall verwendet Hersh eindeutig Daten, die ihm von Mitarbeitern der US-Geheimdienste zugespielt wurden. Er selbst erwähnt die CIA, aber es ist durchaus möglich, dass auch die NSA das Ihre beigesteuert hat.
Im Gegensatz zu seiner journalistischen Untersuchung der Nord-Stream-Sabotage enthält der jüngste veröffentlichte Text keine Verweise auf konkrete Dokumente. Daraus kann man schließen, dass der Text nicht aufdecken, sondern eine Botschaft senden soll.
Es ist bekannt, dass Kiews Politik weitgehend von zwei externen Regelkreisen bestimmt wird: Seitens der USA das Establishment der Demokratischen Partei, angeführt von der Regierung Biden, den Neocons und einem Teil der Spitze der Republikanischen Partei, die mit dem militärisch-industriellen Komplex verbunden ist. Seitens Europas sind es vor allem die britischen Eliten.
Mit dem Hinweis auf die Existenz eines geheimen Clubs von Ländern, die versuchen, Selenskij in Schach zu halten, treibt Hersh einen Keil zwischen die Kontrollzentren USA und Großbritannien und ihre osteuropäischen Verbündeten.
Wer aber ist der Autor dieser Botschaft?
Hershs außergewöhnlichen Kenntnisse zu Interna der US-Geheimdienste lassen vermuten, dass er eng mit denjenigen Personen in den US-Geheimdiensten verbunden ist, die von der Biden-Regierung insgesamt und von der anhaltenden Unterstützung für das Kiewer Regime insbesondere nicht begeistert sind. Nennen wir sie politische Realisten.
Wie auch immer die Sympathien dieser Realisten aussehen mögen (und die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit Russland sympathisieren, ist minimal): Sie sind eindeutig verängstigt über die Sackgasse, in die Washington sich mit der Politik der Demokraten manövriert hat. Wenn Biden bis zum 1. Juni keine Einigung mit den Republikanern erzielt, droht den USA die Zahlungsunfähigkeit. Diese würde nicht nur die US-Wirtschaft hart treffen, sondern auch die globale Vorherrschaft des US-Dollars untergraben. Und sie wäre weitgehend ein Ergebnis dieser Politik. Eine weitere Finanzierung des Selenskij-Regimes wird unter diesen Umständen äußerst riskant. Vielleicht ist Hershs jüngster Text ein Versuch, eine Katastrophe abzuwenden – durch das Säen von gegenseitigem Misstrauen unter Kiews Verbündeten.
Übersetzt aus dem Russischen.
Kirill Benediktow ist russischer Politologe, Historiker und Schriftsteller. Autor politischer Biographien von Marine Le Pen und Donald Trump sowie im Bereich der Belletristik im Genre Science Fiction mit mehreren Auszeichnungen.
Mehr zum Thema – Selenskijs Forderungen und die Reaktionen des Westens: Wie der Ukraine-Krieg die Eliten spaltet
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