Kriegsverbrechen: Vom unterschiedlichen Wert menschlichen Lebens
Von Gert Ewen Ungar
Die Abriegelung des Gazastreifens durch Israel, die Blockade der Wasser- und Stromversorgung sowie der Beschuss von Zivilisten und ziviler Infrastruktur durch das israelische Militär sind Kriegsverbrechen. Das Leben von Zivilisten ist während eines militärischen Konflikts zu schützen, schreibt die Charta der UN vor. Auch ein angegriffenes Land muss bei seiner Verteidigung das humanitäre Völkerrecht achten. Das Vorgehen Israels in Gaza lässt sich durch den Verweis auf die Brutalität der Angriffe der Hamas nicht rechtfertigen. Eigentlich.
In Deutschland sieht man das in Politik und Medien anders. Man beweist ein hohes Maß an moralischer Flexibilität, wenn es um die Bewertung ähnlicher Ereignisse in unterschiedlichen Regionen der Welt geht. Dieser doppelte Standard macht Deutschland nicht nur unglaubwürdig. Er beweist auch, wie geistig rückständig die deutschen Eliten sind, die Politik und Medien dominieren. Sie denken nach wie vor in den Begriffen des letzten Jahrhunderts.
Vor allem vor dem Hintergrund der Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine wird deutlich, wie einseitig und parteiisch der politisch-mediale Komplex agiert. Russland führe einen "brutalen Vernichtungskrieg", spricht die deutsche Außenministerin in jedes ihr vorgehaltene Mikrofon und macht dazu eine betroffene Mine.
"Russland bombardiert zivile Ziele in der Ukraine ohne Unterlass, Getreidesilos, Krankenhäuser, Kirchen. Und die Ukraine verteidigt sich im Rahmen des internationalen Rechts", sagte Baerbock in diesem Zusammenhang.
Dieses Recht auf "Selbstverteidigung", das sie der Ukraine zugesteht, verweigert sie selbstverständlich den Palästinensern. Den israelischen Beschuss von ziviler Infrastruktur, von Schulen, Krankenhäusern und Moscheen legitimiert sie ebenso wie den Angriff der Ukraine auf zivile Ziele in Russland. Für die Palästinenser fordert sie lediglich "Schutzräume", in die sie sich vor israelischen Bomben in Sicherheit bringen können. Für Russen nicht mal das.
"Die Hamas bringt nichts als Leid und Tod über die Menschen – in Israel und in Gaza. Es ist Hamas' perfide Strategie, die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde zum missbrauchen. Das Drehbuch des Terrors darf nicht greifen. Zivilistinnen und Zivilisten brauchen sichere Räume, in denen sie Schutz finden und mit dem Notwendigsten versorgt werden können", wird Baerbock vom eigenen Ministerium zitiert.
Dass an der Behauptung der deutschen Außenministerin, Russland führe einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, irgendwas nicht ganz stimmen kann, machen die Zahlen im direkten Vergleich deutlich.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte meldete im August 2023 nach anderthalb Jahren "russischen Vernichtungskriegs" gegen die Ukraine die Zahl von 10.000 toten Zivilisten. Zur Einordnung der Zahl muss hinzugefügt werden, dass die UNO die Referenden im Donbass nicht anerkennt und die dortigen Opfer in ihrer Statistik der Ukraine zuschlägt, obwohl sie durch ukrainischen Beschuss zu Tode kamen. Diese Zahl macht einen erheblichen Teil unter den Opfern aus.
Im direkten Vergleich mit Israel wird deutlich, dass sich Russland bei seinem "Vernichtungskrieg" recht ungeschickt anstellt. Oder, und das ist natürlich die weit plausiblere Erklärung, dass es sich bei der Rede vom russischen Vernichtungskrieg um Desinformation und Propaganda handelt, weil das militärische Ziel Russlands nicht die Vernichtung der Ukrainer ist.
Die Vereinten Nationen melden jedenfalls nach einer Woche israelischen Beschusses auf Gaza bereits 2.750 Tote und über 7.000 Verwundete. Noch drei Wochen und Israels "Recht auf Verteidigung" hat den inzwischen zwanzig Monate andauernden russischen "Vernichtungskrieg", zumindest was die Opferzahl angeht, in den Schatten gestellt.
Für diese merkwürdige Asymmetrie interessiert sich deutsche Politik in ihrer Solidaritätsbekundung gegenüber Israel und ihrer Verurteilung Russlands nicht. Den großen deutschen Medien ist sie ebenfalls gleichgültig.
