Kindergrundsicherung: Christian Lindner und die Unsichtbaren
Von Dagmar Henn
Hallo? Hallo Herr Lindner, Sie sind gemeint! Sie, und nebenbei auch alle anderen, die gerade über Kindergrundsicherung und Kinderarmut diskutieren. Sie haben ein Wort komplett vergessen! Sicher, man hat sich auch große Mühe gegeben, damit dieses Wort aus der politischen Debatte verschwindet. Aber gerade Sie, Herr Lindner, müssten es wissen können. Interessanterweise sind es nämlich oft die besonders wohlhabenden Väter, die, wenn sie sich eine neue Frau zugelegt haben, viel Energie dahinein investieren, ihre abgelegten Partnerinnen samt Nachwuchs möglichst knappzuhalten, am liebsten gleich auf Hartz IV, Verzeihung, Bürgergeld heißt das ja jetzt.
Können wir das böse Wort einmal miteinander aussprechen? Al-lein-er-zie-hen-de. Richtig. Alleinerziehende. Damit kenne ich mich aus. Auch die Sozialstatistik tut das. Es gibt nämlich zwei Arten von Familien, die besonders von Armut betroffen sind; Kinderreiche und Alleinerziehende.
Übrigens, bei uns, also den Alleinerziehenden – ich war das lange genug, auch wenn meine Töchter inzwischen erwachsen sind –, nützt sogar ein hoher Bildungsstand nichts. Weil das mit der Vollzeitarbeit selbst mit Ganztagsschule schwierig wird, spätestens wenn da mehr als ein Kind ist, und weil in vielen Berufen, die Frauen so ausüben, das Einkommen zwar für eine Person reicht, aber mit einer zweiten sehr schnell knapp wird. Wie war das noch einmal mit dem Gender Pay Gap, der Schere zwischen den Männer- und Fraueneinkommen in Deutschland? Wenn es danach ginge, müssten nach einer Trennung alle Kinder bei den Vätern aufwachsen, die könnten sich das leisten.
Das war übrigens einmal der Ausgangsgedanke für die Kindergrundsicherung. Weil nämlich besonders viele Alleinerziehende das sind, was man "Aufstocker" nennt, sie also zusätzliches Hartz IV, Verzeihung, Bürgergeld brauchen, obwohl sie arbeiten. Und dann zur Arbeit, zur Haushaltsführung und zur Aufgabe, irgendwie mit dem zerfallenden Bildungssystem zurande zu kommen, zu einer Dauerbelastung, von der man sich in keinem Urlaub erholen kann, weil so was zu teuer ist, auch noch den dauernden Kampf mit dem Jobcenter haben. Obwohl sie sich selbst ohne Probleme erhalten könnten; das, was dann ziemlich sicher dafür sorgt, dass das Geld nicht genügt, sind meist die Mieten.
Eine Kindergrundsicherung sollte die Sicherung der Lebensbedürfnisse des Kindes von jener der Mutter trennen, das heißt, eine Mutter, die für sich selbst genug verdient, hätte auch mal endlich was davon, statt noch bei jeder Erhöhung des Kindergeldes mit dem Ofenrohr ins Gebirge zu schauen. Selbst wenn damit immer noch nicht möglich wäre, zusammen in den Urlaub zu fahren, oder wenigstens das Kind in die Ferien zu schicken. Und die sechs Wochen Sommerferien immer noch eine organisatorische Hölle blieben, weil in dieser Zeit die Betreuung trotzdem irgendwie klappen muss, wenn man arbeitet.
Aber klar, Herr Lindner, Sie kennen vermutlich nur die andere Seite der Geschichte, die der wohlhabenden Väter, Zahnärzte oder Anwälte, was halt so in der FDP ist, die darüber klagen, wie anstrengend es ist, das eigene Einkommen so weit runterrechnen zu lassen, dass kein Kindesunterhalt mehr gezahlt werden muss.
Da wundert es dann nicht, dass beim Denken an arme Kinder (zu denen immer auch arme Eltern oder Elternteile gehören) nur Migranten in den Sinn kommen. Die sind immerhin politisches Thema. Wir Alleinerziehenden sind das spätestens seit 2005 nicht mehr, als wir hinter dem Begriff "Langzeitarbeitslose" verschwanden, obwohl selbst eine erwerbslose Alleinerziehende keinesfalls arbeitslos ist.
Das Grundproblem, nämlich Einkommen, die es unmöglich machen, mehr als eine Person davon zu unterhalten, insbesondere als Frau (und das meine ich im ganz traditionellen Sinne, mit Eierstöcken und … Sie wissen schon), das wurde ohnehin schon vor 2005 durch lautes Jubelgeschrei ersetzt, wie gleichberechtigt Frauen doch in Deutschland seien, und daran hat sich seitdem nichts geändert, außer dass inzwischen auch Frauen mit Penis durch die Gegend laufen, die selbstverständlich nicht auf die Idee kommen, auf schlechtere Bezahlung zu klagen, weil sie sich sonst nicht wirklich als Frau fühlen.
Denn, ja, Alleinerziehende sind vor allem Frauen, und arme Alleinerziehende sind so gut wie immer Frauen, eben wegen … und so gern Ihre Bundesregierung sich dafür preist, man dürfe jetzt selbst bestimmen, ob man Männchen oder Weibchen ist, ich garantiere Ihnen, auch andersherum bleibt das beim Schein, und selbst wenn sich alle Alleinerziehenden jetzt zu Männern erklären würden, müssten sie immer noch aufzahlende Sozialleistungen beantragen, weil sie dennoch als Frauen bezahlt würden.
