Montjan: Die Ukraine ist ein riesiges KZ
Von Tatjana Montjan
Selenskij möchte, dass sich der Westen in der Ukraine in vollem Umfang engagiert. Darauf zielen alle seine als "Friedensplan" oder als "Siegesplan" betitelten Vorschläge ab. Sie setzen voraus, dass der Westen mit vollem Einsatz Krieg gegen Russland führen will. Aber aus irgendeinem Grund ist der Westen nicht bereit, aufs Ganze zu gehen. Noch nicht, denn ich schließe nicht aus, dass sich die Haltung Washingtons nach den US-Wahlen ändern wird.
Für Selenskij aber ist die Lage jetzt schon kritisch. Die Front bröckelt, auch wenn wir noch nicht sagen können, ob und wann sie zusammenbricht. Der motivationssteigernde Effekt des ukrainischen Einmarsches in die Region Kursk ist inzwischen abgeebbt und Kiew braucht einen neuen Motivationsschub, um die innere Stabilität aufrechtzuerhalten. Wären die ukrainischen Truppen in der Lage gewesen, bis nach Kurtschatow vorzudringen und das dortige Atomkraftwerk zu besetzen, wäre der Effekt auf die Moral von längerer Dauer gewesen. Die russischen Soldaten konnten den Vormarsch aber um den Preis unglaublicher Anstrengungen, ihres Mutes und ihres Heldentums aufhalten, sodass die Fortsetzung der ukrainischen Besetzung dort inzwischen kaum noch Sinn macht. Der PR-Effekt des Kursk-Abenteuers ist verspielt, und das Halten von Stellungen dort verschlingt jetzt nur Ressourcen und dehnt die Front aus.
In den besetzten Landkreisen des Gebiets Kursk haben sich in der Zwischenzeit Kriegsverbrechen ereignet, deren Ausmaß noch erschaudern lassen wird, sobald die Landstriche wieder befreit sind. Alle eroberten Siedlungen wurden durch die ukrainischen Truppen auf brutale Weise "gesäubert": Männer und Jugendliche männlichen Geschlechts wurden systematisch erschossen, Frauen und Mädchen in das Gebiet Sumy verschleppt. Die örtliche Bevölkerung war auf das, was geschah, völlig unvorbereitet.
Wie genau die Stimmung der Bevölkerung der Ukraine heute ist, lässt sich aktuell nicht genau sagen. Es gibt keine zuverlässigen soziologischen Untersuchungen und selbst wenn es sie gäbe, wären sie unter den Bedingungen totaler Gehirnwäsche und Einschüchterung wenig aussagekräftig. Es gibt eine Gruppe absolut starrköpfiger Menschen, die einen ausgehandelten Frieden niemals akzeptieren werden, schon gar nicht um den Preis von Gebietsverlusten. Es gibt die Gemäßigten, die die Welt durch die Brille der Realität betrachten und erkennen, dass Kiew nicht mehr die für Fortschritte an der Front nötige Anzahl von Truppen mobilisieren können wird. Selbst dann nicht, wenn die Menschenfänger in Kiew und in der Zentralukraine, die bisher fast unberührt geblieben sind, auf Jagd nach Männern gehen oder noch mehr Brutalität bei den Zwangsrekrutierungen an den Tag legen. Und natürlich gibt es auch diejenigen, die innerlich damit einverstanden sind, dass die östlichen Regionen zusammen mit der Krim an die Russische Föderation abgetreten werden, damit endlich Frieden einkehrt.
Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es in der Ukraine prorussische Stimmungen gibt, Menschen, die nur darauf warten, dass die Waffen schweigen, damit sie das Land verlassen können. Die Frage "Wie ist es in der Ukraine?" macht also derzeit keinen Sinn. Wie überall gibt es auch hier sehr unterschiedliche Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen Meinungen. Es ist aus objektiven Gründen unmöglich, für jede dieser Gruppen Prozentsätze zu berechnen.
