Meinung

Gedanken des Balkonisten: Zufälle gibt's – und plötzlich war Frau Nawalnaja in München

Heute verknüpft unser Balkonist, auf die ihm eigene Art und Weise, was der Tod von Alexei Nawalny mit einem Toastbrot zu tun hat, das wider Erwarten auf die "unbeschmierte Seite" fällt. Plus weitere"Zufälle geringster Wahrscheinlichkeit".
Gedanken des Balkonisten: Zufälle gibt's – und plötzlich war Frau Nawalnaja in MünchenQuelle: www.globallookpress.com © Tobias Hase/dpa

Eine Lesermeinung von Mikhail Balzer

Zunächst war an diesem Sonntagvormittag im Februar alles in bester Wochenend-Ordnung: Während unser Balkonist Michael in der Küche den Kaffee zubereitete, dabei ein frisches Toastbrot mit Butter und Marmelade bestrich, seine Frau die Bettwäsche in den frühen Sonnenstrahlen durch das weit geöffnete Balkonfenster ausschüttelte, saß Kater Murr III., wie morgens üblich, auf einem seiner Stammplätze in der Küche, dem leeren Wandregal (der andere Platz ist jener dritte Küchenschemel am kleinen Esstisch, der ansonsten nur für ungebetene Gäste vorgesehen ist) und beobachtete Michael beim Aufbrühen des warmen Getränkes.

Doch nur Sekunden später geschah es, dass das frisch geschmierte Toastbrot infolge eines ungeschickten Sprungs des Katers vom Regal aus der Hand des Balkonisten gefegt wurde. Regelrecht wie in Zeitlupe sah er die trudelnde Brotscheibe sich dem glücklicherweise gefliesten Küchenboden nähern; dabei rätselte er noch, auf welcher Seite diese Scheibe zu liegen käme. Es war bereits das dritte Mal in den vergangenen Tagen, dass eine akkurat geschmierte Brotscheibe durch ungünstige Zufälle aus seiner Hand fiel.

Wenngleich bei den vormaligen Ereignissen Murr III. unbeteiligt war, endete auch dieser heutige "Toastbrotflug" überraschenderweise auf der unbeschmierten Seite! "Das kann nach Murphys Gesetz doch nicht sein!", dachte unser Balkonist. Zugleich fielen ihm aber trefflichere Sprüche aus seiner Studienzeit ein wie "selten ist selten und häufig ist häufig", oder "Kolibris sind in Mitteleuropa selten und leben nicht lange"… nun ja, "auch Zufälle geringster Wahrscheinlichkeit muss es geben", so beruhigte er seinen aufgeschreckten Verstand und entschied aus diesem Grund, mit dem verlegen dreinblickenden Kater nicht zu schimpfen (denn vielleicht würde dies in Zeiten "unwahrscheinlicher Zufälle" Pech bringen!?).

Auch fühlte sich unser Protagonist in einer Anwandlung von Humor an die merkwürdige Science-Fiction Komödie "Hitchhiker’s guide to the galaxy" mitsamt ihrem unendlichen Unwahrscheinlichkeitsantrieb (infinite improbality drive) erinnert. Aber so wie im kleinen Haushalt geschehen doch auch gelegentlich in der großen Weltpolitik ungemeine Zufälle. So zumindest hatte es sein alter Jugendfreund Mortimer am Samstagabend beim Telefonieren ausgedrückt. Vielleicht gerade wegen oder trotz seiner schottischen Vorfahren, die noch an so seltsame Dinge wie Spukschlösser und christliche Wunder geglaubt und den inneren Widerspruch von heidnischer Spuk- und christlicher Mystik gar nicht gekannt hatten.

Vielmehr waren diese noch von einer Koexistenz der Gegensätze oder auch dem simultanen Auftreten zweier für sich schon unwahrscheinlicher Dinge ausgegangen. Mortimer hingegen hatte sich früh, entgegen der Familientradition, den exakten Wissenschaften verschrieben. Vornehmlich ihr gestriges Telefonat berührte wieder einmal jene Thematik, als Mortimer sich ereiferte, welch ein ungewöhnlicher Zufall es doch gewesen wäre, dass quasi zeitgleich zu der Meldung des tragischen Todes von Alexei Nawalny dessen Ehefrau bei der Münchner Sicherheitskonferenz geweilt hätte. Und so wäre es denn gar kein Zufall mehr, dass sie bereits vier Stunden nach der irritierenden Nachricht einen flammenden Appell an die Anwesenden im Bayerischen Hof zu München, wie auch die telemedial zugeschaltete "Weltgemeinschaft" habe richten können.

Und wie bei derart zufälligen Ereignissen üblich, sei auch sogleich der Schuldige ausgemacht, noch bevor alle notwendigen Ermittlungen hätten überhaupt beginnen können (wiewohl die wertewestliche Polit- und sonstige Prominenz ohnehin nicht geneigt sei, den Ermittlungen vor Ort Glauben zu schenken). Die Frage nach Motiven und wem ein solch tragisches Ereignis nutzen könne, habe daher gar nicht erst gestellt werden müssen (was ohnehin dem medialen Millionenpublikum nicht in einfacher Sprache erklärbar gewesen wäre und den abendlich ermüdeten Zuschauer sogar maßgeblich irritiert hätte).

