Meinung

John Bolton zur Gefahr einer atomaren Konfrontation: "Putin blufft nur"

Er war UN-Botschafter unter George W. Bush, Sicherheitsberater unter Trump, und ist einer der lautesten Kriegstreiber. Es wundert also nicht, dass er den Krieg in der Ukraine fortsetzen will. Aber er erklärt ebenfalls, man müsse keine Angst vor einem Atomkrieg haben.
John Bolton zur Gefahr einer atomaren Konfrontation: "Putin blufft nur"Quelle: www.globallookpress.com © Pavlo Bagmut

Von Dagmar Henn

Spätestens seit dem NATO-Gipfel in Vilnius ist die Debatte darüber eröffnet, ob der Westen aus der Ukraine-Nummer nicht aussteigen sollte. Es ist keine wirklich öffentliche Debatte, sie tröpfelt eher in einzelnen Artikeln führender Medien dahin, und in den deutschen ist sie ohnehin noch nicht angekommen. Aber die Richtung, die eine Seite dieser Debatte nimmt, wird zunehmend unheimlich.

Anfang des Jahres erschien die Studie der RAND-Corporation, die, im Interesse einer Konzentration auf den Konflikt mit China, einen Kompromiss mit Russland vorschlug, einschließlich territorialer Zugeständnisse. Wie gesagt, die Debatte tröpfelt, und es dauerte bis zum sichtbaren Scheitern der ukrainischen Offensive, ehe aus den Kreisen der Neokons eine Antwort erfolgte; denn bis dahin kam von dort nur das Mantra, dass die Ukraine siegen werde.

Dann gab es den Artikel von David Axe im britischen Daily Telegraph. Ein Comiczeichner und Journalist, also eher eine Randfigur des im Westen dominanten Lagers, aber ein Text, der einen unheimlichen Grundgedanken vortrug: Putin würde nur bluffen, also könne und müsse man getrost eskalieren. Eine Sicht, die übrigens bereits vor über 18 Monaten dafür sorgte, dass die russischen Vorschläge für ein europäisches Sicherheitskonzept nicht einmal ernst genommen wurden.

John Bolton ist bereits deutlich näher am Mittelpunkt der Blase, die die Washingtoner Außenpolitik entscheidet, als Axe; und er steht, weil er unter George W. Bush und unter Trump Teil der Regierungsmannschaft war, für jenen Teil der Neokons, der in die Republikanische Partei hereinreicht. Er erfüllt also eine gewisse Scharnierfunktion für die Schaltzentrale der Neokons, die tief bei den Demokraten eingegraben ist. Eine Stellungnahme von Bolton ist nicht so bedeutend, wie es eine von Victoria Nuland selbst wäre, aber hat vermutlich eine deutlich höhere Reichweite.

Das für die Meinung eines einzelnen alten Mannes zu halten, führte also in die Irre. Zudem muss man noch berücksichtigen, dass bisher Boltons Aussagen im Wall Street Journal zwar von anderen Medien aufgegriffen wurden, aber nirgends kritisiert. Und das ist erschütternd.

Bolton ist kein junger Hüpfer wie David Axe. Er war zu den Zeiten bereits erwachsen, als die Regeln der gegenseitig zugesicherten Zerstörung (MAD) noch galten. Er war als UN-Botschafter der USA unter George W. Bush Teil einer Regierungsmannschaft, die mit dem ABM-Vertrag den ersten der Verträge aufkündigte, die dieses Gleichgewicht des Schreckens stabil gehalten hatten. Axe könnte sich noch damit herausreden, er habe nicht genau gewusst, was er sage. Bolton kann das nicht.

Und er richtet sich direkt gegen die Vorschläge jeglicher Verhandlung.

"Die Lösung sind nicht Waffenstillstand und Verhandlungen."

Seiner Meinung nach würde Russland im Herbst, nachdem die Angriffe der Ukraine abgewehrt sind, einen Waffenstillstand vorschlagen.

"Dieses Angebot anzunehmen, würde zur faktischen Teilung der Ukraine führen – ein für Kiew und seine osteuropäischen Nachbarn unannehmbarer Vorschlag."

