Meinung

Abstieg des Westens – Aufstieg Chinas: Versuch einer marxistischen Erklärung

Haben die Machthaber im Westen den Verstand verloren? Dieser Eindruck täuscht, findet unser Autor. Vielmehr erlebten wir eine strukturelle Krise des westlichen Kapitalismus. Die Welt stehe am Scheideweg zwischen "normaler" kapitalistischer Ausbeutung und einem dystopischen Neofeudalismus.
Abstieg des Westens – Aufstieg Chinas: Versuch einer marxistischen ErklärungQuelle: AFP © AFP PHOTO /NASA/HANDOUT

Von Dennis Grunert

Auf den ersten Blick scheint es so, als hätten die Herrschenden den Verstand verloren. Nur so lassen sich für viele Menschen die hanebüchenen Fehlleistungen von Politikern und Medien seit 2020 im Zusammenhang mit der Corona-Krise und der Klimahysterie sowie die Kompromisslosigkeit des Westens gegenüber Russland erklären. Tatsächlich hat sich die Welt, wie wir sie vor 2020 kannten, in Luft aufgelöst, und wir taumeln von einer Krise zur nächsten. Auch diese "Vorhersage" von WEF-Gründer Klaus Schwab hat sich bewahrheitet. Die Medien verbreiten Panik und Hysterie, während die bürgerlichen Freiheiten immer stärker eingeschränkt werden.

In diesem Artikel soll die These vertreten werden, dass die Ursache dieser Ereignisse in einer tiefen Krise der kapitalistischen Produktionsweise zu suchen ist, die sich unter anderem in der großen Weltwirtschaftskrise von 2007 bis 2009 zeigte. Von dieser Krise hat sich der westliche Kapitalismus bis heute nicht erholt. Nach marxistischem Verständnis kann diese Krise auf das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate zurückgeführt werden. Denn im Kapitalismus produzieren die einzelnen Kapitale nur um des Profites willen, nicht etwa, um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Letzteres ist sozusagen nur ein Nebeneffekt der Profitproduktion. Sollte dieser Profit dauerhaft verschwinden, muss die ganze kapitalistische Gesellschaftsordnung zusammenbrechen. Es ist durchaus möglich, dass sich der westliche Kapitalismus diesem Punkt nähert.

Was ist unter dem Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate genau zu verstehen? Ein Kapitalist, der ein neues Industrieunternehmen gründet, muss sein Kapital in zwei verschiedene Teile teilen. Einen Teil für den Erwerb von Maschinen, Gebäuden, Rohstoffen, Hilfsstoffen und so weiter. Der Wert dieses Teils des Kapitals geht im Verlauf des Produktionsprozesses in den Wert der Endprodukte ein und wird erhalten. Man nennt ihn deshalb konstantes Kapital.

Der zweite Teil des Kapitals muss für den Ankauf von Arbeitskraft verwendet werden. Dieser Teil vergrößert sich um den von den Arbeitern erzeugten Mehrwert. Man nennt ihn deshalb variables Kapital. Nur die Ware Arbeitskraft ist nach marxistischem Verständnis in der Lage, Wert und Mehrwert zu schaffen.

Das Verhältnis zwischen dem konstanten und dem variablen Kapitalteil bezeichnet man als die organische Zusammensetzung des Kapitals. Je entwickelter ein Unternehmen, ein Industriesektor oder ein Land ist, desto höher ist die organische Zusammensetzung des Kapitals, also der Anteil des Kapitals, der für die Anschaffung von Maschinen etc. ausgegeben wird (konstantes Kapital).

Steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals, dann geht die durchschnittliche Profitrate zurück.

Allerdings gibt es einen – durchaus berechtigten – Einwand gegen diese Theorie. Der Kapitalismus existiert seit mehr als 200 Jahren. Wenn das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate wirksam ist, wieso existiert diese Produktionsweise überhaupt noch?

