Meinung

Lokführer-Streik: Verschärfung des Streikrechts kontraproduktiv

In Deutschland hat eine kleine, machtvolle Gewerkschaft zu Streiks aufgerufen. Schon wird der Ruf nach einer Verschärfung des Streikrechts laut. Das ist der falsche Weg. Deutschland benötigt zur Bewältigung seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme dringend steigende Löhne.
Lokführer-Streik: Verschärfung des Streikrechts kontraproduktivQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Bernd Günther

Von Gert Ewen Ungar

Liest man in diesen Tagen deutsche Zeitungen, dann entsteht der Eindruck, Deutschland habe ein großes Problem: In Deutschland wird gestreikt. Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) hat zu Wellenstreiks aufgerufen. Sie will die DB-Führung die Macht der Gewerkschaft spüren lassen, um ihre Forderungen durchzusetzen: 555 Euro Lohnplus für alle Beschäftigten, Erhöhung der Zulagen um 25 Prozent und eine Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Der Streik führt zu massiven Behinderungen im Zugverkehr, belastet so die Nerven der Fahrgäste und die deutsche Wirtschaft. 

Die GDL ist eine kleine, aber machtvolle Gewerkschaft. Weil sie machtvoll ist, werden nun erneut Forderungen erhoben, das Streikrecht zu ändern, um die Gewerkschaftsmacht zu beschneiden. Streikrecht ja, man ist ja schließlich demokratisch verfasst, aber reicht nicht auch ein Streikrecht, mit dem die Gewerkschaften ihrem Anliegen eher symbolisch als ganz praktisch Ausdruck verleihen können? Streik ohne konkrete Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft ginge doch auch? Nein, das geht natürlich nicht!

Die Forderung ist volkswirtschaftlich dumm und kurzsichtig. In diesen Tagen mehr denn je, denn Deutschland hat noch ein viel größeres Problem als streikende Lokführer: eine geringe Binnennachfrage bei gleichzeitig wegbrechendem Export. Reallohnzuwächse sind in Deutschland inzwischen eher die Ausnahme als die Regel. Reallohnzuwächse, die das Attribut "kräftig" verdienen, gab es schon seit mehreren Dekaden nicht.  

Im Gegenteil sanken mit der Agenda 2010, die zu Beginn des neuen Jahrhunderts von der damaligen rot-grünen Bundesregierung durchgesetzt wurde, die Löhne. Die Gewerkschaften wurden entmachtet, die Flächentarifbindung durchlöchert, der Niedriglohnsektor wuchs rapide an. Das Lohn-Abstandsgebot wurde unterlaufen. Wer arbeitet, hat heute nicht unbedingt mehr, als jemand, der auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Auf Kosten des Wohlstands der deutschen Arbeitnehmer wurde Deutschland Exportweltmeister. 

Danach stiegen die Löhne real mal um null Komma etwas, mal um ein, ganz selten um zwei Prozent. In den vergangenen Jahren sanken sie wieder, der Lohnzuwachs blieb unterhalb der Inflationsrate. 

Das volkswirtschaftlich wesentlich größere Problem als streikende Lokführer ist, dass es den Deutschen an Kaufkraft fehlt. Aus dem Inland kommen keine Wachstumsimpulse. 

Obendrein hat ein recht undurchdachtes Sanktionsregime verbunden mit einem hysterisch und in Panik vollzogenen Ausstieg aus dem direkten Bezug von russischen Energieträgern dazu geführt, dass Deutschland sein Geschäftsmodell verloren hat. Nicht nur die Inlandsnachfrage ist so flach wie die Kurve eines EKG nach Herzstillstand, auch vom Export kommen keine positiven Signale mehr. Eine grundlegende Änderung ist kaum zu erwarten. Die USA haben der EU und Deutschland faktisch den Wirtschaftskrieg erklärt, die EU und Deutschland folgen dennoch den Vorgaben aus den USA und suchen auch gegenüber dem wichtigen Handelspartner China die Konfrontation. In der Folge schwächelt auch der Handel mit China. 

Statt auf Export könnte Deutschland zur Stabilisierung seiner Wirtschaft zur Abwechslung mal auf die Inlandsnachfrage setzen. Dazu aber braucht es steigende Löhne und starke Gewerkschaften, die ihre Forderungen auch durchsetzen können. 

Kräftige Lohnzuwächse wären ein Segen für Deutschland. Leider ist es in Deutschland weit verbreitet, in Löhnen eine Art Almosen der Arbeitgeber und nicht einen Beitrag zu gesamtgesellschaftlichem Wachstum zu sehen. Je weniger Lohn, desto besser für den Standort Deutschland, ist seit Jahren das Credo. Das ist idiotisch und hat mit zu den gesellschaftlichen Verwerfungen beigetragen, denen Deutschland inzwischen gegenübersteht.

Steigende Löhne, steigende Kaufkraft und steigender Wohlstand befrieden die Gesellschaft, während ihre Senkung zu Verteilungskämpfen und Radikalisierung führt. Deutschland braucht daher nicht weniger, sondern mehr Streiks. Durch Fortbildung zu erlangender Aufstieg in höhere Lohngruppen bekämpft zudem den Fachkräftemangel wirkungsvoller als das Abwerben von Fachkräften im Ausland.

Steigende Löhne, eine dadurch steigende Nachfrage, die zu wachsender Auslastung der Produktion, so zu vermehrten Investitionen und schließlich zu einem sich selbst tragenden Aufschwung führt, sollte das Ziel sein. Die Diskussion um eine Beschneidung des Streikrechts kommt zum gänzlich falschen Zeitpunkt, denn die Alternative zu auf breiter Front steigenden Löhnen heißt für Deutschland im aktuellen geopolitischen Umfeld "Abstieg". Das Land braucht im eigenen Interesse mehr schlagkräftige Gewerkschaften wie die GDL und nicht weniger Streikrecht. Lasst es euch gut gehen! Die deutschen Arbeitnehmer haben schon viel zu lange darauf verzichtet. 

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