Bundesregierung: Naht ein Koalitionsbruch?
Von Dagmar Henn
Wenn sich inzwischen die Gerüchte verdichten, es könne eventuell zu einem Koalitionswechsel kommen, und zwar wieder zurück zu einer Großen Koalition, dann gibt es dafür eine Reihe von Gründen, die in der bisherigen Berichterstattung nicht aufgetaucht sind.
Auslöser sei die Aufforderung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder vor einigen Tagen, der eine "Regierung der nationalen Vernunft" gefordert hatte, um das Thema Migration in den Griff zu bekommen. Klar, dass die Grünen dabei – zumindest an der Oberfläche – das größte Hindernis darstellen (tatsächlich sind es Entscheidungen auf EU-Ebene), und der Bundeskanzler Olaf Scholz hat mit Sicherheit ein größeres Hühnchen mit ihnen zu rupfen, weil die grün forcierte Politik etwa beim Heizungsgesetz bisher vor allem zu einem Absturz der SPD in den Prognosen der Wählergunst geführt hat.
Gleichzeitig treibt sie alle die Angst vor der AfD um, wegen der man zumindest so tun muss, als könne und wolle man an der Lage etwas ändern. Und die CSU hat ein Problem mit der jüngsten Wahlrechtsänderung, nach der Direktmandate bei der Frage des Einzugs in den Bundestag nicht mehr zählen. Das könnte nämlich bedeuten, dass die bayerische Partei auch dann aus dem Deutschen Bundestag fliegt, wenn sie die meisten Direktmandate in Bayern holt – weil sie bundesweit an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Eine juristische Absurdität zwar, die aber vermutlich frühestens nach einem langen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wieder verschwinden wird. Eine erneute Beteiligung an der Bundesregierung könnte die Chancen verbessern, im Bundestag zu bleiben.
Die Stimmung in der Koalition sei, so zitiert ntv Regierungsmitarbeiter, "'miserabel' bis 'vergiftet'". Die SPD-Basis sei "regelrecht geschockt" von den Wahlergebnissen und Umfragen. Der Bericht vermittelt den Eindruck, noch sei in der Fraktion die Stimmung eher dagegen, aber den Ausschlag könne Bundeskanzler Olaf Scholz geben. Wenn er einen Wechsel beschließen würde, weil Die Grünen größere Korrekturen in der Migrationspolitik blockierten, dann würde ihm die Bundestagsfraktion folgen. Entscheiden würde sich das bereits bis zum 6. November; an diesem Datum würden gegebenenfalls die Verhandlungen beginnen.
Es ist natürlich möglich, dass solche Meldungen ein Manöver sind, um Druck auf den grünen Koalitionspartner auszuüben. Aber es ist eine Tatsache, dass gerade die von den Grünen forcierten Projekte – die Zerstörung der Energiesicherheit und das Heizungsgesetz – vor allem zu Lasten der einstigen SPD-Klientel gehen. Die Wählerschaft der Grünen ähnelt sozial eher derjenigen der FDP, da baut man sich gerne eine Solaranlage aufs Eigenheim oder kauft ein Elektroauto, um vermeintlich moralisch sauber protzen zu können. Da ist das, was in weiten Teilen der Bevölkerung das alltägliche Leben erschwert, eher eine günstige Gelegenheit, sich vom Pöbel abzuheben.
Jenseits der Biomarkt-Klientel sind jedoch die tatsächlichen Auswirkungen sowohl der ideologisierten Energiepolitik wie auch der Sanktionen täglich spürbar, ebenso wie die Katastrophe auf dem Wohnungsmarkt, die durch Heizungsgesetz und Migration noch einmal weiter befeuert wird. Genau das zeigt sich in der Entwicklung der Umfragen – nicht nur bei der SPD, sondern auch bei der Linken, deren Wählerschaft sich immer weiter hin zum Spektrum der Grünen-Wähler verschiebt.
Der absurde Effekt wäre also – sollte es zu einem Koalitionswechsel kommen –, dass ein tiefes Unbehagen an einer antisozialen Politik durch ein neues Regierungsbündnis mit einer CDU/CSU unter dem Erz-Neoliberalen Merz aufgefangen werden soll. Mit der Begründung, man müsse jetzt in Bezug auf die unkontrollierte Einwanderung eingreifen. Eine Einwanderung, die vor acht Jahren unter einer ebensolchen Koalition forciert worden war.
Schließlich sollte man nicht vergessen, dass der wichtigste Auslöser die Halbierung der europäischen Beiträge zum Flüchtlingshilfswerk der UN war, was dazu führte, dass in den Flüchtlingslagern in der Türkei monatlich nur noch 15 statt wie zuvor 30 US-Dollar pro Person für die Ernährung zur Verfügung standen.