Karl Marx sprach bewusst vom tendenziellen Fall der Profitrate. Er identifizierte nämlich mehrere gegenwirkende Ursachen, die diesen Fall der Profitrate bremsen und zeitweise sogar umkehren können:

1. Steigerung der Mehrwertrate, also der Ausbeutung der Arbeiter

2. Sinken der Preise des konstanten Kapitals

3. Ausdehnung der kapitalistischen Produktion

Es leuchtet ein, dass die Profitrate insbesondere dann steigt, wenn mehrere dieser Faktoren zusammentreffen. In diesem Fall kann es passieren, dass die Profite schlagartig nach oben schnellen, viel bisher brachliegendes Kapital angelegt wird und sich so für einige Zeit eine selbsttragende Phase der kapitalistischen Hochkonjunktur einstellt. Bis sich schließlich das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate wieder durchsetzt.

Tatsächlich lassen sich in der Geschichte diese Phasen nachweisen. Sie dauern ungefähr 20 Jahre im Aufstieg und 20 weitere Jahre im Abstieg. Diese langen Wellen der kapitalistischen Entwicklung existieren zusätzlich zum gewöhnlichen Konjunkturzyklus von 5 bis 10 Jahren mit seiner immer gleichen Abfolge von Wiederbelebung, Boom, Überproduktion, Krach und Krise. Sie setzen sich gerade durch diese "gewöhnlichen" Zyklen durch, und zwar so, dass in einer expansiven Phase die zyklischen Perioden von Hochkonjunktur länger und intensiver, die zyklischen Überproduktionskrisen kürzer und weniger tief sind. Umgekehrt werden in den zur Stagnation neigenden langen Wellen die Perioden der Hochkonjunktur als weniger fieberhaft und kürzer, die Perioden der zyklischen Überproduktionskrise dagegen länger und tiefer erscheinen.

In der Geschichte des Kapitalismus gab es bisher fünf solcher Phasen, die sich jeweils aus einer langen Welle mit expansiver, gefolgt von einer langen Welle mit depressiver Tendenz zusammensetzen.

1. Periode der langen industriellen Revolution (1789 bis 1848)

2. Kapitalismus der freien Konkurrenz (1848 bis 1895)

3. Klassischer Imperialismus (1895 bis 1945)

4. Spätkapitalismus (1945 bis 1989)

5. Neoliberalismus (ab 1989)

Insgesamt gab es also zehn lange Wellen der kapitalistischen Entwicklung. Auslöser für eine lange Welle mit expansivem Charakter waren immer geografische, geologische und politische Faktoren. Diese waren spezifisch, und es ist keineswegs garantiert, dass noch einmal so viele Faktoren zusammenkommen, um eine neue lange Welle mit expansiver Tendenz anzustoßen. Der Umschlag in eine lange Welle mit stagnierender Tendenz wird dagegen durch die im Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate beschriebene Steigerung der organischen Zusammensetzung des Kapitals hervorgerufen.

Der Kapitalismus basiert auf der Aussaugung lebendiger menschlicher Arbeitskraft. Durch die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals infolge der Automatisierung untergräbt er seine eigenen Grundlagen. Hier sind wir bei der absoluten inneren Grenze der kapitalistischen Produktionsweise angelangt: Er ist unvereinbar mit einer vollautomatisierten Produktion in Industrie und Landwirtschaft, weil dann keine Mehrwertschöpfung und keine Kapitalverwertung mehr stattfinden. Anders im Sozialismus: Wenn alle Industriebetriebe eines Landes behandelt werden wie ein einziger riesiger Konzern, wirken die komplizierten, von Marx entdeckten Gesetze der kapitalistischen Mehrwertproduktion nicht mehr, und diese Grenze hat dort keine Bedeutung. Es findet keine Mehrwert-, sondern Gebrauchswertproduktion statt.

