Meinung

Ex-Linken-Chef Riexinger: Ohne Wagenknecht bis zu 18 Prozent

Spaltet sich die Linke oder spaltet sie sich nicht? Stück für Stück melden sich die Beteiligten zu Wort. Zuletzt war es der ehemalige Vorsitzende Bernd Riexinger, dessen Sätze begeistert in den Mainstreammedien aufgegriffen wurden.
Ex-Linken-Chef Riexinger: Ohne Wagenknecht bis zu 18 ProzentQuelle: www.globallookpress.com © Arnulf Hettrich via www.imago-im

Von Dagmar Henn

Ja, der Bernd Riexinger. Vor langer Zeit galt dieser Ex-Vorsitzende der Linken als Hoffnungsträger. Weil der Bezirk Stuttgart der Gewerkschaft verdi, dessen Vorsitzender er damals war (vor mehr als fünfzehn Jahren), eine große und erfolgreiche Kampagne gegen die Umwandlung der Stuttgarter städtischen Kliniken geführt hatte.

Das war, wie sich seitdem erweisen sollte, ein richtiger Schritt, weil die EU-Vorgaben es untersagen, beispielsweise die durch die Fallpauschalen anfallenden Verluste auszugleichen, sobald die Krankenhäuser nicht mehr Teil der städtischen Verwaltung sind. Und die Fallpauschalen sind so gestrickt, dass sie zumindest in den teureren Teilen Deutschlands Verluste erzeugen müssen. Schließlich gehören sie, mitsamt den Subventionsverboten, zu einer Gesamtstrategie, die in einem völlig privatisierten Gesundheitswesen münden soll.

Aber das sind Geschichten aus der Vergangenheit, und wer Riexinger in seiner Zeit als Parteivorsitzender erlebt hat, wie er sich von der höheren Tochter Katja Kipping an die Wand drücken ließ, der hat klar erkannt, dass Riexinger wohl eher nicht das Zugpferd dieser Stuttgarter Kampagne war, sondern bestenfalls ihr Grüßaugust.

Zu dem Zeitpunkt, als das Duo Riexinger/Kipping gewählt wurde, wurde von ihm erwartet, gerade bei Themen wie Privatisierung Kompetenz einzubringen und einen zumindest gewerkschaftlichen Gegenpol zu jener antideutschen Hipster-Linken zu liefern, für die Kipping stand. Wie man am heutigen Zustand sehen kann, erwies sich diese Linke dann eher als Hilfstruppe, um andersherum in den Gewerkschaften über Themen wie "Klimaschutz" die Angepasstheit noch zu verstärken.

Zugegeben, alles altes Zeug. Aber zu Wort meldet sich Riexinger noch immer, schon vor einigen Wochen, nach dem Rücktritt der Fraktionschefin Amira Mohamed Ali, als er eine "offene Diskussion" über die weitere Linie der Partei auf der Klausurtagung der Fraktion forderte.

Das ist nicht wirklich der demokratische Ansatz, weil für die inhaltliche Linie die Partei zuständig ist und selbst der Parteivorstand eigentlich nur ausführendes Organ. Allerdings ist es in den Gewerkschaften meist so, dass der hauptamtliche Apparat die Linie vorgibt, und die Mitgliedschaft nur gelegentlich gefragt wird. Man kann das momentan gut beobachten, am Unmut vieler Gewerkschafter über die Willfährigkeit beim "Klimaschutz". Das hat ihn geprägt.

Seit diesem Vorschlag von Riexinger kursieren noch andere Überlegungen, wie man versuchen könne, die Linke in ihrer jetzigen Zusammensetzung irgendwie zu retten; ein Parteikongress beispielsweise. Aber eigentlich ist schon klar, dass das eine Illusion bleiben wird. Schließlich hat auch der Parteivorstand bereits in einem – ganz nebenbei völlig undemokratischen – Beschluss Sahra Wagenknecht aufgefordert, ihr Mandat "an die Partei zurückzugeben".

Jetzt also erklärt Riexinger, der am heutigen Zustand nicht wirklich unschuldig ist, die Entscheidung sei im Grunde bereits gefallen, und "ein Teil der Fraktion sitzt deswegen auf gepackten Koffern" und warte nur noch, "bis Frau Wagenknecht bei ihrer möglichen Parteigründung den Daumen rauf oder runter zeigt." Wobei er dann noch von den Vorteilen einer Trennung überzeugt ist:

"So können wir wieder eine Partei werden, die gegen die soziale Krise und die Klimakrise Lösungsvorschläge unterbreitet und eine kohärente Friedenspolitik vertritt."

Konsequent und Riexinger sind zwei Worte, die nur schwer in einen Satz passen, und das Herumgeeiere der Nicht-Wagenknecht-Linken in der Friedensfrage, das schon schwer nach "NATO mit nur ein bisschen weniger Waffen" klingt, und in der Tradition von Frau Kipping, der Pussy-Riot-Freundin, gern bereit ist, Russland zum bösen Feind zu erklären, beschränkt die mögliche Fangemeinschaft auf jenen Pool, um den sich schon die SPD und die Grünen zanken.

