Softpower ohne Kolonialismus – Russlands Afrika-Politik am Beispiel Kraftwerke und Energieträger
Von Sergei Sawtschuk, RIA Nowosti
Russlands Energieministerium empfing unlängst hohen Besuch – Mzuvukile Jeff Maketuka, den Botschafter der Republik Südafrika. Die Parteien erörterten die schon traditionellen Fragen der Organisation von Lieferungen von rohem Erdöl und Raffinerieprodukten. Doch dieses Gespräch ging über das Übliche hinaus.
Der Vertreter Südafrikas schlug vor, dass der russische Energiesektor die Option des Baus eines Gaskraftwerks in Betracht ziehen sollte – dies allerdings nicht als separaten Auftrag, sondern "im Paket" mit einer ununterbrochenen Versorgung mit Flüssigerdgas. Auch die Formulierung ist interessant: Johannesburgs Diplomat äußerte sich zuversichtlich, dass genau ein solches Tandem und gerade mit der Beteiligung russischer Auftragnehmer in der Lage sein wird, einen effizienten Betrieb und damit eine stabile und zuverlässige Stromerzeugung zu gewährleisten. Zudem ist Südafrika bereit, mit russischen privaten wie staatlichen Unternehmen spezialisierte Vereinbarungen über Konzessionsrechte zu treffen, was ebenfalls interessant ist.
Lassen Sie uns vielleicht am Ende beginnen.
Der Begriff "Konzession" als solcher hat seine Wurzeln im lateinischen Wort concessio, was so viel bedeutet wie "Abtretung". Abgetreten wird in diesem Fall das Recht, eine Anlage zu besitzen oder von deren Bau oder Betrieb zu profitieren. Diese Art von Vereinbarung ist seit langem weltweit verbreitet: Sie wird vor allem dann abgeschlossen, wenn ein Staat beispielsweise über reiche Mineralvorkommen oder einen großen Energieabnehmermarkt verfügt, ihm aber die Fähigkeit – meist in Form von Geld – fehlt, diese selber zu erschließen. In diesem Fall bietet der betreffende Staat eigenen oder auch ausländischen Investoren an, in den Bau oder die Modernisierung einer Mine, einer Gas- oder Ölförderanlage auf einem Vorkommen zu investieren, oder aber in ein Kraftwerk beziehungsweise den Betrieb der genannten Industrieanlagen. Im Gegenzug erlaubt er ihnen, die Produkte dieser Anlagen ganz legal und mit Gewinn zu verkaufen. Der Konzessionsnehmer kann, je nach Abkommen oder Vertrag, das erstandene Recht wie das Endprodukt entweder teilweise oder vollständig auf dem Markt verwerten.
Und nun wird russischen Energieunternehmen also angeboten, ein Gaskraftwerk zu bauen und die ununterbrochene Versorgung der Kessel und Turbinen mit verflüssigtem Erdgas sicherzustellen. Johannesburg erhält eine stabile Stromquelle – und die russische Seite erhält die Möglichkeit, Strom direkt auf dem südafrikanischen Inlandsmarkt zu verkaufen.
Erst vor sechs Monaten, gab der Vorsitzende der Afrikanischen Energiekammer, Nj Ayuk, am Rande der Russischen Energiewoche neueste Daten bekannt: Etwa 80 Prozent der Menschen in Afrika haben überhaupt keinen Zugang zu Strom. Berücksichtigt man, dass auf dem Schwarzen Kontinent fast anderthalb Milliarden Menschen leben, so ergibt sich eine Milliarde und einhundertzwanzig Millionen potenzieller Haushaltsverbraucher – Industrieanlagen aller Art sind hier nicht einmal berücksichtigt.
Wenn das Pilotprojekt in Südafrika erfolgreich umgesetzt wird, wird sich für russische Unternehmen ein praktisch bodenloser Markt öffnen – und das wäre in der heutigen Welt, die längst in Interessenzonen aufgeteilt ist, ein völlig einzigartiges Phänomen und daher konkurrenzlos profitabel.
