Meinung

Wer ist das noch mal? Russland hat vergessen, dass es Olaf Scholz noch gibt

Nach dem deplatzierten Grinsen beim Treffen mit Wladimir Putin und seinem Verhalten in der Nord-Stream-Affäre haben die Russen für Bundeskanzler Olaf Scholz nicht mal Verachtung übrig: Scholz wird einfach nicht beachtet. Aber wirklich nur von den Russen?
Wer ist das noch mal? Russland hat vergessen, dass es Olaf Scholz noch gibtQuelle: www.globallookpress.com

Von Wladislaw Sankin

Was kann für einen Politiker schlimmer als Nichtbeachtung sein? Nur noch mehr Nichtbeachtung. Deutschland ist eine parlamentarische Demokratie, weil der Regierungschef, also der Bundeskanzler, direkt durch das Parlament, den Bundestag, gewählt wird. Bundeskanzler ist Olaf Scholz, und wenn er vor dem Gremium, das ihn dazu ernannt hat, eine Rede hält, dann müsste diese Rede schon etwas Gewichtiges sein, auch für das Ausland.

Schließlich ist die Bundesrepublik eine stolze Industrienation (Scholz am 24. Juni: "Deutschland ist und bleibt Industrieland"), Mitglied der G7, "Motor" der Europäischen Union und, und, und. Ja, nicht zu vergessen: Deutschland ist Weltmeister im Reisen, weil die Deutschen mehr Geld pro Kopf für Reisen ausgeben als alle anderen. Also gehört Deutschland eindeutig in die Königsklasse der Nationen. Das sage ich ohne jegliche Ironie, ganz im Ernst!

Und wenn der Regierungschef eines solchen erstklassigen Landes wie Deutschland auch noch über die wichtigste Frage der Menschheit spricht – über Krieg und Frieden –, müssten diese Worte zumindest vernommen werden. Vor allem von jenen, an die sie gerichtet sind: von den Russen. Oder zumindest von deren Regierung. Am 26. Juni hat der wichtige Mann (Scholz) am wichtigen Ort (Bundestag) im wichtigen Land (Deutschland) zu einem wichtigen Thema (Wladimir Putins Bedingungen für einen dauerhaften Frieden im Ukraine-Krieg) Stellung genommen. Und was sagen die Russen dazu? Wie reagieren sie?

Die Rede des Bundeskanzlers fing pünktlich um 13:00 Uhr an. Um 15:00 hat der X-Kanal von Scholz den Videoausschnitt mit Stellungnahme des Kanzlers zu Putins Friedensvorschlag gepostet - mit folgendem Satz: "Russland will keinen Frieden – aber die Ukraine: gerecht, ohne Unterwerfung und Angst vor neuer Aggression." RT DE hat das Video mit dem Ausschnitt aus der Rede des Kanzlers unter dem Titel "Scholz wirbt für RT: Wer an Putins Friedensvorschlag glaubt, muss viel Russia Today schauen" gegen 18:30 Uhr veröffentlicht. An Russland und Putin hat Scholz direkt appelliert:

"Russland muss die klare Erwartung der Weltgemeinschaft spüren, sich nicht länger einer Möglichkeit für den Frieden zu verweigern. Putin muss erkennen: Er wird das Ziel der Unterwerfung der Ukraine auf dem Schlachtfeld nicht erreichen."

Der russische Präsident müsse auch Lehren aus dem Scheitern seines Plans der Verhinderung eines Kredits an die Ukraine ziehen, fügte Scholz hinzu – des Kredits aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten in Höhe von 50 Milliarden Dollar. Gut 30 Minuten redete Scholz insgesamt und umriss viele weitere internationale Themen. Vor allem hat er nicht vergessen, Joe Biden und "unseren transatlantischen Partnern" für alles zu danken, wofür es zu danken gilt, und hat versprochen, auch in Zukunft alle Entscheidungen "in engster Abstimmung" mit ihnen zu treffen.

Fünf Minuten seiner Rede hat Scholz Russland gewidmet. Gemerkt haben es die Russen erst am nächsten Tag. Am späten Vormittag vermeldeten mehrere russische Internet-Zeitungen kurz und knapp: "Bundeskanzler Scholz wirft Russland vor, den Dialog über den Frieden in der Ukraine zu verweigern". Eine kritische Auseinandersetzung mit den Aussagen des Kanzlers fand dabei nicht statt. Die ohnehin verspätete Nachricht kam einfach als Newsticker-Meldung durch. Nur einige Zeitungen haben sich erlaubt, die Vorwürfe des Kanzlers als "dreist" zu bezeichnen.

Wirklich interessant fanden sie dabei nicht die Aussagen von Scholz, sondern die Reaktionen der X-Nutzer darauf. "Die Haltung des Bundeskanzlers sorgte bei seinen Mitbürgern für Empörung. In Kommentaren zu dem Beitrag verdächtigten deutsche Nutzer Scholz, realitätsfremd zu sein, und fragten, ob er denn selbst Frieden wolle oder nicht", schrieb etwa MK.

Des Kanzlers Rede als Fraß für X-Trolle also. Kein einziger russischer Politiker, weder in der Staatsduma noch im Sicherheitsrat oder im Außenministerium, hat die Vorwürfe beachtet. Dmitri Medwedew schwieg, Maria Sacharowa schwieg, Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin schwieg. Auch die Krim-Abgeordneten, die gerne alles und jeden kommentieren, schwiegen und schweigen. Was der Herr Bundeskanzler im Tempel der Deutschen Demokratie in Berlin zu Russlands Initiativen in einem verlustreichen, andauernden Krieg sagt, interessiert die Russen schlicht und einfach nicht.

Aber warum sollten sich die Russen über die Meinung des Kanzlers über sie aufregen, wenn sie auch den Deutschen egal ist? Unabhängig davon, wem er was sagt. Auf dem offiziellen YouTube-Kanal der Bundesregierung werden benutzerfreundlich aufbereitete Kanzler-Videos nur selten mehr als tausendmal angeklickt.

Die Glückwünsche für Scholz beim G7-Treffen am 14. Juni mit ihren knapp 2.900 Aufrufen sehen vor dem Hintergrund dieses Desinteresses wie ein wahrer Hit aus. Ja, das Video müsste ein Hit sein! US-Präsident Biden, bei dem sich Scholz in der bisherigen Zeit seiner Kanzlerschaft so uneigennützig anbiederte, stimmte dabei höchstpersönlich "Happy Birthday" an. Erfreulich dabei: Den Namen des Kanzlers hat er nicht verwechselt!

Übrigens, hat jemand gewusst, dass Scholz am 14. Juni Geburtstag hatte? Jetzt wissen wir es. Mehr noch, auch sein Alter kennen wir nun: Am 14. Juni wurde der Kanzler 66.

Mehr zum ThemaFurcht und Elend des Maidan, oder: Was Olaf Scholz begrüßt, wenn er "Slawa Ukraini" sagt

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.