Ohne eine wenigstens kritische Haltung zu den "Klimaschutzmaßnahmen" und eine Ablehnung der Sanktionen wird es auch wenig werden mit der "Partei gegen die soziale Krise"; wie soll man die Interessen der abhängig Beschäftigten politisch vertreten, wenn man im Grunde alles, was ihnen angetan wird, für nötig bis unvermeidbar hält, vom Wirtschaftsruin durch Energieentzug über die per Sanktionen geschaffene Inflation bis hin zum Habeckschen Heizwahn? Darum bitten, dass der Griff in die Taschen des gemeinen Volks vielleicht nicht die ganze Hosentasche ausräumt, sondern zwei Zentimeter davor Schluss macht?

Klar, es ist nicht sicher, ob das überhaupt etwas wird mit einer Wagenknecht-Partei. Man darf vom gesamten Personal der Linken keine Kühnheiten erwarten. Auch Wagenknecht leistet immer brav ihren Kotau vor dem "russischen Angriffskrieg", obwohl sie von allen am wenigsten zu fürchten hätte, würde sie eine klare Position beziehen; das würde dann endlich die Frisur rechtfertigen, mit der sie an Rosa Luxemburg zu erinnern sucht, die immerhin während des Ersten Weltkriegs drei Jahre im Gefängnis verbrachte, weil sie eben nicht das sagte, was die kriegführende Regierung erwartete.

Vermutlich kann niemand in Deutschland absehen, ob ein weiterer Anlauf, die längst bestehende inhaltliche Spaltung organisatorisch umzusetzen, besser verläuft als vor Jahren unter dem Titel "Aufstehen." Damals ging es nur um den politischen Schwerpunkt der Linken, ob von dem, was eine Linke einmal ausmachte, noch etwas übrig bleibt oder alles im Hipster-Gender-Klimawahn verschwindet. Inzwischen geht es um Krieg oder Frieden, und letztlich – angesichts der Verheerungen, die die jetzige Politik hinterlassen wird – darum, ob das ganze Land absäuft oder noch irgendwie gerettet werden kann. Hat sie das Standvermögen und den Mut für eine solche Rolle?

Riexinger jedenfalls wird wenig beizutragen haben. Er war während Corona für eine Impfpflicht, und mehr als die Mainstreammedien scheint er auch zur Ukraine nicht zu konsumieren. Und die Rolle, die die Grünen in diesem Zusammenhang spielen – und zwar bereits seit vor dem Maidan – nimmt er überhaupt nicht wahr.

Wer immer noch nicht erkannt hat, dass der unsoziale Teil und der kriegstreiberische zusammengehören, und dass die Feindseligkeit gegenüber der werktätigen Menschheit bei den Grünen "not a bug, but a feature", kein Fehler, sondern zentrale Funktion ist, der wird nur mit dafür sorgen, dass gar keine Position mehr übrig bleibt, die man in irgendeiner Weise links nennen könnte.

Riexinger träumt von einem Wählerpotenzial von "bis zu 18 Prozent" für diese Grünen light, die das wahrscheinlichste Ergebnis sind, sollte Wagenknecht mit ihrem gesamten Flügel tatsächlich die Partei verlassen. Aber was sich augenblicklich in der Gesellschaft herausbildet, ist eher eine Mehrheit gegen die Grünen, ob nun light oder klassisch.

Und manchmal geschehen Entwicklungen, die ganze große Debatten ganz praktisch lösen. Wie beispielsweise die Frage der Migration, in der Riexinger Wagenknecht ihre Haltung zum Vorwurf macht.

Über Jahre hinweg erklärten die Fans der offenen Grenzen, sie seien ja eigentlich für die Beseitigung der Fluchtgründe. Aber darauf habe man keinen wirklichen Einfluss, also müsse man jetzt eben alles aufnehmen. Plötzlich gerät das ganze koloniale System ins Rutschen, und die Frage stellt sich völlig anders: Hilft man mit, dieses System aufrechtzuerhalten, indem man sich an die Seite von USA und EU stellt, oder sieht man sich an der Seite der Länder, die gerade um ihre eigenständige Entwicklung kämpfen? Schon wird die Politik der offenen Grenzen erkennbar zu einer gegen diese Länder gerichteten feindseligen Handlung, weil sie mit einer vermeintlichen individuellen Lösung lockt, während die gemeinsame in Griffweite ist, und gleichzeitig die Vorstellung befördert, die westliche Gesellschaft sei die schlichtweg ideale.

Wird Riexinger begreifen, dass die wahre Entscheidung nichts mit "Klimawandel" zu tun hat, sondern mit dem Ende der kolonialen Strukturen? Vermutlich eher nicht. Sonst würde er sich am Ende an der Seite Russlands wiederfinden. Und ob Riexinger das noch begreift oder nicht, ist letztlich auch egal. Ob Wagenknecht es begreift, könnte indes die deutsche Zukunft beeinflussen.

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