Meinung

Lauterbach warnt – Das Dilemma eines Geltungsbedürftigen

Karl Lauterbach hat es wieder getan, sogar aus dem Urlaub heraus: Er hat gewarnt, denn die Lage ist, wie könnte sie auch anders ein, bedrohlich. Sein Ziel: Er möchte uns schützen. Das Problem nur: Immer weniger Menschen hören ihm zu, seit Corona vorbei ist – ein Dilemma für jemanden, der wie er nach Aufmerksamkeit sucht.
Lauterbach warnt – Das Dilemma eines GeltungsbedürftigenQuelle: www.globallookpress.com © Roberto Pfeil / dpa

Von Falko Looff

Er kann es nicht lassen. Es ist etwas Krankhaftes an diesem Mann, etwas Beängstigendes geradezu. Und er sucht die Aufmerksamkeit, kann offenbar nicht ohne sie. Ob dies einfach nur an einer übersteigerten Selbsteinschätzung liegt oder dem Schrei des inneren Kindes nach Aufmerksamkeit entspringt oder gar an einer Kombination aus beidem, lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen. Man kennt seine persönliche Geschichte schließlich nicht, weiß nicht, was ihm womöglich vor langer Zeit schon widerfahren ist und zu dem geformt hat, der er heute ist. Die, die es gut mit ihm meinen, wünschen ihm wahrscheinlich einfach einen kompetenten Therapeuten, der viel Zeit, Verständnis und Mitgefühl für die vielleicht geplagte Seele aufbringt. Alle anderen denken wahrscheinlich eher: "Halt einfach mal die Klappe!"

Der Mann, von dem die Rede ist, heißt Karl Lauterbach und ist momentan Gesundheitsminister der Ampelkoalition in Deutschland. Er hat es also geschafft, könnte man meinen. Und dabei sah es gar nicht immer danach aus. Vor etwa zwanzig Jahren – in der Politik ist das mehr als eine Ewigkeit – hatte er begonnen, mit dem Vorschlag einer Bürgerversicherung politisch Fuß fassen zu wollen. Das klappte nicht, seine Zeit war noch nicht gekommen, andere zogen an ihm vorbei und durften diesen kurzen vergänglichen Hauch von Ruhm und Aufmerksamkeit einatmen, nach dem es diesem armen Mann offenbar so sehr dürstet. "Bitte beachtet mich. Ich möchte etwas Wichtiges sagen, denn ich weiß sehr viel und kenne viele andere, die auch viel wissen" – das klingt immer irgendwie mit, wenn Lauterbach spricht.

Die Bürgerversicherung kam übrigens nie, und auch jetzt, wo Lauterbach Minister ist, ist davon keine Rede mehr. Angeblich wegen der FDP, nun ja. Für jene, die selbst nach der Corona-Erfahrung noch der Idee anhängen, dass sich politische Prozesse frei und ungesteuert entfalten, mag dies einen Sinn ergeben. Tatsächlich dürfte aber vielmehr zutreffen: Für Lauterbach war eine andere Rolle vorgesehen, nämlich die des Einpeitschers, des Demagogen, des System-Büttels, kurz: des Sprachrohrs der vermeintlich Mächtigen für eine entmündigende Politik, für die man aber ein gewisses Maß an Zustimmung benötigte. Und man bekam sie. Wo kann ich mich testen lassen? Bitte endlich die Impfung, schnell, schnell! Bist du ungeimpft? Dann kannst du nicht zum Weihnachtsessen kommen, wir müssen uns schützen.

Schon vergessen? So war es doch gewesen. Und Lauterbach war ganz vorne mit dabei. Er brillierte geradezu in dieser Rolle. Dauer-Talkshowgast Lauterbach erklärte den furchtsamen Deutschen mindestens wöchentlich, was gut für sie ist, und wusste auch immer die richtigen Ratschläge zu geben, zum Beispiel, dass ein Herr Kimmich sich jetzt impfen lassen müsse. Ja, ja, so war das damals, und es schien dem Karl zu gefallen. Die Bühne war für ihn bereitet, und er durfte eine wissenschaftlich haltlose Äußerung nach der anderen in die Wohnzimmer der Menschen posaunen, was natürlich in einem Land mit einem funktionierendem Journalismus schlicht undenkbar gewesen wäre.

Wie gerne hätte Lauterbach, nachdem er schließlich zum Minister avanciert war, noch die Impfpflicht für alle – besonders für die, die diesen medizinischen Eingriff in ihren Körper nicht wollten – umgesetzt, doch dazu kam es nicht. Zu groß war dann doch der Druck der Straße und wohl auch jener hinter den Kulissen durch Kräfte, von denen man wohl erst in einigen Jahren hören wird. Und für Lauterbach? Vorbei. Keine regelmäßigen Einladungen zur besten Sendezeit mehr. Keine Ehrenbezeugungen mehr durch willfährige Journalisten-Lakaien – ganz im Gegenteil, selbst die Mainstream-Journalie kommt ihm bisweilen schon auf die Schliche.

