Meinung

Langes Echo des Koreakriegs, oder: Chuch’e-Ideologie für Russland

Im Juni dieses Jahres jährt sich der Beginn des Koreakriegs zum 75. Mal. Angesichts der Nachrichten über die Beteiligung von DVRK-Kämpfern an der Befreiung des Gebiets Kursk gewinnen die weit zurückliegenden Ereignisse der Jahre 1950-1953 eine unerwartete Aktualität.
Langes Echo des Koreakriegs, oder: Chuch’e-Ideologie für RusslandQuelle: Gettyimages.ru © CraigRJD

Von Wassili Awtschenko

Der Koreakrieg, der als Bürgerkrieg begann, war die erste heiße Schlacht des Kalten Krieges und zugleich ein Entwurf des Dritten Weltkriegs. Die Demokratische Volksrepublik Korea wurde von Kim Il-sung angeführt, einem Partisanenkämpfer, der mehrere Jahre in der UdSSR gelebt hatte und den Rang eines Hauptmanns in der Roten Armee innehatte. Die Republik Korea wurde von Rhee Syng-man angeführt, Doktor der Philosophie der Princeton University, der 40 Jahre lang in den USA gelebt hatte. Auf der Seite des Südens traten die Vereinigten Staaten an der Spitze eines UN-Kontingents aus über ein Dutzend Ländern, darunter sogar Äthiopien, Australien und Luxemburg, in den Krieg ein. Auf der Seite des Nordens standen die Chinesischen Volksfreiwilligen von General Peng Dehuai und das sowjetische 64. Kampffliegerkorps.

Sowjetische MiG-15 verteidigten den Himmel über Nordkorea gegen die Angriffe der US-Bomber. "Stalins Falken" nahmen heimlich am Koreakrieg teil. Die Flugzeuge waren auf chinesischen Flugplätzen stationiert und trugen die Erkennungszeichen der Koreanischen Volksarmee. Der 12. April 1951, der Tag, an dem Oberst Iwan Koschedub (ein berühmter Jagdflieger des Großen Vaterländischen Krieges, dreimaliger Held der Sowjetunion) alle 48 Jäger seiner Division vom Flugplatz Andong in die Luft schickte, um die Bomberarmada zu treffen, ging als "Schwarzer Donnerstag" in die Geschichte der US-Luftfahrt ein. Der 30. Oktober 1951 wurde zum "Schwarzen Dienstag". Die B-29, die "Superfestungen", welche gestern noch als unverletzbar galten, wurden nun zu leichten Zielen...

Der Krieg, der am 38. Breitengrad, der Korea durchschnitt, begann, endete genau dort am 27. Juli 1953, als in der Siedlung Panmunjom ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet wurde. Dieser Krieg ist lediglich ausgesetzt ‒ nicht beendet. In letzter Zeit mehren sich die Äußerungen über eine mögliche Wiederaufnahme der "heißen" Phase des Krieges.

Es ist unproduktiv, historische Parallelen zu ziehen, und doch spiegeln sich Vergangenheit und Gegenwart irgendwie ineinander. Es ist unklar, inwieweit es angemessen ist, im Zusammenhang mit den heutigen Ereignissen vom "koreanischen Szenario" zu sprechen, aber der historische Reim ist klar: Während 1950-1953 sowjetische Piloten den Himmel über Korea bedeckten und dafür mit 120 Menschenleben zahlten, kämpfen jetzt koreanische Soldaten für Russland, sammeln dabei unschätzbare Erfahrungen und zahlen die internationale Schuld zurück.