Dieses Betreibermodell, im Englischen bekannt unter der Abkürzung BOO ("build-own-operate", zu Deutsch "bauen-besitzen-betreiben") ist für russische Unternehmen nicht einmal etwas Neues – auch in anderen Bereichen als der bloßen Rohstoffgewinnung. Es war zum Beispiel von Anfang an Teil des Bauprojekts für das Kernkraftwerk Akkuyu, das nur wenige kennen: Das Kernkraftwerk befindet sich in der Türkei, gehört aber dem russischen Staatskonzern Rosatom, mit dem Ankara einen mehrjährigen Vertrag über den Kauf von Strom abgeschlossen hat.
Und es gibt noch eine weitere – äußerst heikle – Feinheit, die zwingend erwähnt werden muss.
Nach internationalen Normen haben die Eigentümer kritischer wichtiger Anlagen, einschließlich der Stromerzeugungsinfrastruktur, das Recht, diese vor allen Arten von Bedrohungen von außen zu schützen. Und das lässt sogar den Einsatz begrenzter, mit allen Arten von Waffen ausgerüsteter Militärkontingente zu. In Anbetracht der Tatsache, dass das offizielle Johannesburg in diesem Winter bereits Armeetruppen in die Kraftwerke des staatlichen Unternehmens Eskom entsandt hat, um Brennstoffdiebstahl und Randale zu verhindern, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Vertreter auch russischer Sicherheitsunternehmen vor Ort auftauchen könnten. Ihre Existenz und ihre Arbeit zum Schutz von Energieinfrastruktureinrichtungen wurden von der russischen Regierung vor nicht allzu langer Zeit legalisiert.
Das ist Moskaus friedliche Expansion – zwar schon oft und viel beredet, aber eben bei weitem nicht so sichtbar wie direkte militärische Präsenz in Form von Stützpunkten. In westlicher Ausführung impliziert Präsenz die unmittelbare Erpressung von Mitteln für die Einrichtung und den Betrieb von Stützpunkten und den von ihnen gewährten "Schutz" – hingegen wird nach dem russischen Schema der örtlichen Bevölkerung eine Energiequelle angeboten, die im Interesse ihres Landes arbeitet. Gleichzeitig will Russland logischer und legitimerweise die jeweilige Anlage schützen und von ihr profitieren.
Ehrlich, offen und ganz ohne demonstrative Heuchelei mit endlosen Reden über Freiheit und Demokratie.
Doch bei dem Treffen des südafrikanischen Gesandten mit Vertretern des russischen Energieministeriums ging es nicht nur um künftige Projekte.
Mzuvukile Jeff Maketuka schlug vor, dass sich Moskau schon jetzt an der Organisation des Betriebes und der Modernisierung des bestehenden Parks an Kohlekraftwerken beteiligen sollte: Südafrikas Kohleindustrie und die kohlebasierte Stromerzeugung, die mehr als 80 Prozent des gesamten Stroms in das südafrikanische Staatsnetz einspeist, befindet sich derzeit in einer schweren Krise – und die kaleidoskopartig wechselnden westlichen Berater und Manager haben die ohnehin schon trübe Situation in der Stromversorgung des Landes nur noch verschlimmert.
Der Fairness halber sei angemerkt, dass natürlich nicht alle derartigen Projekte und Vorschläge in die Praxis umgesetzt werden. Viele bleiben in Form von Absichtserklärungen auf dem Papier. Aber im gegenwärtigen historischen Moment hat Russland, das ja nun bereits eine wahre Flut westlicher Sanktionen überstanden hat und eines der energiereichsten Länder der Welt ist, eine reale Chance, die so viel beredte Softpower in die Praxis umzusetzen:
Neulich hat das staatliche Unternehmen Saudi Aramco offiziell angekündigt, dass es ab September die Erdölpreise für alle Käufer aus Ländern der Europäischen Union drastisch erhöhen wird. Für die Länder Nord- und Westeuropas werden leichte Sorten saudischen Rohöls um drei US-Dollar pro Barrel teurer – und wem das nicht passt, der darf sich einen anderen Lieferanten suchen.
Und nun vergleichen Sie dies zum Beispiel mit dem Gasvertrag, den Österreich abgeschlossen hat, um bis zum Jahr 2040 russisches Gas zu einem Vorzugspreis zu erhalten.
Während also manche nur bewaffnete Schutzgelderpressung anbieten, bietet Russland Licht für jedes Haus.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 13. Juli 2023 auf ria.ru erschienen.
Sergei Sawtschuk ist Kolumnist bei mehreren russischen Tageszeitungen mit Energiewirtschaft als einem Schwerpunkt.
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