Russlands Rache gegen das hochnäsige Europa muss im Voraus vorbereitet werden
Von Dmitri Bawyrin
Am Samstagabend wird Finnland vier Kontrollpunkte an seiner Grenze zu Russland schließen. Anstelle des regen Personen- und Warenverkehrs wird es nur noch zwei Schlitze in der Grenze geben, die die Finnen "Salla" und "Vartijus" nennen.
Sie wurden praktisch nie für den Güterverkehr genutzt, und man kommt nur zu Fuß in diese Lücken, denn zuvor wurde schon die Einfahrt für Autos aus Russland verboten, und vor Kurzem wurde das Verbot auch auf Fahrräder ausgedehnt.
Wenn die Finnen das Radfahren im November verbieten, bedeutet das, dass sie es sehr eilig haben. Bei normalem Tempo hätten sie es erst im Januar verboten.
Offiziell wird all dies mit dem Zustrom von Migranten aus dem Globalen Süden begründet, die nach Russland fliegen und dann versuchen, über die Landgrenze zu Finnland in die EU zu gelangen. Unsere Diplomaten und Grenzschutzbeamten waren jedenfalls verwundert über diese Auslegung. Und die Finnen selbst zögern, das Ausmaß dieser "Invasion" zu beziffern. Wenn aber dennoch konkrete Zahlen genannt werden, so ist die Rede von mehreren Dutzend Menschen.
Griechische und italienische Grenzschutzbeamte, die täglich Tausende von Illegalen ins Land strömen sehen, würden den Finnen ins Gesicht lachen.
Eigentlich hätte man auf die Komödie mit den Fahrrädern verzichten und ganz offen sagen können: Wir wollen uns von Russland trennen – je deutlicher, desto besser. Es kommt einem so vor, als hätten die Finnen Angst, dass wir versuchen würden, ihnen das nach einem solchen ehrlichen Bekenntnis wieder auszureden. Wir werden es nicht mehr tun.
In den letzten zwei Jahren haben unsere Nachbarn (angeblich aufgeklärte Europäer mit einer hohen staatsbürgerlichen Kultur und dem Glauben an die Ideale der Menschenrechte) ihren niedersten Instinkten freien Lauf gelassen. In Bezug auf Russland ist Europa ein vulgärer Rassist, der Menschen aufgrund ihrer Herkunft Probleme bereitet oder sie schamlos erniedrigt.
Und dann passiert etwas Beispielloses: Sogar das Europäische Parlament hat eine (wie alle seine Beschlüsse) unverbindliche Resolution verabschiedet, in der es ein Ende der Beschlagnahmung von persönlichen Gegenständen russischer Bürger unter dem Deckmantel von Sanktionen fordert. Ich schreibe "sogar", weil das Europäische Parlament schon immer eine stärkere antirussische Haltung eingenommen hat als die Europäische Kommission und die Regierungen der EU-Länder (wenn man die baltischen Staaten nicht mitzählt).
Der bizarre Disput darüber, ob ein Finne einem Russen dessen Smartphone wegnehmen kann, findet in hohen Amtsstuben statt. Die Menschen "vor Ort" setzen, wie in allen Zeiten, die Politik der durchgeknallten Partei auf noch raffiniertere Weise um. Ein Grenzbeamter schneidet Holzknöpfe von einem neu gekauften Pullover ab, weil die Sanktionen die Ausfuhr von Holz verbieten, und eine Kindergärtnerin lässt ein Kind für jedes russische Wort zehn Kniebeugen machen.
Diese Beispiele passierten zwar nicht in Finnland, sondern in einem anderen EU-Land – Lettland –, aber viele osteuropäische Länder haben ein gemeinsames Ziel: nämlich immer tiefer zu sinken. Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass die EU bald alte Frauen über den Stacheldraht direkt in russische Schneewehen werfen wird, weil sie kein Lettisch gelernt und ihre Komsomol-Abzeichen in ihren Schränken aufbewahrt haben.
Man sollte sich nicht von Erklärungen täuschen lassen, die behaupten, dass das Verbot von Fahrrädern und Kleidungsknöpfen der Ukraine irgendwie helfen oder den "Organisatoren der russischen Aggression" schaden würde. Von Anfang an wurden die Europäer von Verachtung getrieben: Da sie die Russen als eine zivilisatorisch, wirtschaftlich und kulturell schwächere Volksgemeinschaft wahrnahmen, wollten sie sehen, wie wir ohne sie zu Kreuze kriechen würden.
