Meinung

Das neue Geschichtsbuch Deutschland – oder wie Fakten skrupellos verdreht werden

Nach dem Sturm der Empörung ruderte die Bundesregierung zurück und strich die "ehrwürdigen Generäle" wieder aus dem aktuellen Traditionserlass. Doch der Versuch, den Nationalsozialismus zu relativieren, folgt einem größeren Plan.
Das neue Geschichtsbuch Deutschland – oder wie Fakten skrupellos verdreht werdenQuelle: Legion-media.ru © Credit: Imago

Von Tom J. Wellbrock

Im Traditionserlass von 2018 fanden nur Wehrmachtssoldaten einen Platz, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus waren. Doch die "Zeitenwende" und die damit verbundene Kriegstüchtigkeit führte zu einer unfassbaren Erweiterung:

"Die rund 40.000 von der Wehrmacht übernommenen ehemaligen Soldaten hatten sich zu großen Teilen im Gefecht bewährt und verfügten somit über Kriegserfahrungen, die beim Aufbau der Bundeswehr unentbehrlich waren."

Den Grund für die Änderung lieferte Generalleutnant Kai Rohrschneider, der die Ansicht vertritt, es brauche Beispiele "für militärische Exzellenz, Einsatzbereitschaft und den Willen zum Kampf zum Ziel, wenn es der Auftrag erfordert". Damit lobt der Mann die Taten des Nationalsozialismus, er verneigt sich vor den Tätern des Zweiten Weltkriegs und ignoriert die Tatsache, in welchem Zusammenhang Exzellenz, Einsatzbereitschaft und der Wille zum Kampf stehen.

Mehr noch: Rohrschneider setzt die Taten der Wehrmachtsoldaten gleich mit denen, die er sich von der Bundeswehr wünscht. Letztlich bringt er eine einfache Formel zum Ausdruck: Egal wer, egal wie, Hauptsache, Russen werden getötet.

Der neue, dann wieder geänderte Tradtionserlass war der Versuch, die Geschichte Deutschlands umzuschreiben und ihre Bedeutung zu verändern. Wenn die Taten von Wehrmachtsoldaten im Nachhinein zumindest teilweise geehrt werden, wird damit dem Regime von damals eine zumindest in Teilen gewisse Harmlosigkeit unterstellt, mehr noch: Es wird sogar als legitim betrachtet. Man denke nur kurz darüber nach, wie ein Traditionserlass in dieser Form beispielsweise im Schulunterricht vermittelt wird.

Die Tatsache, dass die neue Fassung nun doch nicht so aufgenommen wurde, spricht dafür, dass die Verfasser und die Entscheider sich ertappt gefühlt haben, sie spricht aber nicht dafür, dass die Rücknahme aus Einsicht erfolgt ist, im Gegenteil.

Der Georgienkrieg 2008

Nach dem 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine angriff, haben sich diverse neue Erzählungen nach und nach durchgesetzt. Eine von ihnen lautet, dass Russland schon 2008 Georgien angegriffen habe, was als Beweis für das imperiale Bestreben Russlands angesehen wird. Das ist historisch falsch, weshalb etwa die deutsche Wikipedia eine ausweichende Formulierung gebraucht:

"Der Kaukasuskrieg 2008 (auch als Augustkrieg, Georgienkrieg oder Kaukasischer Fünftagekrieg bezeichnet) war ein militärischer Konflikt im Südkaukasus zwischen Georgien auf der einen und Russland sowie den von Russland unterstützten, international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien auf der anderen Seite. Der Konflikt wurde auf georgischem Staatsgebiet ausgetragen.

Die offenen Kampfhandlungen zwischen Soldaten der georgischen Armee und südossetischen Milizverbänden begannen bereits im Juli 2008 und eskalierten in der Nacht zum 8. August, in der georgische Einheiten eine Offensive zur Rückgewinnung der Kontrolle über die ganze Region begannen. Daraufhin griffen aus dem Nordkaukasus russische Truppen an, drängten die georgische Armee zurück und rückten bis ins georgische Kernland vor. Bis zum Waffenstillstand am 12. August wurden insgesamt etwa 850 Menschen getötet sowie zwischen 2500 und 3000 Menschen verwundet."

