Russland: Migrantische Strukturen formen eine rechtliche Grauzone
Von Andrei Restschikow
Laut FSB-Direktor Alexander Bortnikow wurden die Angeklagten des Terroranschlags in der "Crocus City Hall" in der tadschikischen Diaspora in Russland rekrutiert. Die Organisatoren des Terroranschlags waren Mitglieder der in Russland verbotenen Gruppe Wilayat Chorasan (des in Russland verbotenen afghanischen Flügels des "Islamischen Staates", IS) und operierten von Afghanistan aus über das Internet.
Am Donnerstag wurden die Führungskräfte der Diaspora-Organisationen in Irkutsk wegen des Verdachts der Organisation illegaler Migration festgenommen. Den Ermittlungen zufolge stellten der Vorsitzende des usbekischen nationalen Zentrums und der stellvertretende Vorsitzende der tadschikischen Diaspora zusammen mit dem Zentrum für Zusatzausbildung gegen Entgelt Zertifikate über russische Sprachkenntnisse an Ausländer aus.
Diese Zertifikate erleichterten die Erteilung eines Arbeitspatents und einer Aufenthaltsgenehmigung. Das russische Ermittlungskomitee leitete ein Strafverfahren wegen "Bestechung im geschäftlichen Verkehr" und der "Organisation von illegaler Migration" ein.
Wie der Abgeordnete der Moskauer Stadtduma Andrei Medwedew auf seinem Telegram-Kanal feststellte, stellen Diaspora-Strukturen in ihrer jetzigen Form eine Bedrohung für den russischen Staat dar. Der Politiker hält sie für Organisationen mit "Anzeichen organisierter krimineller Gruppen", die nichts mit kulturellen und sprachlichen Traditionen zu tun hätten.
"Diese Nachricht überrascht nicht", sagt Alexander Koz, Mitglied des russischen Präsidialrats für Menschenrechte (HRC). Auf seinem Telegram-Kanal schreibt er:
"Genau das ist der eigentliche Zweck der Diaspora-Organisationen: eine parallele graue Realität zu schaffen, in der es für Migranten leichter ist, nicht mit dem russischen Rechts-, Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystem in Berührung zu kommen. Diese Organisationen arbeiten gegen die Assimilation von Migranten."
Auf der Frühjahrstagung des Innenministeriums wies der russische Präsident Wladimir Putin an, die Ansätze der Migrationspolitik "grundlegend zu aktualisieren", um die Sicherheit der russischen Gesellschaft zu gewährleisten. Der Staatschef betonte die Notwendigkeit der Einführung moderner digitaler elektronischer Datenbanken mit biometrischen Daten bei der Regelung des Migrationsprozesses. Die derzeit funktionierenden Datenbanken seien offensichtlich nicht ausreichend, unterstrich Putin, sie erlaubten es nicht, die Risiken und Rückfälle der illegalen Migration vollständig zu erfassen.
Die Migrationspolitik stand diese Woche auch im Mittelpunkt der Sitzung der tadschikisch-russischen Regierungskommission für Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der stellvertretende Premierminister Marat Chusnullin sagte, das Phänomen der illegalen Migration im Land müsse gestoppt werden. "Wir werden an der Anwerbung von Arbeitskräften arbeiten, wir brauchen sie, aber all dies wird absolut legal geschehen", sagte der stellvertretende Ministerpräsident.
Die Staatsduma beabsichtigt, bereits im Oktober ein Paket von fünf Gesetzentwürfen zur Bekämpfung der illegalen Migration zu verhandeln. Der Sprecher der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, erklärt, die Abgeordneten würden diese Gesetze bis Dezember verabschieden. Der Parlamentarier nennt als Zweck dieser Gesetzentwürfe die Wiederherstellung der Ordnung im Migrationsbereich.
Die Gesetzesinitiativen sehen eine Strafverschärfung für die Organisation illegaler Migration vor (es ist vorgesehen, Geldstrafen in Höhe von fünf bis zehn Millionen Rubel samt Konfiskation des Eigentums einzuführen), die Haftbarkeit juristischer Personen für Dokumentenfälschung zu etablieren und die Blockierung von Websites mit illegalen Dienstleistungen für Migranten zu ermöglichen.
Kirill Kabanow, Mitglied des HRC, erläutert die Motive der Gesetzgeber:
"Wir sprechen ständig davon, dass die Diaspora in ihrer heutigen Form eine Bedrohung für den Staat darstellt. Heutzutage sind diese Diaspora-Organisationen Vermittler zwischen kriminellen Gemeinschaften, ethnischen Gruppen und den staatlichen Stellen. Wir sehen, wie auf regionaler Ebene einige Staatsvertreter mit den Diaspora-Organisationen flirten und wie ihre Beziehungen auf Korruption aufgebaut sind."