In den letzten Jahrzehnten erlebten die Beziehungen zwischen Russland und der DVRK eine Reihe von Metamorphosen. In den Jahren der Perestroika ließ Moskau Pjöngjang praktisch im Stich. Als die UdSSR 1990 beschloss, diplomatische Beziehungen mit Seoul aufzunehmen, empfing Kim Il-sung den sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse nicht. Dessen nordkoreanischer Amtskollege Kim Yŏng-nam sagte daraufhin: "Sie lassen uns im Stich... Na dann werden wir Atomwaffen bauen". Danach war es an der Zeit, mit den Konsequenzen umzugehen. Bereits im Jahr 2000, kaum im Amt als Präsident, reiste Wladimir Putin nach Pjöngjang. Anschließend war General Konstantin Pulikowski, der Gesandte des Präsidenten für den Fernen Osten, damit beauftragt, die zerrissenen Fäden wieder zusammenzufügen. Er brachte Kim Jong-il, dem damaligen Oberhaupt der DVRK, originelle Geschenke mit (zum Beispiel einen Walross-Stoßzahn mit einer Schnitzerei; der koreanische Dolmetscher wusste nicht, was ein Walross ist, und so einigte man sich darauf, dass es sich um einen Elefanten handelt, der im Meer lebt). Im Jahr 2006 wurde in Pjöngjang die orthodoxe Dreifaltigkeitskathedrale gebaut und eingeweiht... Doch auch damals gab es Schwierigkeiten. Im Jahr 2010 schloss sich Russland den vom UN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegen Pjöngjang an. In den Jahren 2016-2017 verstärkte der Westen die Sanktionen und verhängte damit eine regelrechte Blockade gegen die Demokratische Volksrepublik Korea, und Russland musste die Rückkehr nordkoreanischer Arbeitsmigranten in ihr Heimatland ankündigen.

Was damals in der Demokratischen Volksrepublik Korea selbst geschah, war nur wenigen bewusst. Die im Westen geschürte Pjöngjang-Phobie beruhte auf glatten Lügen. Horrorgeschichten über Hungersnöte und Massenerschießungen haben etwa den gleichen Realitätsgehalt wie die Geschichten sowjetischer Dissidenten darüber, wie in der UdSSR Babys gegessen wurden. Als jemand, der viele Male in der DVRK war, kann ich eines sagen: Die Richtung ist klar ‒ vorwärts und aufwärts. Mehr Handys und Autos auf den Straßen, mehr Eis- und Würstchenbuden, mehr neue Gebäude... Hier ein Wasserpark, dort eine Achterbahn. Das Leben wird besser, das Leben macht mehr Spaß ‒ und das ist nicht ironisch gemeint. Kaum ein anderer Staat hätte unter solchen Bedingungen überleben können. Und die DVRK ist nicht nur dabei, sich selbst zu erhalten, sondern auch zu entwickeln.

Das Land ist durch die Hintertür in den Atom- und Weltraumclub eingetreten ("Man kann auf Süßigkeiten und Kekse verzichten, aber nicht auf Munition und Waffen", sagte Kim Jong-il). Es ist an der Zeit, das "nordkoreanische Wunder" zu erforschen. Die DVRK erinnert an unsere Altgläubigen, die ebenso eifrig ihre Lebensweise vor der Außenwelt bewahren und zugleich gezwungen sind, in irgendeiner Form mit dieser Welt zu interagieren.

In den neuen Gegebenheiten wird deutlich, dass die nordkoreanische Chuch’e-Ideologie (auf Russisch wird dieses Wort gewöhnlich mit "Selbstständigkeit" übersetzt) auch für Russland relevant ist. Die gleiche Importsubstitution ist ganz im Sinne von Chuch’e.

Im Sommer 2023 besuchte der damalige russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu Pjöngjang, woraufhin Gerüchte über die mögliche Lieferung von Granaten aus der DVRK, die Beteiligung koreanischer Kämpfer an der Sonderoperation und Bauarbeiter am Wiederaufbau der zerstörten Städte im Donbass aufkamen. Kurz darauf besuchte der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un unseren Fernen Osten, wo er sich vor allem mit Verteidigungseinrichtungen vertraut machte. Dann wurde Außenminister Sergei Lawrow in Pjöngjang empfangen.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Jahr 2024 reiste Präsident Putin nicht woanders hin, sondern in die DVRK und nach Vietnam (übrigens jährte sich kürzlich zum 50. Mal das Ende des Vietnamkriegs, an dem auch die UdSSR beteiligt war, wenn auch inoffiziell, indem sie der Demokratischen Republik Vietnam bei der Wiedervereinigung des Landes und beim Widerstand gegen die US-Amerikaner half). Nun schlossen Russland und die DVRK einen neuen Vertrag über eine "umfassende strategische Partnerschaft". Er sieht unter anderem militärischen Beistand im Falle einer Aggression gegen eine der beiden Parteien vor.

