Meinung

Nach dem 9. Mai 1945: Erinnerungen aus der Zeit des Kriegsendes

Wer den Krieg bis in die letzten Tage überlebt hatte, musste nun erst recht aufpassen, nicht in die Fänge der Unverbesserlichen zu geraten, die auf den letzten Metern die eigene Haut auf Kosten anderer retten wollten. Mut und Witz, List und Tücke waren für Kriegsgegner bis zum Schluss überlebenswichtig.
Nach dem 9. Mai 1945: Erinnerungen aus der Zeit des KriegsendesQuelle: RT

Folge 1

Von Reinhard Hesse

Ich wurde im Juni 1945 geboren, habe also den glücklichen Tag des Kriegsendes ahnungslos im Bauch meiner Mutter verbracht. Meine Mutter (Jahrgang 1921) hatte es geschafft, als Büroangestellte an der "Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin", nördlich von Berlin, angestellt zu werden, wo mein Vater (Jahrgang 1919) als Mechaniker arbeitete. Seine Aufgabe war, Flugzeuge zu reparieren, die an der Ostfront eingesetzt worden waren. Weder dem Nationalsozialismus noch gar dem Krieg stand er positiv gegenüber. Als die Sowjetarmee den Ring um Berlin schon fast geschlossen hatte, wurde die Luftwaffenerprobungsstelle Rechlin aufgelöst und mein Vater bekam ebenso wie die übrigen dort beschäftigten wehrfähigen Männer den Befehl, nach Berlin abzumarschieren.

Nun war es weder in seinem Sinn, etwas für das nationalsozialistische Deutschland zu tun und dabei mitzuhelfen, den Krieg zu verlängern; noch wollte er sein Leben in den letzten Zuckungen des schon lange verlorenen Krieges sinnlos verlieren. Auch wollte er nicht gezwungen sein, auf andere Menschen zu schießen und diese erniedrigende Erfahrung für den Rest seines Lebens mit sich herumzutragen. Seine hochschwangere Frau hatte sich unter abenteuerlichen und gefährlichen Umständen allein bis zu ihren Schwiegereltern im halbwegs sicheren Sauerland durchgeschlagen. Er fand, dass sein Platz an ihrer Seite sei, und wollte nach dem absehbaren baldigen Ende des gräulichen Spuks mit ihr zusammen ein neues Leben aufbauen und hoffentlich seine Heimatstadt politisch neu mitgestalten.

In seiner Kindheit hatte er sich eine Knieverletzung zugezogen, die keine besonderen Folgen hatte außer der, dass das betreffende Knie stark anschwoll, wenn es einen starken Stoß abbekam. Seine rettende Idee war nun, mit einem Holzscheit kräftig auf sein Knie zu schlagen, um es zum Anschwellen zu bringen. Ein verständiger Truppenarzt schrieb ihm mit Bleistift auf ein abgerissenes Stück Papier "Gefreiter Hesse zum nächsten Lazarett". Das war das Wichtigste. Außerdem behielt er seine Pistole bei sich, um im Fall einer Begegnung mit einem diensteifrigen "Kettenhund" (Militärpolizei) hoffentlich schneller zu sein als dieser. Er begegnete aber keinem, schlug sich auf einem Fahrrad bis ins bereits befriedete, britisch besetzte Schleswig-Holstein durch, schlüpfte dort bei einem Bauern in Zivil für ein paar Wochen als Knecht unter und setzte dann den Weg zu seinem "Lazarett" ins Sauerland fort, wo er gerade noch rechtzeitig eintraf, um die letzten Tage der Schwangerschaft und meine Geburt in dem intakt gebliebenen Krankenhaus meiner Heimatstadt zu erleben.

Der Kirschbaum in unserem Garten hatte im Frühjahr '45 schon sehr früh geblüht, und so konnte er meiner Mutter einen großen Teller prächtiger roter Kirschen mitbringen. Die Rechnung des Krankenhauses für den zweiwöchigen Aufenthalt einer Person, für die Geburt und für den anschließenden einwöchigen Aufenthalt einer weiteren Person betrug 79,92 Reichsmark. Der mit Bleistift beschriebene Zettel des Arztes und die Rechnung sind noch in meinem Besitz. Der Kirschbaum hat später nie wieder so früh geblüht.

Prof. Dr. Dr. Reinhard Hesse, CH-8280 Kreuzlingen

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