Nach Ansicht dieses HRC-Mitglieds sollte das von der Diaspora in der Regel in Anspruch genommene Gesetz "Über die national-kulturelle Autonomie" aus dem Jahr 1996 "vollständig außer Kraft gesetzt werden".
"Dieses Gesetz wurde unter anderem mit Unterstützung von NGOs verabschiedet, die jetzt auf der Liste der unerwünschten Organisationen stehen. Dieses Gesetz gefährdet direkt die Sicherheit der Russischen Föderation", fügt Kabanow hinzu.
Ihm zufolge sollten ethnische Gemeinden in Russland keinen Rechtsstatus haben. An ihrer Stelle sollte es Kulturzentren geben, "in denen gesungen und getanzt wird und Ausstellungen von ethnischer Kunst und Trachten veranstaltet werden. Und das war's dann!" Die Diaspora sollte nicht zu einem informellen Verwaltungssystem werden, mahnt der Menschenrechtler.
Kabanow gelangt zu folgendem Fazit:
"Wir können heute sagen, dass die Diaspora nicht die Probleme der ethnischen Kriminalität löst, sondern eher die Probleme der ethnischen Kriminellen."
Was die Aussage des FSB-Direktors über die Rekrutierung von Terroristen in der tadschikischen Diaspora betrifft, so weist Kabanow darauf hin, dass über dieses Problem schon seit Langem gesprochen wird. Die tadschikische Diaspora sei am stärksten von Radikalen und von wahhabitischem Einfluss betroffen, betont der Menschenrechtler und weist darauf hin, dass sie in dieser Hinsicht nur von der kirgisischen Diaspora übertroffen werde.
In diesem Zusammenhang sind die Angaben des Historikers Bachtijar Babadschanow interessant. Babadschanow hat das Umfeld der sogenannten Repatriierten untersucht, also usbekischer Bürger, die vom IS rekrutiert wurden und 2020–2021 in ihr Heimatland zurückkehrten. Es handelte sich überwiegend um Frauen.
Dabei zeigte sich, dass bei den meisten dieser Repatriierten-Gruppe (mehr als 150 Familien) die Ehemänner in Russland arbeiteten, wo die meisten von ihnen in die Reihen des IS aufgenommen wurden:
"Es stellte sich heraus, dass die meisten dieser Gruppe von Repatriierten (mehr als 150 Familien) Ehemänner hatten, die in Russland arbeiteten, wo sie meist in die IS-Riege rekrutiert wurden."
Die Diaspora hingegen locke Migranten unter anderem mit der Möglichkeit der Re-Islamisierung und biete ihnen eine klare Form der "sozialen Kommunikation mit Gleichgesinnten":
"Der Islam, genauer gesagt, seine kollektiven Rituale und der legitime Status dieser Religion in Russland, bietet den gangbarsten Weg für diese Kommunikationsart (Gebete, Kommunikation nach dem Gebet), was starke Anreize für die Einigung und die Überwindung des Gefühls der Entfremdung fern der Heimat bietet."
Zugleich weist Maxim Grigorjew, Mitglied der Gesellschaftskammer Russlands, darauf hin, dass unter der Diaspora heute in Russland "viele verschiedene Organisationen verstanden werden, die sich gegenseitig unterstützen".
"Es gibt sowohl kriminelle als auch Handelsbeziehungen innerhalb der Diaspora-Organisationen. Es handelt sich um komplexe Strukturen, die sich ständig verändern. Im Vergleich zu ihnen ist eine national-kulturelle Autonomie eine mehr oder weniger offizielle Einheit mit bekannten Führungskräften. Aber auch sie können zur illegalen Migration und anderen illegalen Dingen beitragen", so das Mitglied der Gesellschaftskammer Russlands.
Grigorjew teilt die Meinung, dass das Gesetz "Über die national-kulturelle Autonomie" nicht zeitgemäß sei, weil es den Migrantenstrukturen "ein ernsthaftes Lobbypotenzial gewährt, das oft gegen die russische Gesellschaft eingesetzt wird":
"Wenn die zu russischen Staatsbürgern ernannten Migranten eine Art von öffentlichen Organisationen gründen, brauchen sie dieses Gesetz auch nicht."
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. Oktober 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung Wsgljad erschienen.
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