Neues von der Bundesnetzagentur oder: Wie sich Grüne Industriestrom so vorstellen
Von Dagmar Henn
Bei allem, was im Umfeld von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck entsteht, weiß man schon vorab, dass die Fratze des Wahns irgendwo hervorgrinst. Allerdings war die Presseerklärung, mit der die Bundesnetzagentur, eine "Bundesoberbehörde im Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums", einst gegründet, um das privatisierte Telefonnetz zu betreuen, ihre Vorstellungen zur künftigen Stromversorgung der Industrie verkündete, schon ein ganz besonderes Schmankerl.
"Die alten Netzentgeltrabatte entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist. Wir wollen zukünftig systemdienliches Verbrauchsverhalten der Industrie besonders anreizen. Industrie und Gewerbe sollen reduzierte Netzentgelte zahlen, wenn sie in Situationen mit hohem Stromangebot mehr Strom verbrauchen. Andersherum erhalten sie auch dann eine Reduktion der Netzentgelte, wenn sie in Zeiten eines knappen Stromangebots weniger Strom verbrauchen."
Klingt lustig, oder? Der Strompreis für die Industrie soll je nach Angebot steigen oder sinken, um damit einen "Anreizmechanismus" zu schaffen, dann Strom zu verbrauchen, wenn es besonders viel davon gibt.
Man könnte Wetten darüber abschließen, dass die Autoren dieses Plans in ihrem Leben noch keine Fabrik von innen gesehen haben. Schon gar keine große, einen von jenen mit Conti-Schichtsystem, die 24 Stunden am Tag in Betrieb sind. Oder ein Stahlwerk. Nicht einmal eines der von ihnen so herbeigesehnten Elektrostahlwerke, die dann nur "grünen" Strom beziehen.
Weil sie sich wirklich einzubilden scheinen, eine moderne Industriegesellschaft könne so funktionieren wie Fronarbeit im Mittelalter – im Sommer wird gearbeitet, solange es hell ist, und im Winter eben gar nicht. Nicht zu vergessen, dass da dann der Wind auch noch eine Rolle spielt. Also vielleicht so wie Fronarbeiter in einer Windmühle im Mittelalter? Tagsüber und nur bei Wind?
Selbst vor vielen Jahrhunderten versuchte man bereits, halbwegs verlässliche, tageszeit- und wetterunabhängige Wege der Energieversorgung zu finden. Wassermühlen und Gesenkschmieden beispielsweise, oder durch Wassermühlen betriebene Sägewerke. Wahrscheinlich fragt man sich in der Bundesnetzagentur, warum nur, und hält es für natürlicher, einfach nur bei Sonne und Wind zu arbeiten.
Klar, die Aussage lautet nicht, dass der Strom abgedreht wird. Sie lautet nur, dass er teurer wird. Aber hinter jeder Produktion steht eine Kalkulation; Schichtsysteme rund um die Uhr gibt es, weil das billiger ist, als für denselben Ausstoß drei Fabriken zu bauen, die jeweils nur acht Stunden in Betrieb sind. Die Strompreise sind Teil dieser Kalkulation, und auch wenn in Deutschland wie in der EU gewisse Teile der Verwaltung ganz besoffen sind von der tollen Idee von Strombörsen (denen die gewöhnlichen Einwohner die Hälfte ihrer Strompreisinflation verdanken), in Wirklichkeit mag es die Industrie zwar, wenn an den Aktienbörsen herumspekuliert wird, aber bei allen Dingen, die in die Produktion einfließen, egal, ob Rohstoffe, Hilfsmittel oder eben Energie, mag sie es, wenn die Preise vorab berechenbar und möglichst stabil sind.
Das hat einen einfachen Grund – es gibt eben eine Schwelle, ab der sich die Produktion nicht mehr lohnt. Das betet die chemische Industrie derzeit fast täglich vor, während sie ihre Fabriken schließt und verlagert. Und die Kriterien, wann sich das nicht mehr lohnt, sind vergleichsweise einfach. Wenn die Produkte zu teuer werden, dann die Anlage nicht ausgelastet ist und dieser Zustand länger anhält, beispielsweise. Oder wenn Zulieferer unzuverlässig werden.
Sie hätten es eigentlich lernen können, selbst die Mitarbeiter der Bundesnetzagentur oder ihre Vorgesetzten im Wirtschaftsministerium, als während Corona teilweise ganze Betriebe in der Automobilindustrie stillstanden, weil bestimmte Teile fehlten. Genau das würde eine derartige Regelung reihenweise produzieren, wenn Betriebe an irgendeinem Punkt der Lieferkette mal eben nicht produzieren, weil es gerade bewölkt, aber windstill war.
In den allerwenigsten Fällen ist Produktion so flexibel, dass sie tatsächlich spontan erhöht oder vermindert werden kann. Wie gesagt, da hat jemand noch nie eine Fabrik betreten. Es gibt zudem eine Reihe von Produktionsprozessen, die gar nicht unterbrochen werden können, Schmelzen zum Beispiel. Oder solche, deren Anfahren nach einer Unterbrechung eine Frage mindestens von Stunden ist. Die chemische Industrie ist da bestimmt auskunftswillig.
"Flexibilitätspotentiale" verspricht sich das Grünvolk. Und wie, bitte, wirkt sich das dann auf die Löhne aus, wenn der Laden mal läuft und mal steht, weil gerade "flexibel" wegen der Strompreise abgestellt wird? Wie sollen dann die Beschäftigten ihren Lebensunterhalt begleichen, ihre Miete zahlen? Mit der Bemerkung "war zu wenig Sonne"?
Sprachlich Überheblichkeit ausdrücken und klug tun, das können die Herren und Damen dieser Behörde vorzüglich. Abitur haben sie bestimmt. Eine kleine Kostprobe?
"Die genaue Austarierung des Anreizmechanismus hängt von den technischen Möglichkeiten der Industrie ab, Mengen- und Preisentwicklungen zu prognostizieren und flexibel darauf zu reagieren. Dabei soll keine Überforderung der Letztverbraucher erfolgen, sondern das tatsächlich vorhandene und künftig erreichbare Flexibilitätspotential realisiert werden."
Nur Verstand, Verstand haben sie keinen.
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