Geleakte US-Dokumente zu Israels Angriffsplänen: Das Wichtigste ist ein Eingeständnis
Von Dagmar Henn
Die beiden US-Dokumente, die am Freitag in diversen Internet-Kanälen auftauchten, entfalten ihre Wirkung nur langsam. Das ist unvermeidlich; immerhin gibt es eine Reihe von Fragen zu klären, die die Dokumente selbst betreffen, und noch mehr Fragen, die sie aufwerfen. Aber wie immer lichtet sich der Nebel nach einigen Tagen.
Die erste Frage ist, zumindest oberflächlich, inzwischen leicht zu beantworten: sind diese Dokumente echt? Am Montag erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, Präsident Joe Biden sei "sehr besorgt" wegen des Lecks, und fügte hinzu, die Behörden hätten noch nicht geklärt, ob diese Dokumente durch einen Hack oder durch ein Leck veröffentlicht worden seien.
Ein Dementi klingt anders; diese Aussage kann man als offizielle Bestätigung der Echtheit sehen. Als Referenz noch einmal eine der Veröffentlichungen:
EXCLUSIVE: 🇮🇱🇮🇷🇺🇲 Israel planned to attack Iran on October 15-16, but leaked top secret documents from the Pentagon delayed the attack. Israeli media such as Walla News confirm this.An informed source within the U.S. intelligence community has shared with us an extremely… pic.twitter.com/yqkGcXnwVt
— Megatron (@Megatron_ron) October 19, 2024
Nun gab es, ebenfalls am Montag, die übliche Reihe von Gesprächspartnern auf dem US-Videoblog Judge Napolitano, die aber diesmal gerade wegen dieser veröffentlichten Dokumente besonders interessant war. Wer die dafür nötige Zeit und Sprachkenntnis besitzt, sollte sich diese vier Videos ansehen; die Gesprächspartner sind der ehemalige britische Botschafter Alastair Crooke, Ray McGovern, ehemaliger CIA-Analytiker, wie auch Larry Johnson sowie Scott Ritter. Alle vier beantworten die gleichen Fragen, kommen aber an einigen Punkten zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Alle sind sich einig, dass diese Dokumente echt sind. Ein Indiz dafür sind Abkürzungen, die in den Dokumenten verwendet werden, die über die allgemeine Klassifizierung als streng geheim hinausgehen. Die Abkürzung NoForn am Fuß des einen Dokuments entziffert sich etwa als "No Foreigner", also kein Ausländer (an anderer Stelle schlicht NF geschrieben); eine andere Abkürzung, FVEY, steht für Five Eyes, die fünf Augen, übersetzt der Verbund der Nachrichtendienste der USA mit Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland.
Es sind solche Details, wie verwendete Abkürzungen oder Aktenzeichen, das Gestaltungsmuster eines Dokuments, also vor allem Dinge, die im normalen Ablauf einer jeden Behörde ohne jedes Nachdenken eingesetzt werden, die gute Indizien liefern, ob ein Dokument echt ist; und drei der vier Befragten waren mit solchen Dokumenten vertraut. Zusammen mit der Aussage von John Kirby ist damit die Echtheit kaum mehr anzuzweifeln.
Grundlage dieser Dokumente sind Satellitenaufklärungsdaten (die selbst die BBC aus "TK", Talent Keyhole, übersetzt wäre das "begabtes Schlüsselloch", herausliest); unklar ist jedoch noch, auf welchen Staat sich die Abkürzung FGI bezieht, die für Foreign Government Intelligence, also Nachrichtendienst einer ausländischen Regierung, steht. Das deutet an, dass ein Teil der verwendeten Informationen nicht von US-Satelliten stammt.
Die Zahl der Länder, die überhaupt militärische Satelliten im All haben, ist überschaubar. 2023 sah die Liste so aus: USA (218), China (125), Russland (102), Frankreich (10), Indien (9), Israel und Italien (je 8), Deutschland (7), UK (6), Australien, Spanien (je 4), UAE (3), Japan, Mexiko, Türkei (je 2). Was logischerweise bedeutet, alle übrigen Besitzer militärischer Satelliten haben nur einen einzigen.