Man bekommt zwar immer wieder den Eindruck, zumindest die Polen sähen das nicht ganz so, aber entscheidend an diesen Sätzen ist, dass sie direkt auf die RAND-Variante erwidern. Und das, was damals diese Studie auslöste, was sie ausführlich darstellte – nämlich die für die USA selbst durch eine lange Dauer des Krieges in der Ukraine steigenden Risiken – geradezu beiläufig vom Tisch wischen. Wohlgemerkt, RAND behandelte nicht die Frage der materiellen Voraussetzungen, sondern die Frage der möglichen Folgen. Erstere gibt es auch noch, in Gestalt real vorhandener Produktionskapazitäten, über denen eigentlich in dicken Lettern geschrieben steht: Lasst es sein, ihr habt keine Munition.

"Die ukrainische Unfähigkeit, weiter vorzurücken, ist keineswegs unvermeidlich, sondern das natürliche Ergebnis einer US-Strategie, die nur darauf abzielt, russische Eroberung abzuwehren. Stattdessen muss Präsident Biden anfangen, energisch auf einen ukrainischen Sieg hinzuarbeiten."

Er wirft der gegenwärtigen US-Regierung also Feigheit vor.

"Die fortgesetzten Debatten, ob man dieses oder jenes Waffensystem liefern solle, die ständige Furcht, Russland könne zu einem Krieg gegen die NATO eskalieren, und gelegentliches nukleares Säbelrasseln des Kremls haben in den Hauptstädten des Westens lähmende Vorsicht verursacht. Obwohl Großbritannien unter Boris Johnson sich nicht abschrecken ließ, schien die NATO unwillig, ihr Versprechen einzulösen, die volle Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine wieder herzustellen."

Boris Johnson wird sich sicher über dieses Lob von Kriegstreiber zu Kriegstreiber gefreut haben. Für den Rest der Welt ruft das nur einmal mehr seine persönliche Beteiligung am Scheitern der Verhandlungen in Istanbul Ende März vergangenen Jahres ins Gedächtnis. Und ebenso die Tatsache, dass ohne Politiker wie Johnson und Bolton das ukrainische Schlachtfeld längst befriedet wäre.

Aber hier finden wir bereits den parallelen Gedanken zu Axe. "Putin", also die Regierung der Russischen Föderation, rasselt mit dem Säbel, und die NATO dürfe sich davon nicht einschüchtern lassen.

Wirklich irrwitzig wird es, als er auch noch gewissermaßen ein Zitat des anderen politischen Flügels, in diesem Fall von CIA-Direktor William Burns, verwendet, um seinen aberwitzigen Schluss zu begründen. Burns soll zumindest versuchen, wieder einen Gesprächskontakt herzustellen, was angesichts der entschwundenen Glaubwürdigkeit westlicher Zusagen schwierig genug sein dürfte.

Auf der Sicherheitskonferenz in Aspen am 20. Juli 2023 jedenfalls sagte Burns Folgendes in Bezug auf die russischen Verweise auf die Möglichkeit eines nuklearen Konflikts:

"Das ist jedoch nichts, was wir auf die leichte Schulter nehmen können. Wir sehen heute keine konkreten Vorbereitungen für den möglichen Einsatz nuklearer Waffen. Wir haben im Gespräch mit Sergei Narischkin, einem meiner russischen Gegenspieler, und durch andere Kanäle sehr klar gestellt, wie sehr uns das Sorgen bereitet (...) Wir sehen keine unmittelbaren Zeichen von Vorbereitungen eines Atomwaffeneinsatzes."

Burns, acht Jahre jünger als Bolton, scheint sich auf jeden Fall besser daran zu erinnern, was MAD bedeutet. Vielleicht erinnert er sich auch noch an einige der Beinahe-Katastrophen, bei denen die Welt nur noch Augenblicke von einem Schauer aus Atomraketen entfernt war. Seine Formulierung jedenfalls deutet an, dass er noch im Blick hat, dass man mit nuklearen Waffen nicht spielt.

John Bolton nimmt diese Aussage von Burns und dreht sie in ihr Gegenteil. Was bei Burns nur eine tatsächliche Sorge etwas abmildern soll, wird bei Bolton zum Argument, die Sorge selbst zur Einbildung zu erklären.