Kiew wird natürlich alles tun, um das Ende hinauszuzögern. Die Mobilisierungszentren werden 900.000 Vorladungen für die Rekrutierung verschicken und hoffen, dass möglichst viele diesen Vorladungen Folge leisten. Sie werden weiter Männern auf der Straße auflauern und sie mit Gewalt einfangen. Es gibt noch unangetastete Reserven, die das Regime zu gegebener Zeit aktivieren wird.
Für die Ukrainer gibt es da kein Entrinnen. Ich kenne persönlich Menschen, die versucht haben zu fliehen, den Grenzfluss Theiß schwimmend zu überqueren oder über Bergpfade aus dem Land zu fliehen, ich kenne mehr als einen solchen Menschen. Manche Fluchtversuche gelingen, viele scheitern. Die Zahl der Fahnenflüchtigen in der Ukraine wird auf 200.000 geschätzt. Womit man aber im Moment nicht rechnen kann, ist der aktive Widerstand der Ukrainer. Wie können sie widerstehen? Versetzen Sie sich in deren Lage: Was könnten Sie persönlich tun? Wie können unter den heutigen Bedingungen Widerstandsstrukturen geschaffen werden?
Die Ukraine ist ein einziges großes Konzentrationslager. Alle Gefängnisse, alle Untersuchungshaftanstalten sind voll von Menschen, die versucht haben, Kritik zu äußern oder sonst Widerstand zu leisten. Sie sterben in Gefängnissen, langsam und qualvoll, aber ohne Ausweg. Erinnert sich jemand an sie?
Manche sagen mir daraufhin, dass es selbst in KZs des Dritten Reiches Aufstände und Ausbruchsversuche gegeben hat. Aber damals gab es nicht diese Art von totaler Kontrolle über die Menschen: Handys, soziale Netzwerke, Abhörgeräte, manipulierte Suchmaschinen und das Gehirn waschende Massenmedien. Unter den heutigen Bedingungen ist es fast unmöglich, Widerstand zu organisieren. Alle Widerständler, die in der Ukraine versucht haben, etwas zu unternehmen, sitzen bereits in Untersuchungsgefängnissen, wurden umgebracht oder durch Absperrungstruppen in den Tod an der Frontlinie getrieben.
Es ist technisch unmöglich, aktiv gegen das Regime vorzugehen. Man kann nur alleine handeln, da sich in jeder Gruppe ein Provokateur oder Denunziant findet, der einen dem SBU ausliefern wird. Und alleine kann man nur sehr wenig ausrichten. Man kann höchstens einen Pkw der Zwangsrekrutierer in Brand setzen. Leider hat sich die Russische Föderation nicht zur rechten Zeit darum gekümmert, einen prorussischen Untergrund in der Ukraine zu schaffen.
Die Situation der politischen Gefangenen ist ein Albtraum. Alle ukrainischen Gefängnisse sind voll mit Zivilisten, die versucht haben, Widerstand gegen das Regime zu leisten, viele davon rein verbal: Sie sitzen für Meinungsäußerungen ein. Es sind viele, es sind Zehntausende. Seit dem Jahr 2022 werden die echten Schwerkriminellen entlassen, wenn sie sich bereit erklären, an die Front zu ziehen, in den Gefängnissen sind überwiegend politische Gefangene verblieben. Darunter sind auch Bekannte von mir. Ich kann aus offensichtlichen Gründen keine Namen nennen, sie werden jetzt beschuldigt, in sozialen Netzwerken mit "nicht identifizierten Personen" in Russland kommuniziert zu haben. Den Gefallen, der Anklage Substanz zu liefern, wollen wir nicht tun.
Für die Ukrainer, die unter dem Regime leiden, gibt es leider keine andere Hoffnung auf Freiheit außer einem russischen Sieg auf den Schlachtfeldern.
Tatjana Montjan ist eine ukrainische Rechtsanwältin und Strafverteidigerin, Publizistin und Bloggerin. Vor Beginn der russischen militärischen Intervention musste sie Kiew verlassen, nachdem sie vor der UNO über die Zustände in der Ukraine gesprochen hatte. Derzeit lebt sie im Donbass, engagiert sich für humanitäre Hilfe und führt Videoblogs. Man kann ihr auf ihrem Telegram-Kanal folgen.
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