Meinung

Wie CIA deutsche Medien zu Deppen machte: Ukrainisches Deckungsspiel mit Führungsoffizier Smith

Dutzende Reporter mehrerer deutscher, US-amerikanischer, dänischer und norwegischer Medien waren mit dem "verworrendsten Agententhriller unserer Zeit" das ganze Jahr 2023 über mit dem angeblichen ukrainischen Sabotage-Kommando auf der Segeljacht "Andromeda" beschäftigt. Laut einem ukrainischen Ex-Geheimdienstler sind sie einer von der CIA gelegten Spur gefolgt.
Wie CIA deutsche Medien zu Deppen machte: Ukrainisches Deckungsspiel mit Führungsoffizier Smith© © Screenshot Spiegel-Reportage

Von Wladislaw Sankin

Deutsche Medienkonsumenten erinnern sich sicherlich noch an die aufwendigen Berichte über ein mutmaßliches Sabotage-Kommando aus der Ukraine, das mit der Segeljacht namens "Andromeda" im September 2022 unterwegs war, um die beiden Gas-Pipelines auf dem Grund der Ostsee zu sprengen. Reportagen über die Suche nach den Beteiligten haben sich beinahe zu einer eigenen Gattung entwickelt. Der Spiegel setzte sogar knapp 20 seiner Mitarbeiter für einen Erlebnisbericht ein: Ein Team mietete die gleiche Jacht an, um die Route der mutmaßlichen Täter nachzusegeln und das ZDF drehte darüber einen Film

Es waren Dutzende Journalisten aus mindestens sieben Ländern an der "Bearbeitung" der ukrainischen Spur bei der Nord-Stream-Sprengung beteiligt. Ebenso koordiniert erschienen auch die Artikel bei allen beteiligten Medien: Süddeutsche, Spiegel, NDR, WDR und die anderen – je portionsweise im März, Mai, Juli, August und September. Die Kampagne, die mit den Artikeln in der Zeit, der Tagesschau und der New York Times am 7. März 2023 begann, hat am 8. November mit dem Spiegel-Bericht über den mutmaßlichen Kommandeur der Sabotage-Gruppe ihr abruptes Ende gefunden. Der Sündenbock, der "waghalsige Geheimdienstler" namens Roman Tscherwinski, saß in diesem Moment wegen eines anderen Vergehens schon mehrere Wochen in ukrainischer Untersuchungshaft.

Nach diesem Bericht war plötzlich Ruhe bei dem "verworrendsten Agententhriller unserer Zeit" – so haben die Reporter ihre "Ermittlung" stets bezeichnet. Mindestens sechsstellige Summen hat das Projekt "Andromeda" bei den insgesamt mehr als einem Dutzend beteiligten Medien verschlungen, jedoch nichts Stichhaltiges gebracht. Natürlich haben die Journalisten der Qualitätsmedien, wie in diesem Fall von der Süddeutschen, sich immer wieder gefragt

"War das alles vielleicht nur ein großes Täuschungsmanöver? Oder verfolgen die Ermittler von anderen absichtlich gelegte Spuren – ist es also eine sogenannte 'False-Flag-Operation'?"

Doch dies war nur eine rhetorische Frage, denn die Antwort war schon vorher bekannt: "Anhaltspunkte dafür, dass jemand eine falsche Spur gelegt hat, haben die Ermittler nicht." 

Wenn die Ermittler nur den Anhaltspunkten nachgehen, die ihnen der mächtigste Geheimdienst der Welt gelegt hat, kann natürlich auch nichts anderes rauskommen als diese Erkenntnis. Spätestens seit einer Veröffentlichung des Investigativjournalisten Seymour Hersh am 22. März 2023 – also gut zwei Wochen nach den Erstveröffentlichungen in den deutschen und US-Medien am 7. März – zu einer mit Sprengstoff beladenen Jacht, ist bekannt, was es in Wirklichkeit mit der ukrainischen Spur auf sich hat. 

Hersh erinnerte daran, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang März die Vereinigten Staaten besuchte und mit dem Präsidenten Joe Biden ein 80-minütiges Treffen hatte, an dem größtenteils nicht einmal ihre Berater teilnahmen. Am Ende des Gesprächs gab es keine offizielle Erklärung, aber laut einer Quelle mit Zugang zu diplomatischen Geheimunterlagen sei es darum gegangen, "das Thema Gas-Pipelines offenzulegen".

Hersh gab an (RT DE berichtete), dass nach dem Treffen der beiden Staatsmänner die CIA-Mitarbeiter angewiesen wurden, zusammen mit einem deutschen Geheimdienst ein Ablenkungsmanöver vorzubereiten. Dieses bestand darin, der US-amerikanischen und deutschen Presse eine alternative Version der Nord-Stream-Sprengung zu liefern. Der Journalist wies darauf hin, dass Biden eine törichte Entscheidung über Sabotage getroffen habe und nun gezwungen sei, darüber zu lügen.

