Meinung

Der Westen möchte, dass Nigeria ins nördliche Nachbarland einmarschiert

Es wird erwartet, dass der Westen in der kommenden Woche hinter den Kulissen maximalen Druck auf Nigeria ausüben wird. Frankreich und die USA erkennen die Bedrohung, die der Militärputsch im benachbarten Niger für ihre hegemonialen Interessen darstellt.
Der Westen möchte, dass Nigeria ins nördliche Nachbarland einmarschiert© ECOWAS/AFP

Von Andrew Korybko

Der patriotische Militärputsch vergangene Woche in Niger könnte den neuen Kalten Krieg grundlegend verändern, wenn die jetzigen Machthaber die Uranexporte, von denen Frankreichs Kernenergieindustrie abhängt, einstellt, die Truppen ihrer ehemaligen Kolonialherren aus ihrer letzten regionalen Bastion vertreibt und/oder Russland auffordert "demokratischen Sicherheitsbeistand" zu leisten. Anders als die patriotischen Militärputsche in Guinea, Mali und Burkina Faso, die vom Westen zwar verurteilt, aber nicht als Bedrohung für seinen neokolonialen Würgegriff über Afrika betrachtet wurden, läuten beim Putsch in Niger die Alarmglocken.

Frankreich und die USA verurteilten diesen jüngsten Regimewechsel aufs Schärfste. Frankreich stellte parallel zur EU alle Entwicklungshilfen ein, während Washington sich wohl darauf vorbereitet, diesem Beispiel zu folgen. Die Afrikanische Union (AU) stellte den neuen Machthabern in Niger am vergangenen Sonntag ein Ultimatum, den gestürzten Präsidenten Mohamed Bazoum innerhalb von 15 Tagen wieder einzusetzen, andernfalls riskiere das Land "Strafmaßnahmen". Diese ernsthafte Drohung wurde dann von der "Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten" (ECOWAS) bestätigt, die erklärte, dass es zur "Gewaltanwendung" kommen könne, wenn dies nicht sogar innerhalb einer Woche geschehe.

Der Sprecher der nigerianischen Machthaber sah dieses Szenario kommen und warnte noch vor dem Zusammentreffen der ECOWAS: "Das Ziel des ECOWAS-Treffens besteht darin, einen Aggressionsplan gegen Niger zu verabschieden, eine militärische Intervention zu fordern, in Zusammenarbeit mit anderen afrikanischen Staaten, die keine Mitglieder ECOWAS sind, und bestimmter westlicher Länder. Wir möchten die ECOWAS oder jeden anderen Abenteurer noch einmal an unsere feste Entschlossenheit erinnern, unser Heimatland zu verteidigen."

Der Interimspräsident von Burkina Faso, Ibrahima Traoré, hat in seiner Rede auf dem zweiten Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg einige Tage zuvor viele seiner Amtskollegen als imperialistische Marionetten beschimpft, weil sie sich dem Willen des Westens beugen und sich patriotischen Militärputschen widersetzen, wie jenem, der ihn vergangenen Oktober an die Macht brachte. Seine Worte kamen angesichts der kurz darauf ausgesprochenen Drohungen der AU und der ECOWAS gegen das benachbarte Niger zur rechten Zeit.

Inmitten dieser zunehmenden Spannungen reiste der Interimspräsident des Tschad, Mahamat Idriss Déby Itno, am vergangenen Sonntag nach Niamey, in die Hauptstadt von Niger, um Gespräche mit den neuen Machthabern zu führen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Analyse war das Ergebnis dieser Gespräche jedoch noch unklar. Sein Land ist eine regionale Militärmacht, deren Streitkräfte möglicherweise an jeder Operation teilnehmen könnten, die von der ECOWAS gegen den Niger lanciert würde, obwohl sie dieser Wirtschaftsgemeinschaft nicht angehört. Gleichzeitig gibt es jedoch Gründe, warum dies möglicherweise nicht geschehen wird.

Dieser traditionell französische Verbündete fiel Anfang des Jahres nicht auf die Provokation der USA im Informationskrieg herein, in der fälschlicherweise behauptet wurde, Russland plane die Ermordung des Interimspräsidenten des Tschad. Anstatt den Botschafter Russlands auszuweisen, warf es stattdessen den deutschen Botschafter raus, nachdem festgestellt wurde, dass dieser versuchte, Unruhen im Land zu schüren. Kurz darauf verlangte Bloomberg, dass Biden sich im Tschad unter dem Vorwand einmischt, "ein sudanesisches Szenario abzuwenden". Dementsprechend könnte der Tschad auch diesmal zögern, den Wünschen des Westens nachzukommen.

