Ukrainischer "David" verliert gegen russischen "Goliath" – Für den Westen wird es uninteressant
Von Wladimir Kornilow
Die Ukraine könnte im Sommer des kommenden Jahres eine Niederlage erleiden! Bis Ende 2026 wird Russland Charkow, Dnjepropetrowsk und Saporoschje einnehmen! Diese Aussagen sind keine Erfindungen der "russischen Propaganda", sondern erscheinen in den größten antirussischen Medien des Westens. Die erste Behauptung stammt aus einem panischen Artikel von CNN, der versucht, vorauszusagen, wie lange das Kiewer Regime ohne westliche Hilfe durchhalten könnte. Die zweite entstammt einer Publikation des russophoben Kommentatoren Julian Röpcke in der Bild, der "geheime russische Pläne" für die kommenden Jahre erfahren haben will.
Es ist bemerkenswert, wie sehr sich der Tonfall der Berichterstattung über die Ukraine im Westen im Vergleich zum Ende des vergangenen Jahres geändert hat. Damals räsonierten alle dortigen Analytiker nur darüber, was und wann Selenskijs bewaffnete Verbände im Rahmen der "Frühlingsoffensive" alles erreichen werden. Und nicht nur im letzten Jahr! Noch Mitte Juli 2023 schwärmte der britische Lord Daniel Hannan in der Zeitung The Daily Telegraph darüber, wie das geschlagene Russland aufgeteilt und wie eine Übergabe seiner Nuklearwaffen "in gute Hände" gewährleistet werden soll. Nach gerade einmal fünf Monaten zetert der gleiche Lord Hannan auf den Seiten ebendieser Zeitung: "Putins Russland nähert sich einem verheerenden Sieg."
Den plötzlichen Sinneswandel erklärte die britisch-amerikanische Schriftstellerin Lionel Shriver in ihrer Kolumne für die Zeitschrift The Spectator. Sie bemerkte, dass alle im Westen des Ukraine-Themas plötzlich überdrüssig seien. Mehr noch, die Umschaltung auf den Krieg im Nahost nach dem 7. Oktober habe eine "versteckte Freude" darüber hervorgerufen, dass man endlich die Ukraine vergessen könne. Und ihre Erklärung klingt in der Tat sehr einfach: "Wir Randbeobachter wollen eine Geschichte über David und Goliath. Doch es ist eine schlechte Geschichte, wenn darin der Riese gewinnt. Ein Starker schlägt einen Kleinen und Schwachen? Vorhersehbar, ein wenig enttäuschend und keine besondere Aufmerksamkeit wert – so ist unsere Welt beschaffen." Deswegen ist es für das breite Publikum inzwischen uninteressant, was mit dem geschlagenen "David" passiert. Ein schlechtes Stück geht zu Ende – und gut ist.
Beachten Sie, wie vehement sich vom Thema der Ukraine gerade diejenigen distanzieren, die direkte Verantwortung für Kiews Scheitern tragen. Michael McFaul, ehemaliger Botschafter der USA in Russland, begann in einer Diskussion in den sozialen Netzwerken, eifrig zu beweisen, dass er mit Kiews Ablehnung der durchaus nachgiebigen Abkommen von Istanbul nichts zu tun habe. "Ich bin bloß ein Professor, der ganz weit weg steht!", behauptete er. Er scheint vergessen zu haben, dass er eine Expertengruppe leitet, die Empfehlungen für das ukrainische Präsidialamt ausarbeitet und die sogar offiziell den Namen "Gruppe Yermak-McFaul" trägt. Nun sei er angeblich "bloß ein Professor". Niemand will die Verantwortung für das Scheitern des ukrainischen "Davids" übernehmen. Westliche Ratten verlassen fluchtartig das ukrainische Schiff.
Allmählich wurde im Westen bei der Einschätzung der ukrainischen Lage das Eingeständnis zum allgemeinen Konsens, dass das Kiewer Regime territoriale Zugeständnisse machen werden müsse. Diskussionen drehen sich einzig darum, welche Gebiete konkret abzutreten seien und wie dies zu dokumentieren sei. Die Denkfabrik RAND Corporation, die zur Ausarbeitung von Washingtons verhängnisvollen Strategie zur "Zerrüttung von Russland" beitrug, generiert inzwischen aktiv Varianten eines Friedensschlusses in der Ukraine – ob es nun eine "deutsche Variante" der Aufteilung der Ukraine in die Entsprechungen der DDR und der BRD mit einer NATO-Mitgliedschaft oder ein "Modell eines Istanbul-Abkommens" sei.
Sie können schlichtweg nicht zur Einsicht kommen, dass es Russland nicht um territoriale Gewinne, sondern um die Gewährleistung seiner Sicherheit geht. Das negiert von vornherein jede Option des Beitritts eines beliebigen Teils der Ukraine zur NATO oder zu irgendeinem anderen antirussischen Block. Was eine Rückkehr zum "Istanbul-Abkommen" angeht, so äußerte sich gegenüber McFaul diesbezüglich der stellvertretende Botschafter Russlands bei den UN, Dmitri Poljanski, recht klar: "Sorgen Sie sich nicht – Selenskijs Ukraine hat alle ihre Chancen auf eine solch günstige Entwicklung verwirkt. Nun wird jedes Abkommen ihre Kapitulation bedeuten müssen. Und der Verdienst dafür liegt bei Ihnen persönlich, Herr Professor."
Und wenn die Bild Karten von "Russlands geheimen Plänen" zeichnet, zeugt dies nur ein weiteres Mal davon, dass der Westen Russlands einfache und klare Forderungen, die noch im Dezember 2021 geäußert wurden, noch nicht einmal im Ansatz analysierte. Sollte es für Russland notwendig sein, Dnjepropetrowsk einzunehmen, damit der Westen diese Forderungen begreift, so sei es, unabhängig von den Fristen. Sollte es danach immer noch nicht klar sein, wird Russland weiter vorrücken müssen, bis die Ziele und Aufgaben der Spezialoperation erfüllt sind.
Russlands Außenminister Sergei Lawrow erklärte vor Kurzem in einem Kommentar zu möglichen Verhandlungen über die Ukraine: "Je länger der Westen Selenskij zwingen wird, Krieg zu führen, desto schwieriger werden für sie die Bedingungen sein, unter denen Verhandlungen beginnen können." Und diese einfache Wahrheit hatte Russland bereits mehrmals wiederholt. Doch es scheint, dass es im Westen in den letzten Jahren so schlecht um analytische Fähigkeiten steht, dass sogar eine solch offensichtliche Tatsache nicht begriffen wird.
Der Westen denkt immer noch in Mythologemen wie das Märchen von David und Goliath: "Lasst uns alle David helfen, damit er den gigantischen Goliath schlägt. Hat es nicht geklappt? Dann interessiert uns der Rest nicht, macht ohne uns weiter. Was haben wir schon damit zu tun? Wir sind einfache 'Professoren'." Das ist die ganze westliche "Analyse" der Lage in der Ukraine.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti.
Wladimir Kornilow ist ein sowjetischer, ukrainischer und russischer Politologe, Geschichtswissenschaftler, Journalist, Schriftsteller und gesellschaftlicher Aktivist. Ehemals Leiter der ukrainischen Filiale des Instituts der GUS-Staaten in Kiew und Leiter des Zentrums für Eurasische Studien in Den Haag. Nach seiner scharfen Kritik am Euromaidan musste er aus der Ukraine flüchten und arbeitet seit 2017 als Kolumnist bei Rossija Sewodnja. Er führt eine Telegram-Kolumne zu aktuellen politischen Nachrichtenanlässen.
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