Ukraine: Spione, Mörder und falsche Moral
Von Dagmar Henn
Der Vizechef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Wadim Skibitskij, kündigte also offen in einem Interview an, dass sein Dienst und sein Land weitere Morde begehen werde, nachdem sein Vorgesetzter Kirill Budanow bereits die Verantwortung für die Morde an russischen Journalisten übernommen hatte. Skibitskij hält ein solches Vorgehen für vereinbar mit internationalen Konventionen.
Das ist schon allein deshalb eine kühne Behauptung, weil sämtliche Regeln des Kriegsrechts voraussetzen, dass Kombattanten als solche erkennbar sein müssen, weil sie ansonsten als Spione eben nicht unter dem Schutz der Genfer Konventionen stehen. Es gibt zwar Staaten, die für solche Handlungen berüchtigt sind – die CIA hat unzählige Mordanschläge gegen Fidel Castro unternommen, aber bei der weit überwiegenden Mehrzahl der Länder stößt solches Handeln auf Abscheu.
Die Argumentation Skibitskijs ist ausgesprochen simpel: Einen Feind zu töten, würde das Leben vieler Zivilisten retten. Offensichtlich hat er nicht einmal den Film "Auch Henker sterben" über den Anschlag auf Heydrich gesehen, der die Hinrichtung des Naziverbrechers Heydrich zwar vorbehaltlos begrüßt, aber nicht verschweigt, dass Dutzende unbeteiligter Zivilisten "zur Vergeltung" ermordet wurden.
Selbst in jenen Fällen, in denen moralisch kaum Zweifel an der Legitimität eines derartigen Handelns möglich wären – hätte beispielsweise die DDR beschlossen, die Naziverbrecher, die dort in Abwesenheit abgeurteilt wurden, aber vielfach in führenden Stellungen in der BRD saßen, zu verfolgen – gibt es keine Antwort auf die Frage, wie dann Beziehungen zwischen diesen beiden Staaten möglich wären, oder gar, würde es zur Gewohnheit aller Staaten, wie dann noch ein verlässliches Miteinander möglich sei.
Ganz zu schweigen davon, dass die Opferrolle, aus der heraus die beiden Geheimdienstler ihre rechtswidrigen Aktionen für legitimiert halten, nur bei jenen funktioniert, die nicht wissen oder nicht wissen wollen, welche Rechtsbrüche und Verbrechen die Kiewer Führungen seit dem Jahr 2014 angehäuft haben. Die ebenso übergehen, dass Russland, auf vielfältige Weise, von den Opfern dieses Regimes um Hilfe gebeten wurde, zuletzt in Gestalt des Beistandsabkommens mit den Donezker und Lugansker Volksrepubliken. Das Mindeste, was man akzeptieren sollte, ist, dass sich in der anderen Richtung ebenso leicht eine moralische Rechtfertigung aufbauen ließe, die Kiewer Führung zu beseitigen.
Staatliche Akteure, die außerhalb von Recht und Gesetz agieren, gefährden damit zudem immer auch das rechtliche System im Inneren. Wenn Behörde A es für angebracht hält, im Ausland Morde zu begehen, wer hält Behörde B davon ab, das Gleiche im Inland zu tun? Wenn selbst für das Extrem staatlichen Handelns – den Mord an einem Individuum – die Anforderung eines rechtlichen Verfahrens gefallen ist, wie soll diese dann für alle Handlungen darunter aufrechterhalten werden?
Wie gesagt, selbst unter den moralisch klarsten Umständen bleibt dies eine schwierige Frage. Der Anschlag des 20. Juli auf Hitler war zweifelsohne gerechtfertigt, aber wie wäre das Urteil des heutigen Publikums, wenn er nur zum Teil erfolgreich gewesen wäre? Wenn die Verschwörer zwar ihr Ziel, Hitler zu töten, erreicht, aber ihre Handlungsoptionen in Berlin überschätzt hätten, sodass an die Stelle Hitlers Himmler mit dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) getreten wäre? Eine Entwicklung, die vermutlich zu noch weit brutalerer Diktatur geführt hätte …
Sprich, selbst wenn Rechtfertigung und Möglichkeit gegeben sind, wäre es das Minimum, sorgfältig abzuwägen. Die Position, aus der heraus Skibitskij argumentiert, ist keine moralische, auch wenn sie sich als solche gibt: Er besitzt nicht die Legitimität eines Opfers, das sich nicht anders zu wehren vermag.
Was bleibt dann? Die Variante der Vereinigten Staaten, die sich selbst das Recht zuschreiben, weltweit Morde zu begehen, weil sie die USA sind und sie über dem Gesetz stehen. Diese Hybris ist das Produkt der 1990er Jahre, als sie sich als alleinige Supermacht wiederfanden, ist aber längst ohne jedes Fundament. Gerade die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass Handlungen, die aus dieser Position der Überheblichkeit begangen werden, durchaus Konsequenzen haben, die auch den Vereinigten Staaten Schmerz zufügen. Das zeigte sich am Abzug fremden Kapitals nach den Finanzsanktionen gegen Russland – die Zeit der Straflosigkeit geht zu Ende.
Die Ukraine allerdings beansprucht für sich alles, was die USA für sich verlangen, als treuer Handlanger, als verlängerter Arm Washingtons, mit der gleichen grundsätzlichen Missachtung menschlicher Leben. Mit dem gleichen Wahn, alles tun zu dürfen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen – ohne zu begreifen, dass, gleich mit welcher Begeisterung sie sich zum Vollstrecker fremder Wünsche machen, diese Beziehung nur auf eine Art enden kann: Damit, dass sie von einem Tag auf den anderen fallen gelassen werden und dann für die Kiewer Marionetten samt Entourage der Untergang als einzige Perspektive verbleibt, da ihr Herr und Meister ihnen noch weitere Untaten zuschreiben wird, um die eigenen Hände in Unschuld waschen zu können.
Der restliche Westen vollzieht weiter regelmäßig den Kotau vor der Ukraine, entkleidet sich langsam seiner verbliebenen moralischen Maßstäbe und fürchtet insgeheim den Tag, an dem ihm das Gesicht eines Selenskij oder Skibitskij aus dem Spiegel entgegen grinst. Die schweigende Akzeptanz von Skibitskijs Mordplänen hat diesen Moment wieder ein Stück näher gebracht.
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