Nun sind ihre Aktionen aber eher der guten alten Angst vor dem Russen geschuldet, da die Einsätze auf die "Gegenoffensive der ukrainischen Armee" und den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft versiegt sind. Die Europäer isolieren sich selbst, weil sie Angst haben. Sie glauben, dass die Russen ihnen ihre unmenschliche Behandlung nicht verzeihen werden.
Und sie haben recht: So etwas sollte nicht vergeben werden. Unsere moralischen und ethischen Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Union haben sich auf ein Minimum reduziert. Beispielsweise gehört die Ablehnung der Unterstützung ihrer Todfeinde nicht mehr zu diesen moralischen Verpflichtungen. Rache um der Rache willen ist jedoch ein zerstörerischer Weg. Es ist wichtig, nicht denselben niederen Instinkten zu erliegen, die Europa nun in die Selbstzerstörung gestürzt haben.
Denn die Sanktionen sind im Prinzip selbstzerstörerisch. Inflation, Energiekrise, industrieller Niedergang – all das sind Folgen des Versuchs, "Russland zu isolieren". Gleichzeitig nehmen die Europäer aber auch systematisch ihre eigenen Leute unter Beschuss. Sie schaden Europäern, die mit Russland verbunden sind, ebenso wie dem Teil der Russen, der sich weiterhin mit Europa identifiziert.
Es ist unwahrscheinlich, dass das Achmat-Bataillon einen Fahrradausflug nach Finnland plante. Vielmehr war es eine Ausreisemöglichkeit für zum Beispiel einen politischen Emigranten aus Sankt Petersburg, dessen Ausstellung wegen LGBT-Propaganda geschlossen wurde.
Außerdem gibt es auch gemischte Familien. Es gibt Situationen, in denen die Eltern in dem einen Land leben und die Kinder in einem anderen. Es gibt viele Einzelfälle, bei denen die Schicksale von Menschen miteinander verbunden sind. Aber Europa hat mit niemandem Mitleid, denn die Selbstzerstörung hat Priorität.
Bei uns ist das anders. All diese Menschen, deren Leben mit Russland verbunden ist, aber nicht nur mit Russland, sind das Haupthindernis darin, die Europäer für ihre Eskapaden auf eine spiegelbildliche Weise zu rächen. Wir wollen uns selbst und den Unsrigen nicht schaden, indem wir uns zu dem herablassen, wozu sich Europa aus Hass auf uns herabgelassen hat.
Wenn dem so ist, muss das Problem von der anderen Seite her gelöst werden – durch die Entwicklung eines Mechanismus, der es uns ermöglicht, die Unsrigen von den Fremden und die Böcke von den Lämmern zu trennen.
In diesem Sinne ist die Einführung einer Art "Russenkarte" – analog zu der von Polen eingeführten "Polenkarte" – überfällig. Sie verleiht zwar nicht die Rechte eines Bürgers – in der ersten Phase verleiht sie überhaupt keine Rechte –, aber es ist wichtig, sie für den Fall der Fälle zu haben und in der Lage zu sein, sie über das Internet heimlich von den örtlichen Behörden zu erhalten.
Eine solche "Karte" könnte eine Grundlage bilden, auf der bei Bedarf schnell alles Nötige zusammengefügt werden kann. Die Digitalisierung der Dienstleistungen, die zuerst in Moskau und dann in Russland Einzug gehalten hat, könnte auf die gesamte "russische Welt" übergreifen, wenn auch in abgeschwächter Form. Das ist bereits eine Notwendigkeit, keine Laune.
Wir können nicht vorhersehen, welche Ideen die kranken europäischen Köpfe noch hervorbringen werden. Wir wissen nicht, welche Umstände plötzlich eintreten könnten, bei denen wir genötigt sein werden, "die Unsrigen" von "den Anderen" trennen zu müssen, aber es kann zu einer echten Frage von Leben und Tod werden.
Und wenn dies nicht eintritt und wir alle etwas mehr Glück haben, kann die "Karte" zum Beispiel dazu verwendet werden, dass ihre Inhaber die russische Grenze wie gewohnt passieren können, während "die Anderen" (zum Beispiel die Letten) es schwieriger haben werden, in unser Land zu kommen.
Auf jeden Fall brauchen wir zuerst einen Mechanismus und dann werden wir sehen, wieweit die russische Kreativität geht, um die überheblichen Europäer auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Wir haben ihnen gegenüber nur noch wenige Verpflichtungen.
Allerdings haben wir auch ein Gewissen und einen Sinn für Anstand. Daher lassen wir ihnen ihre Hosen und ihre Knöpfe.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen auf RIA Nowosti am 17. November 2023.
Dmitri Bawyrin ist ein russischer Journalist.
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