Kein Wort vom Angriff Georgiens auf Russland, stattdessen die Hinweise auf von Russland anerkannten, aber international nicht anerkannten Gebieten, vom Versuch der Rückgewinnung der Kontrolle durch Georgien und schlussendlich von Angriffen Russlands auf den Nordkaukasus.

Auch die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg spricht nicht von einem Angriff Georgiens:

"Seit Jahren schon schwelte der Konflikt um die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zwischen Georgien und Russland. Am 8. August 2008 schlug der Konflikt in eine kriegerische Auseinandersetzung um. Russlands damaliger Präsident Dmitrij Medwedjew hatte bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats in Moskau 'Gegenmaßnahmen' gegen die 'Militäroffensive Georgiens' angekündigt. Russland griff daraufhin Georgien sowohl aus der Luft als auch über Land und See an. Der Krieg dauerte fünf Tage, weshalb er auch 5-Tage-Krieg genannt wird. Russlands Panzer hatten den Westen kalt erwischt. Der Kaukasus-Konflikt hatte große Auswirkungen auf das Verhältnis von EU und USA zu Russland. Die Ost-West-Beziehungen gerieten in eine ernste Krise."

Hier sind es speziell die in Anführungszeichen gesetzten Gegenmaßnahmen Russlands und die Militäroffensive Georgiens mit dem darauffolgenden Hinweis auf den Angriff Russlands, die das Bild vermitteln, Russland sei der angreifende Part in diesem Krieg gewesen. Durch einen Blick auf eine Meldung von Reuters vom 30. September 2009 kommt man zu gänzlich anderen Schlüssen:

"Moskau/Berlin (Reuters) – Der fünftägige Krieg zwischen Georgien und Russland ist im vergangenen Jahr vom georgischen Militär begonnen worden.

Zu diesem Ergebnis kommt eine von der EU eingesetzte Untersuchungskommission unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini. Georgiens Angriff auf die nach Unabhängigkeit strebende Region Südossetien habe den Beginn des militärischen Konflikts markiert, hieß es in dem am Mittwoch vorgelegten Bericht. Die russische Reaktion zur Verteidigung sei zwar rechtmäßig gewesen. Allerdings seien die weiteren Schritte des russischen Militärs zum Großteil über das angemessene Maß hinausgegangen."

Die hier ohne Umwege genannten Fakten spielen in der heutigen politischen Wahrnehmung und Kommunikation keine Rolle mehr. Vermutlich glauben längst die meisten Menschen in Deutschland die Propagandalüge, Russland habe 2008 Georgien angegriffen. Richtiger wird es dadurch nicht.

Die Ukraine 2014

Der Krieg in der Ukraine, so hören und lesen Medienkonsumenten immer wieder, habe bereits im Jahr 2014 begonnen. Das ist insoweit korrekt, als nach dem US-amerikanisch finanzierten und initiierten Putsch 2014 die massiven und brutalen Angriffe Kiews auf die Ostukraine begannen. Weder der Donbass noch die Menschen auf der Krim wollten die neue Regierung in Kiew akzeptieren, sie wussten von der korrupten und faschistischen Dominanz und der Russenfeindlichkeit, die vom Westen der Ukraine ausgingen. 2014 begann also ein Krieg der Westukraine gegen die Ostukraine. Und speziell zu Beginn dieser Angriffe fiel es unzähligen Soldaten aus der Westukraine schwer, auf die Menschen der Ostukraine zu schießen, was kaum verwundern kann. Man stelle sich vor, von Berlin geschickte deutsche Soldaten würden auf die Menschen in Bayern oder Niedersachsen schießen.

