Meinung

Ein Gespenst geht um in Europa: Bauernaufstand in Frankreich?

Ein Gespenst geht um in Europa: das Gespenst eines Bauernaufstandes. Im Moment ist die so formulierte Beschreibung vielleicht noch etwas übertrieben, aber zumindest in den Büros der Europäischen Kommission und in den Regierungen vieler Mitgliedstaaten spürt man bereits einen kleinen Hauch von Panik.
Ein Gespenst geht um in Europa: Bauernaufstand in Frankreich?Quelle: Gettyimages.ru © Anadolu / Kontributor

Von Pierre Lévy

In Deutschland und Frankreich, aber auch in den Niederlanden, Belgien, Spanien, Polen, Rumänien und sogar im dennoch sehr EU-disziplinierten Litauen haben sich Landwirte bereits mobilisiert oder sind noch dabei, um ihre gesellschaftlich nützliche Arbeit zu verteidigen und sich zugleich die Mittel für ein würdiges eigenes Leben zurückzuerobern.

In Deutschland scheint diese Bewegung noch lange nicht abgeflaut zu sein. Sie erlebte am 15. Januar einen spektakulären Höhepunkt, als Traktoren und Demonstranten in Berlin zusammenkamen. Die französischen Bauern starteten später, aber die Wut, die sich zunächst Mitte Januar durch die Besetzung einer Autobahn im Süden des Landes gezeigt hatte, verbreitete sich innerhalb weniger Tage wie ein Lauffeuer im Land. Blockierte Verkehrswege, besetzte Kreisverkehre: die jahrelang aufgestaute Verzweiflung explodierte plötzlich.

Ein Anlass hat dieses Feuer entfacht: die Bekanntmachung von der schrittweisen Abschaffung der bisherigen Steuerbefreiung für den Kraftstoff landwirtschaftlicher Maschinen (sogenannter Dieselkraftstoff für den Nichtstraßenverkehr, GNR). Dasselbe Element hatte bereits die Mobilisierung der deutschen Bauern ausgelöst. Und diese angeblich "grüne" Steuermaßnahme erinnert an den Funken, der Ende 2018 die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich ausgelöst und die Herrschaft von Emmanuel Macron tiefgreifend destabilisiert hatte.

Eine weitere Gemeinsamkeit mit den Gelbwesten ist die sehr breite Unterstützung, die sich sofort unter den Franzosen zeigte, wie es auch bei den Protesten gegen die Rentenreform im Jahr 2023 der Fall war. Die Bauern, die sich für Straßensperren mobilisiert hatten, sammelten unzählige Solidaritätsbekundungen. Für Landwirte, die sich oft als ungeliebte Menschen fühlen, die beschuldigt werden, den Planeten zu verschmutzen, sind diese Unterstützungen eine wichtige Hilfe und Ermutigung.

Wenn man dann noch bedenkt, dass sich erste Übereinstimmungen mit den wütenden Fischern oder den Straßentransport-Kleinunternehmen abzeichneten, versteht man, warum der neue französische Premierminister Gabriel Attal bereit war, sozusagen "Ballast" abzuwerfen – in der Hoffnung, einen möglicherweise außer Kontrolle geratenden Brand zu löschen.

Am 26. Januar begab sich Attal also vor Ort – auf einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Nähe von Toulouse – und kündigte ein Bündel von Maßnahmen an: die Lockerung bestimmter ökologischer Standards, die Lockerung der Kontrollen, einen Notfallfonds und vor allem die Rücknahme der geplanten Steuererhöhung auf den in der Landwirtschaft unverzichtbaren Dieselkraftstoff GNR. Es ist aber nicht sicher, ob dies alles ausreicht, um die aufgebrachten Landwirte zu beruhigen.

Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen in den einzelnen EU-Ländern unterschiedlich sind, gibt es viele Parallelen zu den dramatischen Schwierigkeiten, mit denen der ländliche Raum überall konfrontiert ist. Die vielen kleinen und mittleren Landwirte sind zunehmend gefangen zwischen sinkenden Realeinkommen (insbesondere durch den Druck der Lebensmittelindustrie und der großen Handelsketten als zunehmend monopolisierte Abnehmer) und steigenden Kosten: Steuern, aber auch die Preise für Düngemittel sowie die Energiekosten (als Folge der von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen) und die immer teurer gemachten Bankkredite (insbesondere im Zusammenhang mit den Zinsentscheidungen der Europäischen Zentralbank).

