Sanktionen gegen Niger? EU erklimmt neue Höhen der Heuchelei
Von Dagmar Henn
Die EU, wen wundert's, bastelt wieder mal an Sanktionen. Das hat nicht nur Reuters mit Berufung auf einen der üblichen anonymen EU-Vertreter verkündet, das hat auch die Sahel-Beauftragte der EU, Emanuela del Re, in einem Interview mit der italienischen Zeitung Repubblica verkündet.
Ziel der Sanktionen soll Niger sein, wegen des Militärputsches. "Druck und Sanktionen. So wird es uns gelingen, die Rebellengeneräle aus Niamey zu vertreiben", erklärte del Re. Sanktionen gegen ein Land, das auf dem Human Development Index, einer UN-Liste, die die soziale Entwicklung der Länder wiedergibt, Platz 189 von 194 einnimmt? Das eine Lebenserwartung von 61,5 Jahren aufweist, eine Alphabetisierungsrate von 43,5 Prozent bei Männern und 26,6 bei Frauen – und das ist schon mehr als eine Verdopplung der Ausgangswerte von 2001?
EU-Sanktionen sind immer unappetitlich, arrogant und kolonialistisch, und sie sind vor allem eines – völkerrechtlich absolut illegal. Denn das einzige Gremium, das legal Sanktionen verhängen kann, ist der UN-Sicherheitsrat. Wurde der mit diesem Thema betraut? Man macht das lieber so, es könnte nämlich sein, dass da das eine oder andere Veto dazwischengerät.
Die EU bereitet sich also darauf vor, eines der ärmsten Länder der Welt, das trotz seiner Uran- und Goldvorkommen so arm ist, damit Frankreich, seine (ehemalige?) Kolonialmacht, reich bleiben konnte, mithilfe wirtschaftlicher Kriegsführung weiter zu verarmen. Weil "die Demokratie wiederhergestellt" werden müsse, indem der gewählte Präsident, der durch den Putsch abgesetzt wurde, wieder installiert wird.
Übrigens wurde dieser bisher ausgesprochen höflich behandelt; er befindet sich nur in einer Art Hausarrest und kann währenddessen munter mit der ganzen Welt kommunizieren. Die Auflösung für dieses Rätsel wird die Zukunft liefern müssen.
Jedenfalls gibt es, dank der britischen Zeitschrift The Economist, eine taufrische Umfrage aus Niger zum Militärputsch. Und die hat es in sich, gerade vor dem Hintergrund des vermeintlichen Eintretens für Demokratie. 78 Prozent begrüßten den Putsch; 39 Prozent der am 8. August Befragten meinten, die Militärführung solle bis zu Neuwahlen im Amt bleiben, 34 Prozent befürworteten gar eine längere Militärregierung. Nur 16 Prozent wollten den gewählten Präsidenten sofort wieder im Amt sehen, und weitere elf Prozent nach einem gewissen Zeitraum.
Noch unangenehmer für die EU sind die Antworten darauf, welchem ausländischen Akteur die Nigrer am meisten vertrauten. Großbritannien überhaupt nicht, gefolgt von den Vereinten Nationen, Frankreich, China und den USA mit jeweils unter zehn Prozent, knapp über zehn für Saudi-Arabien, aber überwältigende 62 Prozent für – Russland.
54 Prozent lehnten eine ausländische Einmischung ab, von den Befürwortern wählten 50 Prozent Russland, 16 Prozent Amerika, 14 Prozent die Afrikanische Union und nur vier Prozent entschieden sich für den westafrikanischen Staatenbund ECOWAS.
Die wiederum haben zwar gleich nach dem Putsch ein Ultimatum von einer Woche gesetzt und gedroht, sie würden einmarschieren. Aber es ist bei Weitem noch nicht sicher, ob daraus trotz der bekundeten Absicht etwas wird.
Der nigerianische Präsident Tinubu, der gleich sein Militär schicken wollte, stieß im nigerianischen Senat auf Ablehnung insbesondere der Senatoren aus dem Norden; da sich das Militär überproportional aus Bewohnern des ärmeren, muslimischen Nordens rekrutiert, ist das ein Anzeichen für möglichen Widerstand gegen die Pläne Tinubus. In Senegal, einem weiteren der größeren ECOWAS-Länder, gibt es seit Tagen Unruhen wegen der Verhaftung eines Oppositionsführers, der sich mittlerweile wegen seines Hungerstreiks im Krankenhaus befindet.
Die EU allerdings dürfte an ihren Plänen festhalten und die Bevölkerung eines der Armenhäuser der Welt durch den Entzug von Medikamenten und Nahrungsmitteln strafen, weil sie keinerlei moralische Skrupel hat, noch den Ärmsten zu treten, wenn er ihren eigenen Bereicherungsinteressen im Weg steht. So abstoßend, wie das ist, was der französische Kolonialpakt den Ländern antut, die seine Opfer sind, so abstoßend ist auch der verlogene moralische Eifer der EU.
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