Der Grund für den Konflikt mit Russland ist die Ausdehnung der NATO. Es ist zumindest aus russischer Sicht schon deshalb kein ethnischer Konflikt, weil Russland die Auffassung vertritt, bei Russen, Weißrussen und Ukrainern handele es sich um ein Volk, das sich auf drei Nationen verteilt.
Anders im Nahost-Konflikt. Äußerungen beider Seiten machen deutlich, dass es eine starke ethnische, auch von Rassismus getriebene Komponente des Konflikts gibt. Der Ukraine-Konflikt besitzt diese rassistische Komponente nur aus Richtung Kiew, das sich die Vernichtung alles Russischen zum Ziel gesetzt hat.
Dass sich Israel des Mittels der rassistischen Abwertung und Entmenschlichung des Gegners bedient, wird in Berlin ebenso geleugnet, wie man dort den Beschuss von Zivilisten im Donbass durch die Ukraine unter Einsatz von westlichen Waffen leugnet. Dabei handelt sich, wie beim Bombardement von Gaza durch Israel, um mutmaßliche Kriegsverbrechen.
Während deutsche Medien über den Beschuss von Zivilisten durch die Ukraine einfach gar nicht berichten und trotz des Wissens darum den Mantel des Schweigens über die ukrainischen Kriegsverbrechen breiten, relativieren sie im Falle Israels den Völkerrechtsbruch. So schreibt der deutsche Staatssender Deutsche Welle in einem Beitrag, der sich mit der Frage beschäftigt, ob in Israel Kriegsverbrechen begangen werden:
"Gaza ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt und so überfüllt, dass die meisten Experten sagen, es sei unmöglich, es zu bombardieren, ohne einige der 2,2 Millionen Zivilisten zu töten, die dort leben."
Eine absolut zynische Begründung. Auch die Tagesschau relativiert:
"Zivile Objekte wie Krankenhäuser, Wohnhäuser oder Schulen dürfen nicht angegriffen werden. Doch auch hier ist die Abgrenzung während eines Krieges oft schwierig. Wenn eine Kriegspartei zum Beispiel ein Krankenhaus teilweise als Waffenlager benutzt oder wenn aus einem Wohnhaus Raketen abgeschossen werden, handelt es sich nicht mehr um ein ziviles Objekt, auch wenn sich trotzdem noch Zivilbevölkerung im Gebäude befindet."
Dass dieses Argument der Tagesschau nun plötzlich im Zusammenhang mit Gaza einfällt, nicht aber im Zusammenhang mit beispielsweise dem Kampf um die Donbass-Stadt Mariupol genannt wurde, ist keine Überraschung. Die Tagesschau berichtet nicht neutral, sondern parteiisch. Denn natürlich hat sich die ukrainische Armee und insbesondere das faschistische Bataillon Asow Zivilisten als Schutzschild bedient, Panzer und Haubitzen vor Kindergärten und Krankenhäusern platziert und sich in Schulen verschanzt. Die Information war auch für deutsche Medien recherchierbar. Sie wurden dem deutschen Publikum einfach vorenthalten.
Die deutschen Medien müssen sich daher aufgrund ihrer offensichtlichen Einseitigkeit den Vorwurf gefallen lassen, dass sie auch ganz niedrig gehängten journalistischen Standards nicht mehr genügen. Sie wurden längst von der Politik kooptiert und berichten nur noch "eingebettet", aber nicht mehr unabhängig oder gar kritisch. Der Vergleich zwischen der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg und den Beschuss von Gaza bringt dies in aller Deutlichkeit ans Licht.
Ans Licht kommt dabei auch, dass deutsche Politik und Medien für ein Zwei-Klassen-System stehen, in dem Opfer anhand ihrer Herkunft unterschiedlich gewichtet werden. Prägnanter formuliert: Deutschland steht erneut für Kolonialismus und Rassismus. Die Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens als die zugrundeliegende Idee des Völkerrechts wird weder von der deutschen Politik noch vom deutschen Mainstream vertreten. Dies macht der unterschiedliche Umgang mit den aktuellen Konflikten deutlich. Die Haltung gegenüber den Opfern in Gaza und im Donbass einerseits und denen in Israel und in der Ukraine andererseits unterscheidet sich. Vor der deutschen Politik und deutschen Medien sind die Menschen eben nicht gleich. Ihr Wert unterscheidet sich nach Herkunft. Die bittere Erkenntnis, die sich daraus ergibt: In Deutschland haben es die ewig Gestrigen erneut an die Schalthebel der Macht geschafft.
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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.