Die Tatsache, dass im ersten Dokument zwei Absätze nicht mit den fünf Augen geteilt werden, sondern einer davon überhaupt nicht – genau jener, in dem mit FGI ISR auf Fremddaten verwiesen wird – und einer nur mit den Briten, könnte darauf hindeuten, dass die Information des Absatzes, der überhaupt nicht geteilt wird, von einem britischen Satelliten stammt. Genau in diesem Absatz geht es um Angriffsvorbereitungen auf dem israelischen Luftwaffenstützpunkt Hatserim; es werden von Flugzeugen abzufeuernde Raketen benannt, die bereitgestellt werden. Dabei ist einer der beiden Raketentypen nicht öffentlich bekannt; der andere, "Rocks", stammt vom israelischen Rüstungskonzern Rafael und soll mit einer Mischung aus GPS-Steuerung und Bilderkennung arbeiten; Angaben über die Reichweite liegen aber noch nicht vor. Die BBC vermutet, "Golden Horizon" ähnele dem Blue Sparrow Raketensystem und habe eine Reichweite von etwa 2.000 Kilometern. Weit genug, um im israelischen Luftraum von einem Flugzeug abgefeuert zu werden und den Iran zu erreichen.
Es sind also ziemlich konkrete Vorbereitungen, die unter Berufung auf Aufklärungsdaten vom 15. Oktober in diesem Dokument beschrieben sind, und es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass die Veröffentlichung dieser beiden Seiten den vorbereiteten Angriff verhindert hat, weil die enthaltenen Daten eine Abwehr erleichtern. Der Telegram-Kanal, der sie mit als erster veröffentlicht hatte, Middle East Spektator, hat zu dieser Veröffentlichung vor zwei Tagen mit einer Erklärung Stellung genommen:
"Wir wiederholen, dass wir keine Verbindung zur ursprünglichen Quelle haben, als die wir einen Whistleblower im US-Verteidigungsministerium vermuten.
Soweit wir es wissen, tauchten die Dokumente zuerst in einer privaten Telegram-Gruppe mit etwas mehr als 7.000 Mitgliedern auf, in der sich derjenige, der sie weitergab, vermutlich befand. Irgendwie fanden die Dokumente ihren Weg aus der Gruppe heraus; zu diesem Zeitpunkt bemerkte sie der Middle East Spektator durch eine anonyme direkte Mitteilung. Solche direkten Mitteilungen wurden an verschiedene weitere Personen und Nachrichtenportale geschickt."
Als die ersten Leitmedien den Leak aufgegriffen und Middle East Spektator vorgeworfen hatten, ein dem Iran nahestehendes Medium zu sein, hatte der Kanalinhaber aber auch scherzhaft angemerkt: "Ich will nicht lügen, ich wusste nicht einmal, ob das Dokument echt war. Eigenhändig den dritten Weltkrieg verhindert, das Leben ist verrückt, Brüder."
Im oben bereits erwähnten Gespräch mit Scott Ritter fasst der Interviewer, Andrew Napolitano, zusammen, wie die Bewertungen der übrigen Gesprächspartner lauteten:
"Alistair Crooke sagte, das wäre schlicht von jemandem veröffentlicht worden, der den dritten Weltkrieg verhindern will. Ray McGovern sagte, es wurde von einem Whistleblower wie Edward Snowden veröffentlicht, und er hoffe, diese Person sei auf dem Weg nach Moskau. Larry Johnson ist der Ansicht, dass es eine offizielle Veröffentlichung durch eine Person war, die das legitim in Händen hielt und für einen Teil der Regierung der Vereinigten Staaten steht, der nicht will, dass die USA an einem Krieg gegen den Iran teilnehmen."