Der Great Reset ist keinesfalls eine Verschwörungstheorie, wie staatstreue Linke und Medien behaupten. Vielmehr ist er der englische Titel des 2020 erschienenen Buches COVID-19 – Der große Neustart von WEF-Gründer Klaus Schwab und Thierry Malleret. Darin legen sie – umhüllt von einer flauschigen Marketingsprache – ein Programm vor, durch verschärfte Ausbeutung aus der allgemeinen Krise des Kapitalismus herauszukommen. Reallöhne sollen drastisch abgesenkt, die Staaten und der Mittelstand richtiggehend geplündert werden, zum Beispiel unter dem Vorwand der Klimarettung. Eine gesteigerte Mehrwertrate wäre eine Voraussetzung für einen erneuten kapitalistischen Aufschwung. Allerdings: Bei jeder langen Welle mit expandierender Tendenz kam es auf globaler Ebene auch zu einer massiven Ausweitung der kapitalistischen Lohnarbeit. Zuletzt geschah dies 1989, als die ehemals sozialistischen Staaten sich dem Weltmarkt öffneten und ihre Arbeiter dem internationalen Kapital zur Ausbeutung anboten.

Eine solche Ausweitung ist weit und breit nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil gehen Schwab und Malleret selbst davon aus, dass infolge der vierten Industriellen Revolution kurzfristig 40 Prozent aller Arbeitsplätze verschwinden werden. Bereits heute ist in allen westlichen Gesellschaften offene und verdeckte Arbeitslosigkeit ein riesiges soziales Problem. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass Malthusianismus und Eugenik, nur notdürftig getarnt als Ökologismus, Transhumanismus und radikale Transgender-Ideologie, Urstände feiern. In der herrschenden Klasse werden Projekte für eine globale Bevölkerungsreduktion diskutiert. Die angestrebte Wunschbevölkerung der Erde reicht von 2 Milliarden bis 300 Millionen. Dies nicht primär aus ökologischen Gründen, sondern vor allem, weil die meisten Menschen dieser Erde als auszubeutende Arbeitskräfte schlicht nicht mehr gebraucht werden.

Vermutlich aufgrund der strukturellen Krise des westlichen Kapitalismus nehmen die Milliardäre Kurs auf eine neue Produktionsweise, wo sie göttergleich herrschen werden, so Jens Zimmer auf RT DE am 16.11.2020. Bereits heute haben Schattenbanken wie Blackrock und Co. im Kern der westlichen Industrie ein riesiges Monopol errichtet und den Wettbewerb bewusst heruntergefahren.

Sollte sich diese Tendenz verstetigen, wird irgendwann keine Warenproduktion mehr stattfinden, sondern werden Güter von einer Monopolfabrik in die andere verschoben. Die Menschen werden durch weitgehend automatisierte Fabriken mit Konsumgütern und Lebensmitteln versorgt. Es findet keine Profitproduktion mehr statt. Sondern diese Güter werden nach dem Willen der Mächtigen zugeteilt, dem einen sehr viel, den anderen wenig bis nichts. Durchgesetzt wird diese Oligarchenwillkür durch eine private Sicherheitstruppe, zu der die staatlichen Sicherheitsorgane bereits heute mit einer hohen Geschwindigkeit degenerieren.

Dies wäre dann ein neuer Feudalismus, weil die Oligarchen ausschließlich mit Gewalt herrschen, während ökonomische Gesetze des Kapitalismus keine Rolle mehr spielen. Man kann diese Produktionsweise auch als eine pervertierte Form des Sozialismus bezeichnen.

Die wenigen Menschen, die dann noch leben dürfen, wären Domestiken, die den Oligarchen dienen. Die neuen Gottkönige werden in einem unglaublichen Luxus leben. Die leere Erde wird zur Spielwiese der Jeunesse Dorée, also der genoptimierten Nachkommen dieser Oligarchen, die sich entweder – je nach Temperament – in einem Überlebenskampf bewähren oder völlig ungestört die Naturschönheiten genießen können.