Doch die alternative Version war keine "totale Erfindung des US-amerikanischen Geheimdienstes", wie Hersh damals schrieb. Sie war eine von langer Hand vorbereitete versteckte Karte im langen, abgekarteten CIA-Spiel mit der Weltöffentlichkeit. Also eine Erfindung war sie im Endeffekt allemal, aber die ukrainische "Sabotage-Gruppe", die den Anschlag imitieren sollte, war echt und die Spuren, denen die deutschen Qualitätsjournalisten in ihren aufwendigen Recherchen über viele Monate hinweg nachgingen, haben US-Spezialisten bei Täuschungsoperationen absichtlich gelegt. 

Diese Geheimdienstler haben Ermittlern nur das offengelegt, was nötig war, um eine Mutmaßung aufzustellen (Spiegel: "Geheimdienste halten sich sehr bedeckt in diesem politisch brisanten Fall"). Es durften nicht zu viele Informationen sein, sonst hätte die ganze Szenerie außer Kontrolle geraten und kippen können. Außer der Tatsache, dass eine Sprengung der betonierten Stahlrohranlagen in 80 Metern Tiefe mit technischen Mitteln eines Hobby-Taucherteams auf einer kleineren Segeljacht eine an sich schon völlig unglaubwürdige, ja lächerliche Version der Ereignisse war, waren die Personalien der "Täter" die nächste Schwachstelle, die das Lügengebäude hätte zum Zusammenbruch bringen können. Der Name des angeblichen Sabotage-Koordinators wurde erst dann der Öffentlichkeit preisgegeben, als er in Haft geraten war. Die anderen Mitglieder seiner Gruppe blieben bis zum Schluss der Kampagne im Verborgenen. Nun sind sie bekannt. 

Das sind der schon erwähnte Geheimdienstkoordinator Roman Tscherwinski, Andrei Burgomistrenko, Sergei Kuznetsow (ein Offizier der siebten Abteilung für Spionageabwehr des SBU), Oleg Warawa und der ehemalige stellvertretende Bürgermeister von Beleja Zerkow und leidenschaftlicher Hobby-Taucher Ruslan Rudenko sowie die professionelle technische Taucherin Maina Sitalo – eine der besten in der Ukraine. 

Die Namen gab der ukrainische Politiker und Geschäftsmann Andrei Derkatsch am 14. Mai im Interview mit der weißrussischen Nachrichtenagentur Belta bekannt – RT DE berichtete. In zwei Tagen legte der ehemalige SBU-Offizier und Doppelagent Wassili Prosorow in einem Artikel auf seinem Portal UKR-LEAKS bei der Enthüllung mit weiteren Details nach. Offenbar arbeiten die beiden zusammen, beziehungsweise schöpfen ihre Informationen aus denselben Quellen. Vor wenigen Wochen überlebte Prosorow einen Mordversuch durch eine Autobombe nur knapp – RT DE berichtete. Der gefasste Täter, ein ukrainischer Staatsbürger, war vom ukrainischen Geheimdienst SBU angeworben worden. 

Das Attentat zeigt, wie wichtig seine Ermittlungen sind und wie nervös sie die Drahtzieher in Kiew und Washington machen. Die Daten des ukrainischen Überläufers stimmen mit den vorher aus deutschen Medien bekannten Fakten über die Zahl und Zusammensetzung der angeblichen ukrainischen Sabotage-Gruppe überein: Unmittelbar an der Tarnoperation beziehungsweise an der Segelfahrt auf "Andromeda" waren vier Männer und eine Frau beteiligt. Sie haben sich mit gefälschten rumänischen Pässen ausgewiesen. Die vom ehemaligen SBU-Offizier beleuchtete Geschichte mit dem Vermerk "Ermittlung läuft weiter" endet ausgerechnet in Rumänien. 

Was bis dahin geschah, steht im UKR-LEAKS-Artikel. Die vielsagende Spur einer Übung im Tiefwasser des Sokolowski-Steinbruchs in der Region Schitomir hält Wassili Prosorow für absichtlich gelegt, so etwa die Sprengstoffreste auf einem Tisch in der Kajüte an Bord der "Andromeda". Der Sprengstoff sei, wie es aus den deutschen "Recherchen" dazu hieß, "militärisch verwendbar und unterwassertauglich" gewesen.

Behilflich beim Steinbruch-Training waren mit dem SBU verbundene Unternehmer, die auf dem Stausee tätig waren. In einer Grafik zeigt Prosorow das Geflecht der Verschwörer mit der CIA an der Spitze. 

Ihm zufolge haben US-amerikanische Spezialisten die Operation finanziert (über sogenannte Biden-Gelder – Gegenstand einer anderen UKR-LEAKS-Untersuchung), überwacht und organisatorische und technische Hilfe geleistet, unter der Führung von Christopher W. Smith, damals stellvertretender Leiter der US-Mission in Kiew und Teilzeit-CIA-Mitarbeiter in der Ukraine.

