Ex-Selenskij-Berater Arestowitsch mit neuer Idee: Kiew und Moskau gemeinsam gegen den Westen
Von Tarik Cyril Amar
Die Ukraine sollte sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einigen, und anschließend sollten sich Kiew und Moskau zusammentun, um den Westen vor einem internationalen Gericht zu verklagen.
Sie denken vielleicht, dass der oben geschilderte Vorschlag eher radikal und seltsam klingt. Den Westen verklagen? Wo? Vor welchem Gericht? Denselben Westen, der kein Problem damit hat, dass die Ukraine oder die USA – oder beide – die lebenswichtigen Nord Stream Pipelines Deutschlands und der EU in die Luft gesprengt haben? Oder jener Westen, der die Mitschuld seiner Staatslenker am israelischen Völkermord in Gaza ignoriert, ein Verbrechen, das in Artikel drei der Völkermordkonvention der UN von 1948 ausdrücklich verboten wird – und zwar sowohl als Tat als auch als Mitschuld oder Duldung?
Aber warten Sie, bis Sie mehr über den schöpferischen Geist erfahren, der diese völlig seltsame Idee hervorgebracht hat. Es handelt sich um niemand anderen als Aleksei Arestowitsch, einst Top-Berater des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij. Außerhalb der Ukraine noch nicht unbedingt ein geläufiger Name, war Arestowitsch bis vor Kurzem ein Mann mit außergewöhnlichem Einfluss in den Machtzirkeln in Kiew und nutzte diesen, um genau jenen Stellvertreterkrieg der Ukraine gegen Russland energisch voranzutreiben, den er jetzt beenden und dem Westen die Schuld dafür geben will.
Aleksei Arestowitsch, Studienabbrecher, zwielichtiger Pop-Psychologe – vom Typ "Wie man andere manipuliert, um erfolgreich zu sein" –, ehemaliger Militär- und mit ziemlicher Sicherheit auch Geheimdienstoffizier, Blogger und Möchtegern-Geopolitik-Guru mit sehr anpassungsfähigen Ansichten und natürlich von 2020 bis 2023 Adjutant von Selenskij. Diese Figur ist nicht nur ein Individuum, sondern ein Syndrom: Er steht für einen Typ Mensch, der zwar klug ist, aber auch ein psychopathisch empathieloser Betrüger, der es geschafft hat, die in postsowjetischen Gesellschaften hinterlassene Orientierungslosigkeit mit kaltherzigem Zynismus rücksichtslos auszunutzen – und das auf eine Weise, die selbst Machiavelli hätte erröten lassen.
Jetzt bedauert er, dass sich Ukrainer und Russen gegenseitig umbringen. "Und wofür?", ist von ihm die Frage geäußert worden. Die Antwort von Arestowitsch darauf ist von jener Art, durch die man im Westen noch vor nicht allzu langer Zeit als Handlanger von Putin abgestempelt worden wäre: "Wir haben die Staatschefs in Washington und Brüssel erfreut, die um uns herum stehen und applaudierend zusehen, wie zwei Affen mit Messern bewaffnet aufeinander losgehen."
Die 180-Grad-Wende von Arestowitsch ist eine weitere Absurdität, die durch die theatralische Politik der Kiewer Eliten hervorgebracht wird. Aber so verbitternd es auch sein mag, diesen ehemaligen Kriegstreiber der Extraklasse über Frieden, Schuld und Sühne sprechen zu hören, der starke Kontrast zwischen dem alten antirussischen Chauvinisten Arestowitsch und dem neuen Möchtegern-Freund Russlands und Feind des Westens, liefert ein deprimierend genaues Augenmaß dafür, wie unverantwortlich die ukrainische Politik unter dem de facto autoritären Regime von Wladimir Selenskij geworden ist.
