Meinung

Mobilisierte Ukraine – Wozu sie noch fähig ist

Alexander Sladkow arbeitet für die staatliche Mediengesellschaft WGTRK als Kriegsreporter. Zuletzt beobachtete er einen immer deutlicheren Unterschied in der Motivation der russischen und der ukrainischen Soldaten – und auch die Verbitterung der Todgeweihten.
Mobilisierte Ukraine – Wozu sie noch fähig istQuelle: Sputnik © Gawriil Grigorow / RIA Nowosti

Von Alexander Sladkow

Wissen Sie, dass die Ukrainer verbissen kämpfen? Und sie schießen zurück. Sie verteidigen sich, solange sie Munition haben. Wir kämpfen nicht gegen Prügelknaben. Wenn man aktuell im Internet liest, bekommt man den Eindruck, dass "Iwan der Russe" auf ganzer Frontlänge in den Angriff übergegangen ist und eine feindliche Stellung nach der anderen einnimmt, buchstäblich ohne eine Zigarette aus dem Mund zu nehmen.

Nein. Unsere Soldaten und Offiziere müssen manövrieren, wenden List an, gehen verrückte Risiken ein, überqueren Minenfelder, rennen über offenes Gelände, werfen Granaten auf den Feind, während der Feind sie mit Granaten bewirft, stürmen, nehmen Meter für Meter nur dank unvorstellbarer Geistesstärke ein.

Es gelingt, weil wir motiviert sind und diszipliniert. Wir wollen nicht aufgeben, wir wollen gewinnen. Unsere Infanterie-, Luftlande- und Marinestreitkräfte werden von erfahrenen Kommandeuren befehligt. Gestern war er noch Gefreiter, dann Unteroffizier, dann Zugführer und Kompaniechef. Neulich habe ich mit einem solchen Kommandeur gesprochen: In sein Gesicht haben sich die Reste von Schießpulver dauerhaft in der Haut eingefressen, ihm fehlt ein Arm. Der geschlagene Mann, der fünf ungeschlagene Männer wert ist. Er zieht trotz seines Handicaps persönlich in den Sturm und befehligt seine Männer auf der vordersten Linie.

Ukrainische Offiziere gehen nicht persönlich in den Sturm, das ist ihr Konzept.

Bei uns werden die neuen Rekruten nach einer mehrstufigen Ausbildung zunächst in der zweiten Linie eingesetzt, damit sie sich an den Lärm der Explosionen und den Beschuss gewöhnen. Erst viel später kommen sie in der ersten Linie zum Einsatz, und in den Sturm gehen die, die sich freiwillig melden. In unserem Land sind die neuen Rekruten echte Freiwillige, sie haben sich für den Einsatz entschieden und einen Vertrag unterschrieben.

In der Ukraine sind die Neulinge Opfer der Militärkommissare. Ein Beispiel dafür sind zwei frisch gebackene ukrainische Gefangene, mit denen ich neulich gesprochen habe: Wladimir Grabar aus Winniza, den die Kommissare beim Einkaufen erwischt haben, und Wladimir Belous aus Odessa, der den Müll aus dem Haus brachte, als er – in Hausschuhen – eingezogen wurde.

Der Trend in der Ukraine: Neue Rekruten werden einen Monat lang auf einem Übungsplatz ausgebildet und ziehen dann sofort in den Kampf. Sie werden nachts an die Frontlinie gebracht, ihr Führer zeigt ihnen einen Schützengraben und die Richtung, wo der Feind ist.

Wie oft kommt es vor, dass ein ukrainischer Kämpfer zu einer benachbarten Stellung geht, um Wasser oder Zigaretten zu holen, und dort gefangen genommen wird, und dann kommen die Russen und nehmen seine anderen Kameraden gefangen.

Die erfahreneren ukrainischen Kämpfer stehen meistens in der Nachhut. Sie werden für den Fall eines Durchbruchs der Front gehalten, um unseren Ansturm für einen besser organisierten Rückzug aufzuhalten. Erfahrene Kämpfer werden von Kommandeuren der ukrainischen Armee für den Fall der Verteidigung von Kiew und anderen Städten geschont – nach den Berechnungen der ukrainischen Führung kann das Szenario durchaus Realität werden.

Und noch ein paar Worte zur Ausbildung der ukrainischen Rekruten in Europa. Die europäischen Ausbilder kennen die Philosophie und die Besonderheiten der modernen Kriegsführung in der Ukraine nicht. Sie haben einen klassischen Ausbildungskurs nach dem NATO-Programm gelernt und sie folgen ihm, während der Krieg sich jeden Tag neu erfindet.

Heute ist die Qualität der mobilisierten Soldaten in der Ukraine so, dass sie die Erfüllung der von den NATO-Offizieren und den ukrainischen Befehlshabern gestellten Aufgaben nicht gewährleisten können. Es gibt viele kranke Soldaten, nicht nur dienstuntauglich, sondern wirklich krank. Es gibt sehr viele alte Soldaten und die Menschen fliehen. Zivilisten verstecken sich oder fliehen, um der Einberufung zu entgehen. Die Mobilisierten fliehen auf dem Weg zur Front, von einer der Zwischenstationen. Diejenigen, die es an die Front schaffen, kämpfen mit der Verzweiflung der Verdammten, sterben oder ergeben sich. Sie sind wirklich dem Untergang geweiht.

Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist in der Reihe "Exklusiv für RT" erschienen. 

Alexander Sladkow ist Kriegsreporter für die Mediengesellschaft WGTRK. 

Mehr zum Thema"Marjinka ist unter russischer Kontrolle!" – Aber stimmt das?

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.