Allerdings: Die monströsen Pläne der westlichen Oligarchen können nur gelingen, wenn die wichtigsten staatlichen Antagonisten des Westens ausgeschaltet sind. Das sind vor allem China und Russland. Der Westen muss also diese beiden Länder um jeden Preis besiegen und deren Staatlichkeit vernichten. Nur wenn es keine globale Alternative gibt, werden sich die Menschen gezwungenermaßen den Oligarchen beugen.

Ohne einen solchen Sieg würde China eher früher als später zum Zentrum der Weltwirtschaft werden. Denn gerade weil der chinesische Kapitalismus weniger entwickelt ist und er eine geringere Kapitalkonzentration aufweist, ist er dynamischer als der westliche. Die organische Zusammensetzung des Kapitals ist dort geringer, die Profite und die Investitionen höher. Auch spielt der Wettbewerb zwischen den einzelnen Kapitalien noch eine größere Rolle als im Westen. Bisher kam es bei langen Wellen mit expansiver Tendenz immer zu einer globalen Ausweitung der Lohnarbeit, und damit nahmen auch die Profite zu. Was wiederum die Investitionen stark ansteigen ließ.

Eine solche Entwicklung könnte sich in der Tat im Gefolge der Industrialisierung West- und Südasiens sowie Afrikas vollziehen. Diese Industrialisierung wird unterstützt durch eine Flut preiswerter russischer Energierohstoffe, die sich in diese Länder ergießt. Die organische Zusammensetzung des Kapitals ist dort sogar noch niedriger als in China und demnach die Anzahl der benötigten Arbeitskräfte entsprechend höher. Auf globaler Ebene könnte sich also eine Konstellation wiederholen, wie sie im Spätkapitalismus (1945 bis 1989) im Westen wirkte: Stark ansteigende Kapitalprofite wären von einem zunehmenden Wohlstand der Arbeiter Afrikas und Asiens begleitet, was einen Abbau der sozialen Spannungen bewirkt.

Während China zum Hightech-Zentrum der Weltwirtschaft wird und seine Kapitalisten dadurch beträchtliche Profite abschöpfen, werden die Kapitalisten und Arbeiter der anderen Länder Asiens und Afrikas vor allem von der industriellen Aufbaukonjunktur profitieren. Wenn dieser selbsttragende Aufschwung erst einmal erreicht ist, dürfte es erneut Jahrzehnte dauern, bis das System in eine Krise gerät.

Einen neuen kapitalistischen Aufschwung kann es vermutlich nur geben mit China als Zentrum der Weltwirtschaft. Die Welt steht also am Scheideweg: entweder "normale" kapitalistische Ausbeutung oder dystopischer Neofeudalismus, wo einige wenige Milliardäre gottgleich herrschen werden.

Welche Entwicklung sich durchsetzt, ist noch völlig offen. Allerdings dürfte die herrschende Klasse in den USA kaum bereit sein, ihren eigenen Abstieg zuzulassen. Um dies zu verhindern, wird sie vermutlich extrem hohe Risiken eingehen. Ein weiteres Problem ist, dass die europäische Bevölkerung in beiden Konstellationen als Verlierer dasteht.

Wie auch immer: Unter den heutigen Bedingungen steht ein Übergang zum Sozialismus nicht auf der Tagesordnung. Allerdings wären die Voraussetzungen für ihn viel günstiger als 1917 oder 1945, und dies nicht nur wegen besserer Möglichkeiten zur Wirtschaftsplanung. Im westlichen Kapitalismus bedeutet die Industrie 4.0 Überarbeit für wenige und Arbeitslosigkeit für viele. Im Sozialismus wären mit der gleichen Technologie vielleicht Arbeitszeiten von zwei Stunden oder weniger pro Tag für alle Menschen denkbar. Die westlichen Milliardäre sind dabei, die Erde mit der Industrie 4.0 und der Digitaltechnologie in eine Hölle zu verwandeln. Diese Technologie kann aber auch genutzt werden, um aus ihr ein Paradies zu machen.

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