Im Jahr 2019 war es Arestowitsch, der bekanntermaßen einen großen und verheerenden Krieg mit Russland vorhersagte, wegen der Absicht der Ukraine, der NATO beizutreten. Dies führte schließlich im Jahr 2022 dazu, dass einige naive westliche Kommentatoren von seiner "Weitsicht" schwärmten. Allerdings hat Arestowitsch den großen Krieg im Jahr 2019 nicht wirklich vorhergesagt. Stattdessen hat er diesen Krieg verkauft, so gut er konnte. Er schloss jegliche Möglichkeit einer friedlichen Beendigung des damals seit 2014 schwelenden, kleineren Konflikts mit den Volksrepubliken des Donbass aus. Dabei bediente er sich der üblichen unbegründeten Argumente: Putin wolle die Sowjetunion wieder aufbauen, die NATO und die EU zerstören, Europa dominieren, und so weiter und so fort. Der ganze Quatsch, der damals von Annalena Baerbock bis Tim Snyder in Mode war, um eine Eskalation in einen größeren Krieg als absolut unvermeidlich darzustellen. Das Minsker Abkommen erschien nicht nur kaum auf dem Radar dieses großen Fantasie-Strategen, er beharrte auch darauf, dass eine Neutralität für die Ukraine unmöglich sei. Er täuschte seine Anhänger zu der Annahme, dass die NATO die Ukraine problemlos in ihren Reihen akzeptieren werde, selbst wenn ungelöste Territorialkonflikte und interne Aufstände vorliegen.
Gleichzeitig stellte Arestowitsch den künftigen großen Krieg als große Chance für die Ukraine dar. Nachdem er die falsche Alternative postuliert hatte, entweder nach dem großen Krieg gegen Russland der NATO beizutreten – von dem er leichtsinnig annahm, dass die Ukraine ihn gewinnen würde – oder in naher Zukunft von Moskau absorbiert zu werden, empfahl er voll und ganz Kurs Nummer eins: Krieg mit Russland. Selbst drei solcher Kriege hintereinander schienen ihm unvermeidlich und ratsam – damals zumindest.
Und schließlich lud er die Ukrainer auch dazu ein, sich der Lieblingsphantasie des Westens hinzugeben, nämlich dass Russland zusammenbrechen und einen Regimewechsel erleben könnte. Irgendwelche Liberalen würden in Moskau an die Macht kommen, behauptete er, und sie würden proklamieren: "Wir sind wieder ein schönes Land." Dieser Teil seines Verkaufsarguments für ein standhaftes Nein zur Diplomatie, zu Kompromissen und zum Frieden klingt jetzt besonders ironisch.
In einem Interview mit der russischen Journalistin und Schriftstellerin Julija Latynina hat er schließlich seinen völligen Sinneswandel angekündigt. Latynina ist natürlich die Verkörperung jener Art von Liberalen – oder Libertäre, je nachdem wie man es bevorzugt –, die fast kein Russe ertragen kann, und das aus guten Gründen: Nachdem sie 2008 ihren "Freiheitspreis" vom US-Außenministerium erhalten hat, wurde sie zu einer zuverlässigen Lieferantin rechter Propaganda, die von der Leugnung der globalen Erwärmung, über die Feststellung, dass arme Länder nicht allzu viel Demokratie brauchen, bis zu einer fast obsessiven Islamophobie reichte.
Selbst das gute alte Europa ist ihrer Meinung nach gegenüber den einfachen Menschen immer noch zu gütig: Der ganze "sozialdemokratische Hokuspokus" über Menschenrechte und dergleichen, genügt Latynina nicht. Ihre wahren "europäischen Werte" betreffen Eigentum, Innovation und Wettbewerb. Soviel also zu diesen Regimewechsel-Fantasten. Es ist der Typus Mensch wie Latynina, auf den Arestowitsch gewettet hat. Kein Wunder, dass die meisten Russen, darunter auch diejenigen, die Präsident Wladimir Putin kritisch gegenüberstehen, sich "alles andere als solche Leute" wünschen.
Doch in ihrem jüngsten Tête-à-Tête auf Youtube konnten sich der ukrainische Betrüger und die russische Libertäre nicht ganz einig werden. Sogar Latynina war der Meinung, dass die Idee von Arestowitsch, sich Russland anzuschließen, um die NATO-Staaten zu verklagen, ein wenig erfolglos klingt. Darüber hinaus behielt sie große Ehrfurcht vor dem Westen und musste Arestowitsch daran erinnern, dass dieser "der Ukraine nichts schuldet". Arestowitsch, von seinem neuesten Geistesblitz mitgerissen, bestand hingegen darauf, dass dies der Fall sei.
Beide haben den Punkt verfehlt: Es spielt keine Rolle, was der Westen der Ukraine oder den russischen Liberalen schuldet oder nicht schuldet. Der Westen wird ihnen immer nur das Beste geben, was für den Westen am besten ist – und damit sind normalerweise die USA gemeint. Und wenn das "nichts" ist, dann ist es das, was die Ukraine bekommen wird. Wenn arrogante ehemalige Kriegstreiber wie Arestowitsch bloß endlich anfangen könnten, sich der Realität zu stellen. Der ganzen Realität.
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Aus dem Englischen.
Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul, befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar
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