Direkt zu seiner eigenen Position befragt, antwortet Scott Ritter, aus dem Dokument sei zu viel zu entnehmen. "Ich glaube, das war eine Person, die den Krieg stoppen will und aus eigenem Willen gehandelt hat. Und ich denke, diese Person wird vermutlich entdeckt und verhaftet werden."
Allerdings hatte er zuvor selbst gesagt: "Das ist ein verheerendes Dokument für die Israelis, und ich glaube, es wurde absichtlich freigesetzt, weil die Vereinigten Staaten nicht wollen, dass Israel den Iran angreift." Und weiter: "Das ist ein Signal an Israel, ihr seid nicht Amerika, ihr seid nicht einer von uns, vor allem, wenn ihr euch in einer Weise benehmt, die für unsere strategische Position in der Welt heute von Nachteil ist. Und ein israelischer Angriff gegen den Iran wäre für die Vereinigten Staaten wirtschaftlich verheerend und für die Biden-Regierung politisch."
Bezogen auf die Frage Whistleblower oder Auftrag steht es also bei den vier Experten nicht ganz zwei zu zwei.
Aber abgesehen von den konkreten Informationen über Angriffsvorbereitungen auf einem Militärflughafen enthalten diese beiden Dokumente noch eine weitere Information, die gerade vor dem Hintergrund erst ihre wirkliche Relevanz erhält, dass inzwischen die Biden-Regierung ihre Echtheit bestätigt hat: Auf der zweiten Seite finden sich, ganz selbstverständlich, Verweise auf die israelischen Atombomben.
"Wir haben keine Indizien dafür beobachtet, dass Israel beabsichtigt, eine Atomwaffe einzusetzen."
In der Grafik, die neben der Analyse steht, ist ganz selbstverständlich die Option "Nuklearkräfte in Bereitschaft" vorgesehen.
Dem Israeli namens Mordechai Vanunu, der 1986 Belege über das israelische Atomwaffenprogramm an britische Zeitungen weitergab, brachte das 18 Jahre Gefängnis ein. Seit seiner Freilassung 2004 lebt er in Israel unter dauerhafter Beobachtung, ohne das Land verlassen, das Internet nutzen, sich ausländischen Botschaften nähern oder mit Journalisten reden zu dürfen.
Mit diesem Punkt, nicht mit den Auswirkungen auf einen vermutlich geplanten Angriff, werden diese Dokumente in die Geschichtsbücher eingehen. Denn nicht nur haben die Vereinigten Staaten offiziell bisher stets bestritten, Kenntnis von israelischen Atomwaffen zu haben (obwohl sie selbst, wie seit Vanunu feststeht, an der Entwicklung beteiligt waren); nein, nach geltendem US-Recht dürfen die Vereinigten Staaten keine Waffen an Länder liefern, die gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoßen haben. Und zwar auch dann, wenn sie ihn nicht unterzeichnet haben.
Es gibt also mit dieser, wie auch immer veranlassten, nennen wir sie einmal "irregulären" Veröffentlichung eines von der US-Regierung als echt bestätigten Dokuments, das Wissen staatlicher US-Stellen darüber belegt, dass Israel Atomwaffen besitzt. Wie heikel dieses Eingeständnis ist, ist im Dokument selbst daran zu erkennen, dass der relevante Absatz wie auch die hübsche Grafik daneben mit "NF" klassifiziert ist, also auch mit den fünf Augen nicht geteilt wird.
Auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag, als hätte es keine Konsequenzen, und eher die Jagd nach dem echten oder vermeintlichen Whistleblower die Meldungen beherrschen wird, und obwohl eigentlich längst die ganze Welt von den israelischen Atomwaffen weiß, wird diese Veröffentlichung Folgen haben, weil sie erzwingt, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn man im Blick behält, dass es durchaus eine halboffizielle Veröffentlichung sein kann, könnte das mit dem Nebenziel erfolgt sein, die Debatte im Iran um die Notwendigkeit eigener Atomwaffen zu beruhigen. Auf jeden Fall wirkt dieser Leak auf mehr als einer Ebene.
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