Heute scheint Russland in der Lage zu sein, die gegen Pjöngjang gerichteten Initiativen des UN-Sicherheitsrats und aller anderen zu übersehen. Die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtet, dass im Jahr 2024 mehr als 13.000 nordkoreanische Bürger nach Russland ausgereist seien, um dort zu arbeiten. Auf Wladiwostoks Kleinanzeigenseiten finden sich zahlreiche Angebote für Bau- und Reparaturdienstleistungen mit dem Vermerk "Koreaner" (dies ist ein lokales Qualitätszeichen: "Koreaner" bedeutet zuverlässig und für angemessenes Geld). Auch die Touristen kommen. Die Flugverbindung zwischen Wladiwostok und Pjöngjang wurde wieder aufgenommen, und als Nächstes steht die Eröffnung einer Flugverbindung nach Wŏnsan an, wo ein riesiger Urlaubsort am Meer fertiggestellt wird. Verwundete russische Kämpfer erholen sich in koreanischen Sanatorien auf Kosten des Gastlandes. Und koreanische Kämpfer befreien, wie endlich öffentlich verkündet, das Gebiet Kursk.

Die Geschichte selbst macht aus der Rhetorik von Russlands "Wende nach Osten" eine konkrete Realität. Außerdem ist es genau der Osten, der gegen den Westen gerichtet ist (Japan zum Beispiel gehört geopolitisch gesehen zum Westen). Natürlich stehen auch andere Richtungen auf der Tagesordnung ‒ vom heißen Afrika bis zur gefrorenen Arktis, wo sich die Situation anscheinend aufheizen wird, und zwar keineswegs wegen der globalen Erwärmung.

Die DVRK ist auch dabei, ihre außenpolitischen Prioritäten zu klären. Die Klausel über die Wiedervereinigung mit dem Süden wurde aus der Verfassung des Landes gestrichen. Kim Jong-un sagte, Südkorea sei jetzt kein Partner für Wiedervereinigungsgespräche, sondern ein feindliches Land. Am Südeingang von Pjöngjang wurde der Wiedervereinigungsbogen, der 2001 in einer Zeit der Annäherung zwischen Nord und Süd errichtet worden war, abgebaut. Ich erinnere mich, dass ich vor 20 Jahren unter diesem Bogen an einem internationalen Marsch mit dem Slogan "Korea is one" teilnahm.

Natürlich geht die Geschichte weiter und keine Grenzen sind ein für alle Mal festgelegt. Dennoch ist die Existenz zweier koreanischer Staaten heute eine Gegebenheit. Sprachwissenschaftler streiten sogar darüber, ob man noch von Dialekten in Pjöngjang und Seoul sprechen kann ‒ oder ob Nord und Süd bereits unterschiedliche Sprachen sprechen. Sogar das Wort "Korea" selbst klingt in Seoul und Pjöngjang unterschiedlich: Hanguk und Joseon.

Der Norden wird immer stärker an Russland angebunden und vom Süden abgetrennt. So wurde kürzlich mit dem Bau einer Brücke über den Fluss Tumannaja (koreanisch Tumangang) ganz im Süden der Region Primorje, in der Nähe des Chassansees, begonnen. Eine provisorische Holzbrücke über diesen Fluss, in dessen Fahrwasser die Grenze zwischen Russland und der DVRK verläuft, wurde bereits während des Koreakriegs gebaut. Später wurde eine große Eisenbahn-Freundschaftsbrücke gebaut. Jetzt soll flussabwärts eine weitere Brücke ‒ eine Autobahnbrücke ‒ entstehen. Auf diese Weise überwindet das Land, das von den Vereinigten Staaten als Paria und "Achse des Bösen" bezeichnet wird, seine Isolation ‒ mithilfe Russlands, das sich heute auch auf seine eigene Stärke und auf die wahren Freunde verlässt, von denen es nie viele gibt.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 15. Mai 2025 zuerst in der Zeitung Wsgljad erschienen.

Wassili Awtschenko ist ein russischer Schriftsteller und Journalist.

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