"Defätismus"? Die verlogenen Argumente des ukrainischen Außenministers
Von Andrew Korybko
Der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba hat soeben in Foreign Affairs einen Artikel mit dem Titel "Es gibt einen Weg zum Sieg in der Ukraine: Die Irrtümer und Gefahren der defätistischen Stimmen im Westen". Der Artikel wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, als der Konflikt endlich abzuklingen beginnt, was bei den westlichen Entscheidungsträgern allerdings Panik auslöste, da sie keinen Plan B für den Fall hatten, dass die Gegenoffensive scheitert. Wenn es nicht zu einer Provokation unter falscher Flagge kommt – wie die, vor der Weißrussland warnte, dass Polen sie plant –, könnte ein "Land-für-Frieden"-Abkommen irgendwann im nächsten Jahr unvermeidlich werden.
Selenskijs Regime tut alles in seiner Macht Stehende, um dies zu verhindern, da er und seinesgleichen wissen, dass dies das Ende ihrer politischen Karriere nach sich ziehen würde, weshalb er seinen Spitzendiplomaten damit beauftragt hat, in seinem jüngsten Artikel gegen sogenannte "defätistische Stimmen im Westen" vorzugehen. Dies ist ein letzter, verzweifelter Versuch, den Konflikt künstlich in die Länge zu ziehen, nachdem sie die offensichtlichen Anzeichen erkannt haben. Doch so sehr er sich auch bemüht – Kuleba kann keine überzeugenden Argumente vorbringen.
Wie es für ukrainische Beamte typisch ist, begann er mit Angstmacherei über die Folgen von allem anderen als einem maximalen ukrainischen Sieg, was jedoch nach so vielen Wiederholungen wenig überzeugend ist. Dann räumte er zwar eine wachsende Skepsis gegenüber diesem Szenario ein, bevor er behauptete, das sei noch immer "militärisch durchführbar, solange drei Faktoren gegeben sind: angemessene Militärhilfe, die rasche Entwicklung industrieller Kapazitäten" im Westen und in der Ukraine sowie "ein prinzipienorientierter und realistischer Ansatz" für Verhandlungen mit Russland.
Im nächsten Teil seines Beitrags ging er auf die Erfolge seiner Seite ein, um den Eindruck zu zerstreuen, dass die bisher an die Ukraine geleistete Hilfe von über 200 Milliarden US-Dollar umsonst gewesen wäre. Kuleba behauptete dann, dass ein Einfrieren des Konflikts nur zu einem weiteren Konflikt führen werde, der dann vielleicht sogar zu einem Angriff Russlands auf die NATO-Mitglieder führen könne, bevor er weiter argumentierte, dass die Hilfe für die Ukraine deshalb keine "Wohltätigkeit" sei. Abschließend zog er Vergleiche zu den Rückschlägen nach der Landung in der Normandie, um damit zu bekräftigen, dass der Sieg heute genauso unvermeidlich sei wie damals.
Anstatt zuversichtlich zu wirken, strahlte Kuleba allerdings Verzweiflung aus, die er auch mit regelmäßigen Verweisen auf einen maximalen Sieg über Russland nicht überzeugend kaschieren konnte. Er hätte seinen Artikel nicht geschrieben, wenn in Kiew nicht die Angst spürbar sei, dass der Westen ernsthaft in Erwägung zieht, sich von diesem gescheiterten Stellvertreterkrieg zu distanzieren. Offenbar haben sie also beschlossen, dass die einzige Möglichkeit, um dies zu verhindern, darin besteht, die Panikmache vor einem Dritten Weltkrieg nochmals zu verdoppeln und gleichzeitig die künftigen Gewinne des militärisch-industriellen Komplexes hochzuspielen.
Dies würde erklären, warum der ukrainische Spitzendiplomat als erstes eine Seite aus dem von seiner Seite vorgesehenen Drehbuch nahm und sich dann erst auf zwei der drei Voraussetzungen für den Sieg konzentrierte, die das sich abzeichnende Narrativ widerspiegeln, welches die US-Ministerien für Verteidigung und für Außenpolitik in den letzten Tagen verlauten ließen. Was die dritte Voraussetzung betrifft, nämlich einen "prinzipienorientierten und realistischen Ansatz" für Verhandlungen mit Russland, so wurde diese eindeutig aufgrund von Berichten der letzten Wochen aufgestellt, wonach der Westen die Ukraine zur Wiederaufnahme solcher Gespräche drängt.