Diese Art des Krieges kommt in der deutschen Erzählung aber nicht vor. Vielmehr wird behauptet, Russland habe die Ukraine im Jahr 2014 angegriffen, und zwar auf die Art, wie dies auch 2022 geschah. Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die zu großen Teilen von der Bundesregierung finanziert wird, lesen wir stattdessen:

"Russland annektierte 2014 in Reaktion auf den Kyiwer 'Euromaidan' die Krim und entfachte einen Krieg im Osten der Ukraine. Dort herrscht seitdem ein bewaffneter Konflikt, in dem bis heute Menschen sterben. Seit fünf Jahren versuchen Deutschland und seine westlichen Partner, diesen Konflikt durch Verhandlungen politisch zu lösen – bislang jedoch ohne Erfolg. Die Minsker Waffenstillstands-Vereinbarungen von 2014 und 2015 sind nicht umgesetzt.

Verantwortung dafür tragen die Akteure. Die separatistischen 'Volksrepubliken' in Donezk und Luhansk, die fast vollständig von Russland abhängig sind, haben seit 2014 diktatorische, quasi-staatliche Strukturen aufgebaut. Russland ist Konfliktpartei, weigert sich aber, dies anzuerkennen. Die Ukraine hat einige ihrer Verpflichtungen gemäß den Minsker Vereinbarungen erfüllt, andere nicht. Hinzu kommen negative Dynamiken auf allen Ebenen des Konflikts. Kyiw und die 'Volksrepubliken' driften immer weiter auseinander. Die humanitäre Notlage von Millionen Menschen entlang der Konfliktlinie ist bedrückend und droht in dauerhafte Armut und Unterentwicklung überzugehen."

Daran ist, abgesehen von den Jahreszahlen, nahezu alles falsch. Russland entfachte keinesfalls einen Krieg im Osten, das ist schlicht unwahr. Doch in den neuen Geschichtsbüchern Deutschlands wird stehen, dass Russland die Ukraine 2014 angegriffen habe. Ganz anders schildert das Francis Kennedy Jr., Neffe des berühmten US-Präsidenten John F. Kennedy:

"2014 haben wir den rechtmäßig gewählten Präsidenten der Ukraine Wiktor Janukowitsch gestürzt. Wir haben dafür fünf Milliarden Dollar über die CIA, USAID und das National Endowment for Democracy ausgegeben. Wir setzten eine Marionettenregierung ein, die, wie wir jetzt wissen, von den Neokonservativen im Weißen Haus, einschließlich Victoria Nuland, zwei Monate zuvor per Telefon ausgewählt worden war. Und sie entfesselte sofort einen Bürgerkrieg gegen die russische Bevölkerung im Donbass, verbot die russische Sprache, tötete 14.000 Menschen. Und dann organisierte sie Militärübungen mit der NATO. Es gab viele Provokationen."

Der inzwischen verstorbene Silvio Berlusconi befand:

"Wenn ich Premierminister wäre, würde ich nicht mit Selenskij sprechen, denn wir sehen die Verwüstung seines Landes und die Vernichtung von Soldaten und Einwohnern. Es hätte ausgereicht, die Angriffe auf die beiden autonomen Republiken des Donbass zu stoppen, dann wäre das, was jetzt passiert, nie passiert, deshalb sehe ich die Aktionen dieses Signors sehr negativ."

Und Roger Waters (Pink Floyd) bringt es auf den Punkt:

"Das Beste, was ihnen [den US-Bossen] in den letzten zehn Jahren passiert ist, ist der Konflikt in der Ukraine. Sie lassen ihn geschehen, weil sie davon wirklich profitieren. Schließlich verdienen sie unter anderem mit Kriegen Geld: Sie stellen Waffen her, verkaufen sie und machen damit Profit. Nicht du und ich oder normale Menschen investieren in die Rüstungsindustrie, sondern nur die Bonzen. Und in Kriegszeiten schießen ihre Einnahmen in die Höhe."

Die Liste mit Zitaten ließe sich fortsetzen, und wer sich ein wenig intensiver mit der Geschichte des Ukraine-Krieges befasst, kommt um die Fakten nicht herum. Auch deswegen werden die Fakten umgeschrieben, neu geschrieben, und sie finden Eingang in die offizielle Geschichtsschreibung.

Am Ende wird eine Erzählung stehen, die nicht beweisbar ist, die historisch falsch ist, die eine überdimensionierte Lüge darstellt. Aber wenn sie erst oft genug erzählt wurde, wird sie die Wahrheit verdrängt haben. Einmal mehr.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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