Wenn man dann noch die von der EU-Kommission in Brüssel verordneten Umweltauflagen (und den daraus resultierenden ausufernden Verwaltungsaufwand) hinzunimmt, versteht man die Verzweiflung, die sich überall breitmacht. Viele Landwirte, die häufig jede Woche siebzig bis achtzig Arbeitsstunden aufbringen, um ein monatliches Einkommen zu erzielen, das unter dem Mindestlohn liegt, oder sogar das Jahr mit höheren Ausgaben als Einnahmen abschließen, verzweifeln dann an der Zukunft ihrer Tätigkeit. Ein Bauer in Zentralfrankreich hat kürzlich auf seinem Traktor folgendes Schild angebracht: "Ich bin Viehzüchter, ich ernähre euch, ich sterbe."

Angesichts der aufkommenden Bewegungen ähneln sich die Reaktionen der verschiedenen nationalen Regierungen. Erstens heißt es: "Landwirte, wir lieben Euch." Zweitens kommt dann: "Nicht Europa ist verantwortlich. Drittens folgt dann die Drohung: "Vorsicht, Sie spielen der extremen Rechten in die Hände."

Der erste Punkt ist nur das implizite Eingeständnis der Machtverhältnisse, der dritte Punkt spiegelt die Tatsache wider, dass die sogenannten "populistischen" Parteien lange Zeit die einzigen waren, die einen (zweifellos nicht unbedingt aufrichtigen) Diskurs führten, der die Öffnung der Grenzen und das quasi-religiöse Dogma bezüglich Klima oder Umwelt infrage stellte.

Doch gerade der zweite Punkt ist die auffälligste Lüge: Die Europäische Union mit ihrer Kommission an den Hebeln der Macht trägt nämlich gewiss eine überwältigende Verantwortung für die derzeitige Situation. Und zwar mit insbesondere zwei Schlüsselpunkten: dem Freihandel und der ökologischen Besessenheit.

Zum ersten Punkt: Der Freihandel im Bereich des Welthandels ist Teil der DNA der EU. In den 1960er und 1970er Jahren hatten zwar die sechs Gründungsmitglieder beteuert, dass sie die Unabhängigkeit von Nahrungsmitteln sicherstellen wollten, und richteten zu diesem Zweck eine Schutzzone für die Landwirtschaft ein, die durch Zölle gegenüber dem Rest der Welt und Ausgleichssubventionen geschützt wurde.

Doch bereits in den 1990er und 2000er Jahren öffnete sich die EU dem starken Wind der Globalisierung. Im Laufe der Zeit hat die EU-Kommission, die das Monopol auf internationale Handelsverhandlungen hat, Freihandelsabkommen u. a. mit Mexiko, Chile, Kanada und Japan geschlossen, und das Abkommen mit Neuseeland wird dieses Jahr in Kraft treten.

Vor wenigen Tagen noch hat sie in Brüssel angekündigt (der Zeitpunkt könnte nicht schlimmer sein und löste  also in einigen Hauptstädten, vor allem in Paris, Zähneknirschen aus), dass die Verhandlungen über ein Abkommen mit Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) sehr bald abgeschlossen werden könnten, obwohl man dachte, sie seien im Sand verlaufen. Das wird sicherlich die europäischen Viehzüchter außerordentlich erfreuen!

Aber auch der Handel innerhalb des EU-Binnenmarktes ist nicht neutral. Denn die von Land zu Land unterschiedlichen Kosten (insbesondere der Preis für Arbeitsleitungen) führen zu einem unlauteren Wettbewerb. Dies wollten die französischen Obst- und Gemüsebauern zum Ausdruck bringen, indem sie Lastwagen mit Waren, die beispielsweise aus spanischen Industriegewächshäusern kamen, stoppten und auf den Straßensperren entleerten.