Mit diesen vermeintlichen Feststellungen lief sein Freund nun aber zur Höchstform auf, hatte er doch bereits in der Liste der offiziellen Vortragsteilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz den Namen Julia Nawalnaja nicht finden können, wohl aber in der wesentlich ausführlicheren Liste aller angemeldeten Teilnehmer, welche allerdings eben mit jenem 16. Februar datiert war. Und dort sei sie als "Chairwoman of the Advisory Board, Anti- Corruption Foundation, Moscow" benannt worden.

Bekanntlich gebe es diese Organisation aber gar nicht mehr in Moskau, nachdem die ursprüngliche gleichnamige NGO in Russland verboten und im Sommer 2021 aufgelöst worden sei. Danach sei die Anti-Corruption Foundation im Jahre 2022 erneut gegründet worden, aber nunmehr mit Sitz in New York. Es sei jetzt aber doch recht merkwürdig, wenn Frau Nawalnaja dort mit einem falschen, weil veralteten Sitz der Organisation angemeldet (worden) wäre …

Bereits hier schwirrte dem armen Balkonisten der Kopf vor solcherlei geballter widersprüchlicher Information. Dies gerade auch im Hinblick auf ihre regelmäßigen kontroversen Diskussionen über "wahrscheinliche Zufälle" (oder "wahrscheinliche Unwahrscheinlichkeiten"), wie sie im Werk von Douglas Adams angedeutet wurden. Dessen Bücher hatte im Übrigen auch Mortimer während seiner naturwissenschaftlichen Studienzeit regelrecht inhaliert.

Irgendwie hatte dieses Virus, gelegentlich schräg zu denken, nun auch vom Balkonisten Besitz ergriffen: Rasch, parallel zu dem Telefongespräch, tippte er am Computer sitzend, den Namen dieser Anti-Korruptionsorganisation auf Englisch ein. Tatsächlich fand sich schon bei der orientierenden Recherche im Internet eine weitere Ungereimtheit: Es wurden zwei verschiedene "Chairwomen" benannt – zumeist eine Frau Maria Pevchikh (auch in der englischen und deutschen Wikipedia und einer Twitter/X Seite der NGO selbst), welche seit 22. März 2023 die neue Chairwoman wäre. Hingegen wurde auf der, aus seiner Sicht eher verwirrend und halbprofessionell gestalteten offiziellen Internetseite der NGO, die in den USA registriert ist, Frau Julia Nawalnaja als Chairwoman des Advisory Boards bezeichnet – nachdem man zunächst durch eine Vielzahl von Mitteilungen und Spendenmöglichkeiten bis ganz nach unten auf der Seite scrollen musste.

Abschließend kam sein Freund darauf zu sprechen, dass womöglich unabhängige Kommentatoren, die zu vorsichtigeren Schlussfolgerungen mahnen würden und manche Informationen aus dem Einheitsbrei der Nachrichten kritisch hinterfragten, alsbald der "Putin-Freundschaft" und noch schlimmerer Dinge bezichtigt würden. Der Ermittlungsdrang der meisten Mainstream-Medien stünde hier in krassem Gegensatz zu ihrem offenkundig geringen Interesse an "einer Causa Assange", an dem unlängst in ukrainischer Haft unter weitaus zweifelhafteren Bedingungen verstorbenen, amerikanischen Staatsbürger Gonzalo Lira und dem merkwürdigen Ableben des bei Weitem nicht unumstrittenen Amerikaners John McAfee in einem spanischen Gefängnis anno 2021.

Das gesamte Telefongespräch hatte den Balkonisten in einen unruhig-aufgeregten Zustand versetzt, so wie sich Menschen nach einem selbst leichten Erdbeben fühlen und danach nachts nicht schlafen können. Nicht einmal auf das seichte abendliche Fernsehprogramm konnte er sich nicht konzentrieren, stand immer wieder auf, um einen unsteten Blick durch die Balkonfenster nach draußen zu werfen – quasi um zu kontrollieren, ob in seiner Umgebung noch die normalen Abläufe und Wahrscheinlichkeiten gelten. So verbrachte er auch eine weitgehend schlaflose Nacht, teilweise mit geschlossenen Augen im Sessel auf dem Balkon ruhend.

Nach dem Aufstehen – er wurde aus seinem unruhigen Halbschlaf vom hungrigen Miauen des Katers geweckt – fühlte er sich entsprechend wie gerädert, aber immerhin waren die grüblerischen kritischen Gedanken aus dem Tagesbewusstsein verschwunden, zumindest schien es so. Der Kater fraß aus seinem angestammten Futternapf, er selbst begann in üblicher Routine, den Kaffee zuzubereiten, und seine "kleine heile Welt" wäre auch wieder völlig hergestellt gewesen, wenn an diesem Sonntagmorgen nicht die merkwürdige Geschichte mit dem Toastbrot geschehen wäre. Ungewöhnliche Zufälle gibt’s – doch zum Glück gibt’s noch keine Kolibris in Europa?!

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