Mittlerweile ist die Massenmigration ein großes internationales Geschäftsfeld, das verlässlich in den Händen des qualifizierten kriminellen Personals liegt – was aber in Deutschland nie thematisiert werden durfte, weil schließlich das "Wir schaffen das" nicht gefährdet werden durfte. Und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die wirkliche Fürsorge für die so großzügig Eingeladenen eher Mangelware war, jede Möglichkeit, dadurch Geschäfte auf Steuerkosten zu machen – von Sprachkursen bis zu Unterkünften – jedoch weidlich genutzt wurde.
Natürlich wissen alle Beteiligten, dass nach EU-Recht eine Grenzkontrolle nur zeitlich und räumlich begrenzt möglich wäre. Das heißt, entweder müsste sich eine deutsche Regierung daranmachen, dieses Recht zu ändern, oder sie muss nach einer kurzen, durch die Medien getriebenen Anstrengung erklären, da seien ihr leider die Hände gebunden. Dass eine Bundesregierung aus der EU aussteigt, ist eher unwahrscheinlich.
Alle politische Erfahrung der letzten Jahre deutet darauf hin, dass die Show-Nummer das Mittel der Wahl sein wird. Wobei jedoch noch ernsthaft daran gearbeitet wird, wie man möglichst unauffällig aus dem "Wir schaffen das" wieder herauskommt. Der potenzielle Koalitionspartner Friedrich Merz hat dazu gerade erst eine Vorlage geliefert.
Er fordert nun nämlich, dass sich Einzubürgernde "zur Sicherheit Israels" bekennen müssten. Der interessante Hintergrund: die Einwanderer des Jahres 2015 haben genau jetzt die acht Jahre hinter sich, die sie unter der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung brauchen, um einen deutschen Pass beantragen zu können. Nachdem aber zumindest ein großer Teil der Syrer damals Anhänger der Islamisten waren, die man zu jener Zeit mit "moderate Rebellen" etikettierte, wäre ein solcher Punkt die ideale Hürde, ihnen die Einbürgerung zu verweigern.
Und das Schöne ist, dass diese Kehrtwende vollzogen wird, ohne dass irgendeiner der damals Beteiligten (der heutige Bundeskanzler Scholz etwa) auch nur eingestehen müsste, dass man an sich etwas ganz anderes damit vorhatte, als eine Million Menschen und mehr dauerhaft aufzunehmen. Erst im vergangenen Jahr konnte man es in Gestalt der ukrainischen Flüchtlinge noch einmal erleben, wie die Aufnahme einer großen Anzahl Menschen aus einer bestimmten Region dazu genutzt wurde, um – vermittelt über das aufgerufene Mitleid – eine bestimmte außenpolitische Position durchzusetzen.
Jetzt haben die Syrer des Jahres 2015 ihren Dienst getan, und zwischen der westlichen Niederlage in Syrien und der Gegenwart liegen inzwischen die Ukraine und der Gazastreifen. Der Wunsch, unauffällig umkehren zu können, könnte sogar hinter dem selbst von einigen europäischen Nachbarn mit Verwunderung betrachteten deutschen Mangel an jeder Distanz zur gegenwärtigen israelischen Regierung liegen.
Schließlich liefert das – über den Umweg, jede Kritik an Israel sei antisemitisch – den Vorwand, jetzt in vermeintlich unschuldiger Empörung zu erklären, man habe ja nicht wissen können, was man sich da 2015 eingehandelt hatte. Die Gefahr, dass Die Grünen diesen etwas komplexeren Schachzug durchschauen, hält sich in sehr engen Grenzen. Man könnte diese Strategie sogar nutzen, um ihnen zum Abschied noch eins einzuschenken, weil sie gar so blauäugig seien, was die Einwanderer betrifft. Schließlich liegt Merkels berühmter Satz bereits acht Jahre zurück.
Eine Einbürgerung zu blockieren, den beeinflussbareren Teil der öffentlichen Meinung über das Thema Antisemitismus zu wenden und dann mit einer großen Theatervorführung eine entschlossene Politik gegen die Einwanderung zu simulieren, könnte – der Gedanke dürfte angesichts der gegenwärtigen Umfrageergebnisse nahe liegen – weit genug von all den anderen aufgehäuften Schäden ablenken, so dass die Folgen bei den nächsten Landtagswahlen begrenzt werden könnten.
Hoffnungen, dass die so verhängnisvolle Gefolgschaft zu den USA oder die Lohndrückerei, die den infolge des Verlust der Exportmöglichkeiten besonders wichtigen Binnenmarkt abwürgt, durch einen solchen Koalitionswechsel beendet würden oder gar die Sicherheit der Energieversorgung wiederhergestellt würde, dürften sich aber als vergeblich erweisen. Weder der Bundeskanzler Scholz, dessen Mangel an Rückgrat ein Mitarbeiter höchst euphemistisch als sein "behutsames Naturell" bezeichnete, noch der eingefleischte Transatlantiker und Neoliberale Friedrich Merz wären dazu willens oder auch nur imstande.
Aber zumindest die Anfälle von Fremdscham nach Auftritten von Habeck oder Baerbock blieben vielen künftig erspart.
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