"Es gibt keinen Beweis, dass Russland die konventionellen militärischen Fähigkeiten hat, die NATO zu bedrohen, oder den Willen, einen Nuklearschlag zu führen. Trotz Moskaus wiederholter nuklearer Drohungen hat die Nachrichtendienstgemeinschaft in Aussagen gegenüber dem Kongress bestätigt, dass die nuklearen Einrichtungen Russlands nicht einmal in Alarmbereitschaft versetzt wurden. Herr Putin hat geblufft. Das kann sich ändern, aber Bluffs nachzugeben gibt ihm genau das, was er haben will, umsonst."

Wie bei Axe lautet Boltons Antwort auf die Gefahr eines Atomkriegs nur: "Der blufft." Die Argumentation ist etwas anders, das Ergebnis allerdings ist gleich. Auf geradezu gespenstische Weise scheinen sie Sergei Karaganows These bestätigen zu wollen, die US-Amerikaner nähmen das atomare Risiko nicht mehr ernst und bedürften dringend einer Gedächtnisauffrischung; während jedoch der Debattenbeitrag Karaganows in Russland große Wellen schlug und ein Autor nach dem anderen widersprach, sind die Reaktionen auf die beiden Texte von Axe und Bolton jenseits der Sphäre alternativer Medien nicht messbar.

Dabei liegt die Entscheidung über den Einsatz atomarer Waffen in den USA tatsächlich in der Verfügung einer einzelnen Person, und die heißt Joe Biden. Selbst wenn er nicht bis auf die Knochen korrupt wäre und seine Außenpolitik in Bezug auf Russland und China nicht von einer Victoria Nuland bestimmt würde, müsste allein sein kognitiver Zustand in diesem Zusammenhang Sorgen machen.

Bolton jedenfalls fordert mehr vom Gleichen; mehr Sanktionen, auch gegen China, mehr Waffen für die Ukraine, eine Einbeziehung von Japan und Nordkorea in die NATO...

"Die Ukraine ist genau die Art von Krise, die globale Zusammenarbeit erfordert."

Nur keine Sorgen vor russischen Atomraketen, munter eskaliert, schließlich blieben sie bis heute in den Silos. Alles nur ein Bluff!

Das Problem, das der Rest der Menschheit mit Boltons Argumentation haben könnte, ist, dass im Zusammenhang mit Atomraketen nicht nur der Einsatz, sondern schon allein die Einsatzbereitschaft mit Vorsicht zu behandeln ist. Das Risiko – und genau das belegen die Beinahe-Katastrophen der Vergangenheit – liegt in möglichen Fehlern. Fehler, die im "Normalzustand" keine Konsequenzen haben, weil ein längerer Zeitraum zwischen einer Information über eine mögliche Bedrohung und einer Reaktion liegt, und damit Fehler noch korrigiert werden können.

Einmal war es nur das Zögern eines sowjetischen U-Boot-Kommandanten, einen vermeintlichen Angriff mit einer Rakete zu erwidern, das einen Atomkrieg verhinderte. Denn der Start der großen Interkontinentalraketen ist das eine. Aber im Zustand der Einsatzbereitschaft kann ein kleiner Vorfall oder Fehler eine Reaktion auslösen, die die Eskalation unaufhaltbar in Gang setzt. Wer, im Gegensatz zu Bolton, sich noch dieser Gefahren bewusst ist, spielt nicht einmal mit der Einsatzbereitschaft solcher Waffen herum.

Das allerdings signalisiert das Gegenteil dessen, was Bolton daraus liest. Würde es um einen Bluff gehen, würde man in Russland nukleare Waffen als etwas betrachten, womit man herumspielen kann, dann hätte Bolton seine Einsatzbereitschaft bekommen. Es ist nicht Russland, das in diesem Zusammenhang zu fürchten ist.

Dass binnen kurzer Zeit aber bereits die zweite Reaktion auf die erkennbare ukrainische Niederlage lautet: "Nur keine Angst vor russischen Atomwaffen", das sollte wirklich Angst machen. Das Wall Street Journal ist nicht das Tageblatt von Posemuckel, und John Bolton ist nicht der aktuelle Volontär. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der engere Kreis um Victoria Nuland genau so denkt wie Axe und Bolton. Eine unerfreuliche Aussicht.

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