Bleibt noch das Ministeramt als Trost. Aber eine Krankenhausreform eignet sich einfach nicht so gut für medialen Ruhm, und auch sonst gehört Lauterbach – nach allem, was aus Fachkreisen so zu vernehmen ist – wohl nicht unbedingt zu den besten Gesundheitsministern aller Zeiten. Eine Weile schien es beinahe so, als würden die Strippenzieher den nach Aufmerksamkeit dürstenden Karl gerne fallenlassen, um Schaden von sich selbst abzuwenden. Doch dann kam es zu unvorhergesehenen geopolitischen Ereignissen im Osten des Kontinents, und der Fokus verschob sich.

Für Lauterbach ist das aber auch ein Dilemma. Es bestünde jetzt, nachdem sich die Corona-Hysterie etwas gelegt hat, natürlich die Möglichkeit, in sich zu gehen, die eigene Rolle zu prüfen, vielleicht gar selbstkritisch zu sein. Doch das ist wohl eher nicht Lauterbachs Sache. Und überhaupt, was müsste er sich dann womöglich eingestehen? Nein, die Lösung ist eine andere, der Mann sucht sich eben was Neues. Doch was? Die Virusgeschichte zieht nicht mehr so, und in der geopolitischen Angelegenheit werden jetzt andere Akteure hofiert.

Doch die besten Ideen kommen einem ja bekanntermaßen oft im Urlaub. So ergab es sich dann wohl auch, dass Lauterbach, der gerade privat in Italien weilt, das Thema Klima für sich entdeckte. Na klar, das ergibt ja auch Sinn. Das neue Hysterie-Ding lässt sich einfach wunderbar mit dem Thema Gesundheitsschutz kombinieren. Die ARD hat schließlich schon längst die Wetterkarten auf Rot und Tiefrot umgestellt, und beinahe täglich wird über die aktuelle unglaublich schreckliche Hitzewelle im Süden Europas berichtet. Auch an Experten mangelt es freilich nicht, die uns von Hitzetoten in Deutschland berichten und hilfreiche Tipps geben, wie man diese gefährliche Zeit wenigstens einigermaßen gut übersteht. Und schließlich hat ja der Minister selbst bereits im Juni einen Hitzeplan vorgestellt.

Wen kümmert es schon, dass die ARD vor zwanzig Jahren im Sommer zwar die gleichen Temperaturen, aber keine Warnfarben im Wetterbericht gezeigt hatte, oder dass es auch damals schon regelmäßig Hitzewellen gegeben hatte? Auch die Hitzetoten, so tragisch das ist, finden sich praktisch seit Jahrzehnten jährlich in den Statistiken der Sommermonate Juli und August und stellen insofern genauso wenig wie Corona statistisch eine Übersterblichkeit dar. Die gab es bekanntlich erst mit Beginn der Impfungen, wobei sicherlich nur ganz verschlagene und politisch rechte Menschen an einen Zusammenhang denken würden. Herrliche Bedingungen also, und so twitterte Lauterbach schließlich aus dem italienischen Bologna (Schreibweise wie im Original):

"Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weiter geht werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende."

Der Mann macht sich eben Sorgen und möchte uns schützen. Um seine Thesen zu bekräftigen, teilte Lauterbach auch eine Grafik, die von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) erstellt wurde. Dort werden Temperaturen angezeigt, die in einigen Regionen Südeuropas bis zu 48 Grad Celsius erreichen sollten. Das Problem: In der Grafik ist die Rede von Boden- und nicht von Lufttemperaturen, wie die Berliner Zeitung berichtet. Die Bodentemperatur bezieht sich auf die Temperatur des Erdbodens in einer bestimmten Tiefe, während die gewöhnlich in der Meteorologie erfasste und deutlich niedrigere Lufttemperatur die Temperatur der umgebenden Luft in zwei Meter Höhe über dem Boden beschreibt.

Oje, also schon wieder danebengegriffen? Ach, was soll's. Wird schon nicht auffallen. Da lässt sich doch bestimmt noch was drehen mit der Klimasache. Immerhin wollte das eigene Haus auf Lauterbachs private Einschätzungen nicht eingehen und teilte der Berliner Zeitung mit, dass "persönliche Posts des Ministers in sozialen Medien weder kommentiert noch inhaltlich eingeordnet" werden. Etwas aussagekräftiger ist da schon die Reaktion aus Italien, wo die Aussagen des deutschen Ministers offenbar auf Unverständnis trafen. Der Präsident des Tourismusverbandes Fiavet, Giuseppe Ciminnisi, nannte Lauterbachs These "schwer objektiv zu beweisen" und erklärte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

"Wir versichern Herrn Minister Karl Lauterbach, dass er, wenn er weiter in den Süden, nach Sizilien, Apulien, Kalabrien, reisen möchte, selbst in diesem heißen Klima nur schwer einen Platz finden wird."

Nun denn, womöglich lässt sich Lauterbach ja tatsächlich überzeugen, wird seinen Urlaub noch etwas ausdehnen und erst mal nicht ins Amt zurückkehren. Warum nicht auch für länger? Aber ansonsten, nun ja … Vielleicht einfach mal Klappe halten.

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