Die multipolare Entwicklung in den vergangenen Monaten kamen unerwartet. Vergangene Woche konnte man Zeuge werden, wie der Außenminister des Tschad – trotz des starken westlichen Drucks auf sein Land, den Gipfel in Sankt Petersburg zu boykottieren – dennoch nach Russland reiste. Dies könnte erklären, warum der Tschad diplomatische Bemühungen zur Entschärfung dieser jüngsten Krise anführt. Gleichzeitig kann jedoch immer noch nicht ausgeschlossen werden, dass der westliche Druck zu groß werden könnte und der Tschad letztlich gezwungen sein wird, sich an einer möglichen ECOWAS-Intervention im benachbarten Niger zu beteiligen.

Unabhängig davon, welche Rolle der Tschad in diesem Szenario spielen wird oder nicht, kann realistischerweise nichts passieren, solange Nigeria nicht bereit ist, die Intervention militärisch anzuführen. Obwohl das ECOWAS-Mitglied Benin etwas näher an Niamey liegt als Nigeria, hat letztgenanntes Land eine viel längere Grenze mit Niger und verfügt über ein weitaus stärkeres Militär. Der neu ins Amt gewählte nigerianische Präsident Bola Tinubu muss sich daher entscheiden, ob er dem Willen des Westens folgen und die neuen Machthaber seines nördlichen Nachbarn stürzen will, was ihn in diesem Szenario zur wichtigsten Variablen macht. 

Es wird erwartet, dass der Westen in der kommenden Woche, noch vor Ablauf des Ultimatums der ECOWAS, hinter den Kulissen maximalen Druck auf Nigeria ausüben wird. Frankreich und die USA erkennen die Bedrohung, die der patriotische Militärputsch im benachbarten Niger für ihre hegemonialen Interessen auf dem afrikanischen Kontinent darstellt. Sie sind daher bereit, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um diese möglicherweise bahnbrechende Entwicklung umzukehren. Trotz all seines Potenzials ist es Nigeria weitgehend nicht gelungen, sich vom westlichen Einfluss zu befreien, weshalb es wahrscheinlich den westlichen Anordnungen nachkommen wird.

Die Streitkräfte und die Wirtschaftselite Nigerias sind eng mit dem kollektiven Westen verbunden. Die einen wurden im Westen ausgebildet, die anderen sind durch ihre Verbindungen zum Westen reich geworden. Ihre Spitzenvertreter machen dort regelmäßig Urlaub und schicken ihre Kinder in westliche Eliteschulen. Alles, was der Westen tun muss, ist damit zu drohen, diese Beziehungen zu kappen, was anschließend die Staatsspitze Nigerias dazu veranlassen könnte, aktiv zu werden und das Notwendige zu tun, um sich auf eine mögliche Invasion des Niger vorzubereiten.

Präsident Tinubu gilt als ein dem Westen freundlich gesinntes Staatsoberhaupt, daher ist es unwahrscheinlich, dass er persönlich dagegen wäre. Aber selbst für den Fall, dass er sich dem Westen widersetzen sollte, bleibt er machtlos, seinem vom Westen beeinflussten Militär zu widerstehen. Er ist erst seit wenigen Monaten im Amt und das nigerianische Militär übt traditionell einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Politikgestaltung aus. Diese Faktoren machen es praktisch zur vollendeten Tatsache, dass Nigeria in dieser Krise jene Rolle spielen wird, die der Westen für das Land vorgesehen hat.

Wenn es dem Interimspräsidenten des Tschad nicht gelingt, einen für Frankreich und die USA akzeptablen Kompromiss auszuhandeln, was nicht wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich ist, dann besteht eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass Nigeria die drohende Invasion der ECOWAS in den Niger anführen wird. Die groß angelegten anti-französischen und pro-Putsch Kundgebungen vom vergangenen Sonntag in Niamey zeigen, dass dieser jüngste Regimewechsel in der Bevölkerung äußerst populär ist, was darauf hindeutet, dass die externe Wiedereinführung des verachteten Regimes von Präsident Bazoum auf Widerstand stoßen wird.

Diese Beobachtung bedeutet nicht, dass die wahrscheinlich von Nigeria angeführte Invasion ihr Ziel, den Putsch rückgängig zu machen, nicht erreichen wird, sondern nur, dass es große Anstrengungen erfordern wird, es durchzusetzen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass die ECOWAS vom Westen beauftragt wird, den Niger auf längere Sicht zu okkupieren. In diesem Szenario würde das Volk des Niger unter einer der schlimmsten neokolonialen Diktaturen der Welt leiden, wobei Frankreich und die USA an ihrem Land ein Exempel statuieren, um anderswo patriotische Militärputsche zu unterbinden.

Aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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