Meinung

Das Konzept der Soft Power hat sich überholt

Das Konzept der "Soft Power" war eine sehr elegante Erfindung. Es war eben keine abstrakte Forschungsstudie, sondern ein Mittel, um die Außenpolitik der USA zu einem sehr merkwürdigen Zeitpunkt in ihrer Geschichte sicherzustellen.
Das Konzept der Soft Power hat sich überholt© Getty Images / ariya j

Von Fjodor Lukjanow

Joseph Nye, einer der bekanntesten US-amerikanischen Experten für internationale Beziehungen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts, ist am 6. Mai im Alter von 88 Jahren gestorben. Er arbeitete in den US-Regierungen von Jimmy Carter und Bill Clinton, verbrachte aber den größten Teil seines Lebens in der akademischen Welt in Harvard, insbesondere als Dekan der renommierten Kennedy School of Government.

Nye ist zusammen mit Robert Keohane der Begründer der seit den 1970er Jahren existierenden Schule des Neoliberalismus in den internationalen Beziehungen und Autor der Konzepte der komplexen Interdependenz und der "Soft Power" (weiche Macht), der politischen Einflussnahme durch kulturelle und kommunikative Mittel.

Dank des letztgenannten Konzepts, das weit über die Fachkreise hinaus bekannt wurde, ist Soft Power zu einem weitverbreiteten politischen Begriff geworden, auch wenn seine Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch inzwischen verblasst ist.

Das Konzept der weichen Macht war eine sehr elegante Erfindung, es war eben keine abstrakte Forschungsstudie, sondern ein Mittel, um die Außenpolitik der USA zu einem sehr merkwürdigen Zeitpunkt in ihrer Geschichte sicherzustellen.

Wie einige vorausschauende Experten für internationale Beziehungen der späten 1980er Jahre erkannte oder ahnte Joseph Nye, dass die Welt in eine Periode völliger US-amerikanischer Dominanz eintreten würde. Indem er Soft Power als Hauptinstrument des internationalen Wettbewerbs nach dem Kalten Krieg vorschlug, regte der Autor im Grunde an, dass jeder diesen Wettbewerb in einem Bereich austragen sollte, in dem die Vereinigten Staaten einen riesigen Vorsprung haben (dank ihres seit Langem etablierten ideologischen und informationellen Monopols). Militärische Gewalt und andere Formen "harten Drucks" seien ein Anachronismus, nun sollten alle auf zivilisierte Art und Weise miteinander konkurrieren, mit Ideen und Konzepten, so Nye. Dies ermöglichte es unter anderem, die "Friedensdividende" zu erhöhen – Mittel, die der Westen vom Wettrüsten und anderen Formen der Kriegsvorbereitung auf andere Bedürfnisse umleiten konnte. Und in diesem Verständnis funktionierte die Soft Power recht gut und diente effektiv den US-amerikanischen Interessen.

Nun ist eine andere Zeit angebrochen. Erstens hat die militärische Gewalt zweifelsohne ihre führende Rolle im außenpolitischen Instrumentarium zurückgewonnen. Zweitens beginnen die Staaten, gleich welcher Struktur, mit dem Ende der liberalen Phase der Globalisierung, die maximale Offenheit in jeder Hinsicht bedeutete, ihren Kultur- und Informationsraum zu schließen, weil sie erkannt haben, wie wirksam der Einfluss von außen auf diesen Raum ist. Drittens wird die Führungsrolle der Vereinigten Staaten als Träger des attraktivsten soziopolitischen und wirtschaftlichen Modells (um es milde auszudrücken) in Frage gestellt, vor allem aufgrund von Veränderungen in der US-amerikanischen Gesellschaft selbst (dasselbe gilt für Europa, allerdings mit einer eigenen Tendenz).

Mit anderen Worten: Die Hauptkomponente, die die Verwirklichung von Nyes Konzept ermöglichte, geht verloren, und der erwähnte Handlungsspielraum beginnt zu schrumpfen. Wenn der Erfolg der USA in einem solchen Wettbewerb also nicht mehr garantiert ist, wie es in der Zeit von den 1980er bis zu den frühen 2010er Jahren der Fall war, dann muss der Raum des Wettbewerbs neu umrissen werden. Und genau das geschieht derzeit. In gewissem Sinne ist der Niedergang der Soft Power ein Ergebnis ihres Erfolges, denn jeder hat erkannt, wie man ihr entgegenwirken und ihre Folgen umkehren kann.

Nyes Konzept war eine sehr erfolgreiche Erfindung, aber jedes Hilfsmittel hat ein Verfallsdatum. Dieses ist nun abgelaufen. Das heißt aber nicht, dass das Instrument von vornherein unbrauchbar war.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 8. Mai 2025 auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Internationalen Diskussionsklubs Waldai.

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