Moderne Sklaverei? Bundesländer wollen Flüchtlinge zur Arbeit ohne Lohn verpflichten
Von Susan Bonath
Dass Asylbewerber in Deutschland lange mit mageren Leistungen in überfüllten Heimen hocken müssen, kaum Deutschkurse erhalten und nicht arbeiten dürfen, schafft selbstredend immense soziale Probleme. Deshalb dürfte eine nun publik gewordene Beschlussvorlage für Zustimmung sorgen. Danach wollen die Bundesländer Flüchtlinge zur Arbeit verpflichten. Das klingt erst mal gut, ist es aber nach genannten Prämissen nur für Lohndrücker, die die Ausbeutung aller Beschäftigten auf die Spitze treiben wollen.
Arbeiten ohne Lohn
Wie die Springer-Zeitung WELT berichtete, fordern die Regierungschefs der Bundesländer in dem Papier, dass jeder Flüchtling nach einigen Wochen in einer Erstaufnahmeeinrichtung von der Kommune, der er zugeteilt wird, sofort zu "gemeinnütziger" Arbeit verpflichtet werden kann.
Der Haken daran ist, dass die dann Verpflichteten für ihre Arbeit keinen Lohn erhalten sollen. Im Gegenteil: Statt einer angemessenen Bezahlung würden es für die Flüchtlinge nach dem Willen der Länderchefs – auch von der SPD – ausschließlich Sachleistungen auf dem Niveau der Zuwendungen für Asylbewerber geben. Schon jetzt bekommen Menschen in Flüchtlingsheimen rund 36 Prozent weniger als Bürgergeldbezieher.
Moderne Sklaverei als Geschäftsmodell?
Mit anderen Worten: Die Länderchefs plädieren praktisch dafür, dass der Staat wohl hunderttausende Menschen unter Androhung des Existenzentzugs zwingen darf, ohne Arbeitsvertrag, ohne Lohn und ohne entsprechende Rechte, also für ein Bett und ein wenig Essen, für ein nicht näher definiertes "Gemeinwohl" zu schuften. Dies käme einer Art moderner Sklaverei gleich.
Es würde nicht lange dauern, bis ein neuer Industriezweig entstünde, der mit diesem Geschäftsmodell lukrative Profite erwirtschaftet. Genauso lief das mit der Hartz-IV-Maßnahmen-Industrie. Unternehmen schossen wie Pilze aus dem Boden, die bis heute teils aberwitzige Maßnahmen gegen Bezahlung vom Staat anbieten, während die Jobcenter die Erwerbslosen unter Androhung von Sanktionen in diese hineinzwingen.
Erst Flüchtlinge, dann Arbeitslose …
Noch etwas anderes wäre wohl nur eine Frage der Zeit: Was man mit Flüchtlingen praktizieren kann, geht wohl auch mit deutschen Arbeitslosen. Das wäre einfach umzusetzen: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist und dann nicht für lau arbeitet, bekäme kein Bürgergeld und müsste, wenn ihm niemand hilft, verhungern.
Solche Vorschläge kommen seit vielen Jahren immer wieder aus der Politik. Im August rief die FDP nach einer Arbeitspflicht für Bürgergeld-Bezieher. Im Juni dieses Jahres kam aus der CDU-Spitze ein ähnlicher Vorschlag.
Vor einem Jahr hatte die AfD-Führung im Bundestag ebenfalls für verpflichtende Bürgerarbeit getrommelt, die sogar Erwerbslose verrichten sollen, denen die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I zusteht.
Und auch CDU-Chef Friedrich Merz drischt immer wieder solche Parolen. Er plädierte etwa 2021 dafür, praktisch die Stadtreinigung durch ein unbezahltes Heer von Erwerbslosen zu ersetzen.