Der russische Außenminister Lawrow enthüllte am Freitag, dass "eine Reihe von hochrangigen, bekannten Führern westlicher Länder, einschließlich eines bestimmten westlichen Führers, eines sehr bekannten, mehrmals – mindestens über drei verschiedene Kommunikationskanäle – Signale gesendet haben, wonach wir uns treffen und darüber sprechen sollten, was mit der Ukraine und der europäischen Sicherheit zu tun ist". Dies geschah einen Tag nach dem Versprechen des russischen Präsidenten, die Ziele der Sonderoperation – Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Neutralität – entweder mit Gewalt oder mit Diplomatie zu erreichen.
Bereits Mitte Juni "deutete Putin nachdrücklich an, dass eine politische Lösung des Stellvertreterkriegs immer noch möglich ist", worüber die Leser in der vorstehend verlinkten Analyse mehr erfahren können. Das Scheitern der Gegenoffensive verstärkte das Interesse des Westens an der Wiederaufnahme von Friedensgesprächen, weshalb der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Admiral Stavridis Anfang November seinen "Land-für-Frieden"-Vorschlag veröffentlichte, der informell darauf abzielt, einen möglichen russischen Durchbruch zu verhindern, da es sich auf eine neue Offensive vorbereitete.
Während das Versprechen von mehr Profit für den militärisch-industriellen Komplex aus Sicht der westlichen Politiker stets eine sehr verlockende Aussicht ist, scheinen nur wenige daran interessiert zu sein, die Territorialgewinne ihrer Seite in diesem Konflikt zu riskieren, indem sie die Feindseligkeiten künstlich verlängern, nur damit ein paar Eliten ein paar US-Dollar mehr verdienen können. Das heißt nicht, dass dieses Szenario völlig ausgeschlossen werden sollte, zumal Austin und Blinken heutzutage genau diese Argumente vorbringen, sondern heißt nur, dass dieser Anreiz in letzter Zeit seinen Glanz verloren hat.
Das Scheitern der Gegenoffensive war ein Wendepunkt, da buchstäblich zig Milliarden US-Dollar an Steuergeldern in eine der am größten aufgeblasenen Kampagnen der modernen Geschichte investiert wurden, ohne dass etwas anderes dabei herauskam als "Russland kontrolliert jetzt fast 200 Quadratmeilen mehr Territorium in der Ukraine". Dieses katastrophale und im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktive Ergebnis macht es politisch schwierig, der westlichen Öffentlichkeit die Politik der fortgesetzten Hilfe zu verkaufen. Und kein noch so großes Geplapper von Kuleba wird daran etwas ändern.
Es ist daher kein so genannter "Defätismus", wenn die Durchschnittsbürger und deren gewählte Vertreter über "gesichtswahrende" und pragmatische Ausstiegsstrategien aus diesem Debakel debattieren, die die Bodengewinne ihrer Seite vor Ort zu bewahren, die bereits mehr als 200 Milliarden US-Dollar gekostet haben, anstatt deren Totalverlust zu riskieren, wenn sie so weitermachen, wie Kuleba es will. Sein Regime hat jedoch ein Eigeninteresse daran, den Konflikt künstlich in die Länge zu ziehen, weil ihre Karrieren auf dem Spiel stehen, wenn dieser Konflikt nicht mit einem maximalen Sieg über Russland endet. Aber anderswo sind die Interessen anders gelagert.
Die militärischen Führer wollen nicht durch eine Fehlkalkulation einen noch größeren Konflikt riskieren, wenn Russland ein Durchbruch gelingt, und sie daher aus Verzweiflung zu einer konventionellen Intervention in der Ukraine gezwungen wären, um eine "rote Linie" zu ziehen, die die oben erwähnten Gewinne unter diesen kurzlebigen Umständen bewahrt. Zwischenzeitlich wollen die Politiker auch nicht den Zorn der Wähler bei der nächsten Wahl riskieren, indem sie weiterhin die hart erarbeiteten Steuergelder für diesen zum Scheitern verurteilten Konflikt verschwenden. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das ist der aktuelle Stand der Dinge.
Das Zusammentreffen dieser militärischen und politischen Dynamik wird wahrscheinlich dazu führen, dass Kulebas Appell auf taube Ohren stößt und nur in den Echokammern ihm gleichgesinnter Kriegstreiber mit ähnlichen Hintergedanken zur künstlichen Verlängerung dieses Stellvertreterkriegs widerhallt. Was er als "wahnhaften Defätismus" abtut, ist simpler Pragmatismus, dessen Zeit nun gekommen ist, nachdem sich das Scheitern der Gegenoffensive als Wendepunkt erwiesen hat, während die Hoffnungen seiner Seite auf einen maximalen Sieg über Russland das wirklich Wahnhafte und auch Gefährliche sind.
Übersetzt aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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