Zu seiner Person nennt Prosorow ein interessantes Detail aus seiner Biografie. Smith hat im Jahr 2019 einen Master-Abschluss vom U.S. Naval War College in Newport erhalten. An dieser Einrichtung wird unter anderem gelehrt, wie man mit US-Spezialkräften bei Sabotageoperationen zusammenarbeitet. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies der Grund ist, warum Smith zum Leiter der Nord-Stream-Deckungsoperation gemacht wurde.

Für einen professionellen Ermittler wie Prosorow ein plausibel-nachvollziehbarer Karriereweg. Nach der erfolgreichen Durchführung der Operation "Andromeda" ist Smith zum stellvertretenden Staatssekretär für Osteuropa (EE) und Politik und regionale Angelegenheiten (PRA) im Büro für europäische und eurasische Angelegenheiten am 24. Juli 2023 befördert worden – das Amt eines Vize-Außenministers. Prosorow fasst zusammen: 

"Gegenwärtig habe ich folgende Teilnehmer an der Vertuschungsaktion [Organisationen und Personen] sowie stabile Verbindungen zwischen ihnen ermittelt: Der in Kiew ansässige CIA-Mitarbeiter C. Smith organisiert mithilfe von K. Budanow [Berufsterrorist und Leiter des ukrainischen Militärgeheimdienstes GUR] und seinen Leuten sowie dem SBU die Auswahl und Ausbildung von Spezialisten für das Tiefseetauchen. Die Ausbildung findet im Sokolowski-Steinbruch in der Region Schitomir statt, zu dem die Taucher von S.Sljusarenko ['Budanows Geldbörse'] Zugang erhalten haben. Nach den Testtauchgängen wird die Gruppe für weitere 'Tarnoperationen' nach Rumänien geschickt. Dann kommt der 26. September 2022 – der Tag, an dem die Nord Streams gesprengt werden. Die Tat ist vollbracht."

Die Story um die ukrainischen Taucher war von Anfang an mit weißen Fäden genäht und so für jeden halbwegs denkenden Beobachter ganz offensichtlich. Zu diesem Kreis der Personen gehören die "Rechercheure" von Spiegel und Co mit Sicherheit nicht. Zunächst hieß es, "eine proukrainische Gruppe" könnte die Pipeline sprengen, dann tauchten immer mehr kleinere Details auf, bis sich die Journalisten bei einer Testfahrt auf der "Andromeda" selbst die Frage gestellt haben, ob so eine Unternehmung von hier aus überhaupt möglich wäre – Antwort: Es ist zwar schwierig, aber ja, es ist möglich! War ihnen so eine Zeitverschwendung nicht peinlich? Oder war es Hauptsache, dass der Auftrag großzügig bezahlt wurde? 

Wie zu erwarten, niemand machte im Westen von den Publikationen auf Belta und UKR LEAKS je eine Notiz. Es gab nicht einmal das Dementi, dass alles erlogen und mit nichts belegte Propaganda sei. Der Fall "Andromeda" sollte in Vergessenheit geraten, die Story war doch von Anfang an nicht wirklich ernst gemeint – so stelle ich mir eine Antwort auf unbequeme Fragen vor, sehe das Ganze jedoch anders. 

Wenn das Thema nicht ernst gemeint war, wie ist dann der enorme Rechercheaufwand mit Dutzenden über Wochen und Monate umherreisenden Mitarbeitern, die dafür von den wichtigeren Themen abbestellt werden mussten, zu rechtfertigen? Offenbar galt bei diesem Sonderauftrag ein anderes Kosten-/Nutzen-Verhältnis, beziehungsweise die Recherchen waren nur eine politische Aufgabe, die ohne groß nachzufragen einfach zu erfüllen war.  

Außerdem weiß ich aus eigener Erfahrung, dass Medien, selbst wenn sie einem politischen Spektrum angehören, in diesem Fall dem antirussischen Mainstream, sich zueinander grundsätzlich in Konkurrenz befinden. All die "gemeinsamen Recherchen" und sonstige Zusammenschlüsse werden auf obersten Führungsetagen beschlossen, koordiniert und per Befehlskette nach unten geleitet. Von den Stellen aus, wo der Draht zur Politik am kürzesten ist. Eine solch massive und koordinierte Kampagne zu so einer Nullnummer wie "Andromeda" zu machen, könnte wohl nur durch die unmissverständliche Intervention von "Männern in zivil" zustande kommen. Seymour Hersh hat in seinem Artikel vom 22. März 2023 nichts erdacht, sondern die Tatsachen beschrieben, und Andrei Derkatsch sowie Wassili Prosorow haben mit ihren Enthüllungen seine These bestätigt. 

Die Art und Weise, wie eine Handvoll deutscher Medien, darunter auch mehrere öffentlich-rechtliche, mit dieser beispiellos gut koordinierten gemeinsamen "Recherche"-Aktion ihr Millionenpublikum fast ein Jahr lang mit einer extrem unglaubwürdigen geheimdienstlichen "Ente" zu einer der wichtigsten unbeantworteten Fragen der Gegenwart an der Nase herumgeführt hat, gehört zweifellos als Sonderkapitel ins künftige Buch über die Geschichte der peinlichsten Medienmanipulationen. 

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