Paradies für Lohndrücker
Was dabei herauskommt, belegt die jüngere Geschichte: Mittels Hartz-IV-Sanktionssystem nötigte der Staat Erwerbslose massenhaft dazu, schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Sie hatten schließlich nur die Wahl: Entweder Entzug des Existenzminimums oder schuften zu Dumpinglöhnen. Natürlich konnte Hartz-IV-Einführer, Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), sein schon 2003 erklärtes Ziel damit perfekt erreichen: den Aufbau eines riesigen Niedriglohnsektors. Die Jobcenter "fütterten" diesen schließlich mit Arbeitskräften.
Der wachsende Niedriglohnsektor animierte selbstredend alle Branchen dazu, die Löhne und Gehälter zu drücken. Je schlechter ein Unternehmen seine Angestellten bezahlt, desto mehr bleibt nun einmal für seine Eigentümer übrig. Zugutekam ihnen dabei, dass die repressive Arbeitslosen-Gängelei auch den Beschäftigten einen Maulkorb verpasste.
Denn wer als Arbeitsplatzbesitzer ständig fürchten muss, entlassen zu werden und dann in die völlige Armut abzurutschen, wird wenig Ambitionen verspüren, sich gegen miserable Arbeitsbedingungen zu wehren. Hartz IV war genauso gedacht wie der aktuelle Vorschlag der Bundesländer: Alles, auch die schlimmste Ausbeutung, solle als besser wahrgenommen werden, als in die repressiven Mühlen des Staats zu rutschen.
Rechtlose Unterschicht, Maulkorb für Mittelschicht
Nun stelle man sich vor, der Vorschlag würde umgesetzt: Noch unterhalb des Niedriglohnsektors würde ein weiterer Sektor entstehen, der Mittellose für Essen und Unterkunft noch massiver ausbeutet. Was dann als gemeinnützige Tätigkeit angesehen würde, haben die sogenannten Ein-Euro-Jobs gezeigt: Putzarbeiten, Park-, Grünanlagen- und Denkmalpflege, Arbeit in Sportvereinen und Jugendclubs, und so weiter.
Das Ergebnis: Garten-Landschaftsbau-Betriebe, Sozialvereine, kommunale Unternehmen und nicht wenige Reinigungsfirmen warfen regulär entlohnte Arbeitskräfte raus und ersetzten sie durch Ein-Euro-Jobber. Diese waren für sie nicht nur kostenlos, sondern brachten ihnen zusätzlich eine Art "Betreuungszuschuss" ein.
Der Zwang zu kostenloser Arbeit verknappt somit künstlich das Angebot regulärer Jobs vor allem im unteren Lohnbereich. Das erhöht die Arbeitslosigkeit und verschärft die Konkurrenz ganz unten. Man schafft eine rechtlose Unterschicht, ganz unten die Flüchtlinge, knapp darüber die Erwerbslosen und Niedriglöhner.
Für die echte oder gefühlte Mittelschicht, die um keinen Preis in diese Unterschicht hineinrutschen will, ist das ein perfekter Maulkorb. Sie wird sich gegen schlimmste Arbeitsbedingungen kaum noch wehren – und genau damit das Gegenteil von dem erreichen, was sie eigentlich anstrebt: ihren weiteren Abstieg.
Arbeiten ja, aber nur für angemessenen Lohn
Es kann mithin keine Lösung sein, Asylbewerber und irgendwann auch einheimische Erwerbslose dazu zu zwingen, ohne Lohn zu arbeiten. Das wird am Ende den allermeisten Lohnabhängigen in Deutschland bitter auf die Füße fallen. Sollen alle Normalverdiener bald zu Hungerlöhnen oder für Bürgergeld acht Stunden täglich oder länger schuften?
So eine – im Fall der Umsetzung erwartbare – neoliberale Dystopie war ganz sicher nicht das Ziel der Mutigen, die in den letzten 200 Jahren teils blutig die heutigen Arbeitsrechte erkämpft haben. Ja, Flüchtlinge sollen arbeiten dürfen, unbedingt, aber nur zu fairen Löhnen. Eine moderne Sklavenhaltergesellschaft ist wirklich kein erstrebenswertes Ziel, außer vielleicht für superreiche Profiteure und überbezahlte Politiker.
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