Ein Sonderfall sind Exporte aus der Ukraine, wie Getreide, aber auch Fleisch und Obst. In einer politischen Geste zur Unterstützung Kiews hob man in Brüssel 2022 die Quoten und Zolltarife für Produkte aus diesem Nicht-EU-Land auf, obwohl es weit davon entfernt ist, die Normen und Regeln der EU überhaupt einhalten zu können. Vor einigen Monaten warnten die französischen Geflügelproduzenten vor einer massiven Flut von ukrainischen Hühnern (127 Prozent Steigerung innerhalb eines Jahres), die unter Bedingungen aufgezogen wurden, die in den 27 EU-Mitgliedstaaten strikt verboten sind. Die französischen Erzeuger, aber auch die Verbraucher leiden darunter.

Am härtesten traf es jedoch die Bauern in Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei: Die in Brüssel beschlossenen Bestimmungen sahen auch "Korridore der Solidarität" vor, die den Transport von ukrainischem Getreide zu weltweiten Abnehmern erleichtern sollten, der aber durch die östlichen EU-Länder im Transitverkehr durchgehen sollte. Die unmittelbare Folge wäre ein Zusammenbrechen der Preise auf deren Heimatmärkten und der Ruin der polnischen oder rumänischen Erzeuger.

Die Aufregung war so groß, dass man in Brüssel diese Erleichterungen vorübergehend aussetzen musste. Nun werden sie aber doch wieder eingeführt, sehr zum Missfallen in Warschau und Bukarest. Von da an mobilisierten sich die Landwirte in Massen. Die neue polnische Regierung, die nach den Wahlen im November 2023 eingesetzt (und eigentlich als sehr EU-freundlich gefeiert wurde), hat angekündigt, dass sie auf diesem Gebiet die Politik ihrer "europafeindlichen" Vorgängerregierung fortsetzen werde: Sie wird nationale Zolltarife beibehalten und damit sehenden Auges gegen das EU-Recht verstoßen.

Die zweite Komponente, die dazu beiträgt, dass die europäische Landwirtschaft dem Untergang geweiht ist, ist die angeblich ökologische Besessenheit, für die sich die EU-Granden als eifrigste Kämpfer ausgeben. Zum Beispiel: Es ist genau im Namen der Umwelt, dass die Europäische Kommission die Mitgliedstaaten aufgefordert hatte, die Besteuerung von Agrarkraftstoffen auf das gleiche Niveau wie die Besteuerung von sonstigem Dieselkraftstoff anzuheben (Vorschlag für eine Richtlinie vom 14. Juli 2021).

Allgemeiner gesagt passierte das mit der Begründung, dass die EU bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens beispielhaft vorangehen müsse. Und so umfasst der sogenannte "Green Deal", der 2021 vom Rat und vom Europaparlament angenommen wurde, nicht weniger als siebzig Verordnungen in verschiedenen Bereichen (Verbot von Verbrennungsmotoren, Kohlenstoffmarkt usw.), von denen fünfzig bereits verabschiedet wurden. Er umfasst auch einen landwirtschaftlichen Teil, der als "Farm to Fork" ("vom Bauernhof bis zur Gabel") bezeichnet wird und dessen Aussicht die ländliche Welt in höchstem Maße beunruhigt.

Dies kommt zu der bereits umgesetzten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik hinzu, die immer mehr Umweltauflagen vorsieht. Zu nennen ist auch der kürzlich verabschiedete Text mit dem Titel "Wiederherstellung der Natur", ebenso die Beschränkungen für Pflanzenschutzmittel und die Verpflichtungen zur Wiederherstellung von Feuchtgebieten, Brachflächen und Hecken.

Die Bauern des 21. Jahrhunderts sind stolz auf das, was sie tun, nämlich die Bevölkerung zu ernähren. Aber sie stellen fest, dass die EU-Technokraten in Brüssel, indem sie ihnen vorschreiben, wie sie das tun sollen, sie in Wirklichkeit in "Landschaftsgärtner" verwandeln möchten – zur großen Freude der Agrar- und Lebensmittelkonzerne übrigens, die den Welthandel vollends beherrschen wollen...

Anfang Januar schlug ein rumänischer Landwirt auf dem Weg zur Blockade von Bukarest an: "Ihr Bauernbrüder, vereinigt euch."

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