Ihr glorreicher Vorschlag, Integrationskurse und Sprachunterricht seien besser als eine Kindergrundsicherung, wird da sicher auf Begeisterung stoßen. Sollen wir unsere Kinder jetzt zu Transmigranten machen, damit sie davon wenigstens etwas haben? Ihnen also ihre Muttersprache abtrainieren, damit andere sie ihnen wieder antrainieren können? Sich zu transfinanziell zu erklären funktioniert nämlich auch nicht. Und kein Supermarkt des Landes, kein Schuhgeschäft, kein Online-Versender nimmt Transgeld.
Wir bleiben also in der harten Wirklichkeit der Armut gefangen, und bekommen als besonderes Geschenk dazu noch ein weiteres Mal unsere Unsichtbarkeit bestätigt. Denn unter den vermeintlich so gleichberechtigten Frauen, die in Wirklichkeit nach wie vor am selben Punkt stehen, an dem sie sich schon 1977 befanden, als der letzte rechtliche Fortschritt stattfand, sind die Alleinerziehenden die besonders Unsichtbaren, die besonders Beschwiegenen. Denen Sie statt zumindest einer Erleichterung eines Elends, das sich mit den steigenden Preisen noch weiter verschärft hat, Integrationskurse bieten.
Wobei, es gäbe ja eine Variante eines Integrationskurses. Ich erinnere mich daran, wie schmerzlich immer die Momente waren, wenn andere sich über ihre Urlaubsreisen unterhielten. Nicht nur für die Kinder, auch für mich. Das waren Augenblicke, in denen man sehr deutlich fühlt, in der Gesellschaft fremd zu sein. Und fremd zu bleiben – gleich, was man tut, oder wie man sich bemüht. Da braucht es tatsächlich Integrationsbemühungen, für die Mütter wie für die Kinder. Das wäre doch was: eine jährliche Erholungsreise zu Integrationszwecken. Damit die Kinder nicht mehr lügen müssen, wenn in der Schule ein Aufsatz über die Ferien fällig ist, und die Mütter auch ein wenig das Gefühl bekommen, dass ihre Leistung anerkannt wird.
Das ist aber mit Sicherheit nicht gemeint, gell, Herr Lindner? Und dass die Art und Weise, wie ein Land mit seinen Kindern umgeht, letztlich bestimmt, wie viele es davon gibt, das haben Sie sicher auch nicht gemeint. Denn wozu eigentlich Kinder, wenn man fertig aufgezogene Menschen importieren kann.
Aber zugegeben, nach inzwischen achtzehn Jahren politisch organisierter Unsichtbarkeit wüssten wir Alleinerziehenden vermutlich gar nicht mehr, wie uns geschieht, sollte irgendjemand in der Politik plötzlich doch noch bemerken, dass es uns gibt. Wahrscheinlich könnten die Meisten den Schock nicht verkraften. Menschen, um die man sich kümmert? Deren Lebenslage man tatsächlich verbessern will? Das liegt inzwischen so weit außerhalb des Vorstellbaren, dass es ein Märchen sein müsste.
Und richtig, es ist ja auch niemandem sonst in der ganzen Debatte um Ihre peinliche Äußerung das Wort Alleinerziehende eingefallen. Insofern haben Sie alles richtig gemacht.
So, wie das auch ihre Partei tat, vor vielen Jahren, als es Schwarz-Gelb gab. Da stand im Koalitionsvertrag, man wolle die Regelung beim Unterhaltsvorschuss ändern. Beim Unterhaltsvorschuss zahlt die Kommune der Mutter den Mindestunterhalt und versucht, ihn beim Vater wieder einzutreiben. Wer Hartz IV, Verzeihung, Bürgergeld beantragt, muss auch einen Antrag auf Unterhaltsvorschuss stellen.
Nun hat die Sache einen Haken. Wird regulär der Mindestunterhalt vom Vater an die Mutter gezahlt, dann wird kein Kindergeld vom Unterhalt abgezogen, das passiert erst bei einem höheren Kindesunterhalt. Beim Unterhaltsvorschuss wird aber immer noch die Hälfte des Kindergeldes abgezogen. Unter Umständen ist das genau der Betrag, der fehlt, um aus dem Bürgergeld entkommen zu können.
Beim Vater eingetrieben wird dann ebenfalls nur der Mindestunterhalt abzüglich des halben Kindergeldes. Die Mutter, so die Begründung, könne das halbe Kindergeld selbst einklagen. Dass Behörden da ganz andere Möglichkeiten haben als Alleinerziehende, dass auch das Einklagen Geld kostet, das ist alles egal. Ergebnis: Im Regelfall sparen sich Väter, die nicht an die Mütter zahlen, sondern über den Umweg des Unterhaltsvorschusses, jeden Monat das halbe Kindergeld. Ein Anreiz zum Nichtzahlen. Der damalige Koalitionsvertrag enthielt das Versprechen, genau diesen Punkt zu ändern. Passiert ist bis heute nichts. Warum auch. Geht ja nur um Alleinerziehende.
Das wäre schließlich bei all den Zahnärzten, Anwälten und Architekten, die so gerne ihre Ex-Familien demütigen, gar nicht gut angekommen, nicht wahr, Herr Lindner? Und als Freidemokrat weiß man, welchen Klassen man verpflichtet ist, und Alleinerziehende, die sich keinen Porsche leisten können, gehören schlicht nicht dazu, und wer nicht dazu gehört, ist zu Recht unsichtbar, außer er gehört zu einer Gruppe, für deren Betreuung man Bonuspunkte für Edelmut einstreichen kann. Das geht gerade noch mit der Integration von Migranten. Aber Alleinerziehende? Die gibt es nicht.
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