Meinung

"Spionage"-Dokus bei ARD und Co.: Beispiel für kognitive Kriegsführung

Kaum ein Tag vergeht ohne eine Fernseh-"Doku" über die angebliche russische Bedrohung, mit der dem deutschen Zuschauer Angst vor Russland eingeflößt werden soll. Nach dem ZDF legen nun die ARD-Sender nach.
"Spionage"-Dokus bei ARD und Co.: Beispiel für kognitive Kriegsführung© ARD

Von Astrid Sigena

Die noch im April zum ersten Mal und zur besten Sendezeit ausgestrahlte ARD-Doku "Sabotage: Deutschland in Putins Visier" wurde im Mai erneut sowohl in der ARD als auch auf Phoenix gezeigt. Beworben wird sie stets als "investigative Recherche" von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung

Eine der in der Dokumentation behandelten "Storys" bezieht sich vor allem auf Brandbombenanschläge mittels DHL-Paketen im Juli vergangenen Jahres, deren Hintermänner nie gefasst wurden. Näheres zu der dünnen Faktenlage dieser Recherchen findet man hier.

Im Folgenden geht es um die manipulative Inszenierung der Fernsehsendung, die mit dramatisch-bedrohlicher Musik, warnenden Expertenkommentaren zur russischen hybriden Kriegsführung und eindrucksvollen KI-generierten Szenarien arbeitet. Bruno Kahl vom BND, Sinan Selen vom Verfassungsschutz, der grüne Sicherheitspolitiker Konstantin von Notz sowie James Appathurai von der NATO sind natürlich mit von der Partie, wenn es darum geht, als Belastungszeugen gegen Russland zu erscheinen.

Nur wissen sie wenig Konkretes zu berichten. Vor Gericht würde man sie wohl als "Knallzeugen" werten. Und das wäre noch wohlwollend formuliert. Ihre Voreingenommenheit lässt sie stets auf Russland als Täter kommen, ihr Raunen von der russischen Gefahr hypnotisiert den geneigten Zuschauer. Fazit der Interview-Einspieler: Wir sind bedroht, Putins Schattenarmee an Saboteuren und Geheimdienstlern lebt mitten unter uns!

Die Sender scheuen keine Mühen. Sogar der potenzielle Brand eines der präparierten DHL-Päckchen in einem Frachtflugzeug wird mithilfe eines Sicherheitsexperten aufwendig nachgestellt, um die Glaubwürdigkeit der Gefahr zu belegen. Das zeigt zwar eindrücklich die Gefahr von Bränden an Bord von Flugzeugen (besonders wenn der Brandherd aus schwer löschbarem Magnesium besteht) – Beweise dafür, wer nun eigentlich hinter dieser Brandbombenserie steht, werden allerdings nicht geliefert. Aber wahrscheinlich geht man davon aus, dass der durchschnittliche Zuschauer schon zu sehr von der Animation der Explosionen gebannt ist, um noch kritische Nachfragen zu stellen.

Als Beispiel für einen Low-Level-Agenten, der in der Befehlspyramide des Geheimdienstes ganz unten stehe, wird Serhij S. angeführt. Der Ukrainer wurde in Polen zu acht Jahren Haft verurteilt, weil er Anschläge auf eine Farbenfabrik und Baumärkte in Breslau geplant haben soll. Sein Auftraggeber: ein gewisser russischsprachiger "Lucky Strike", der ihn auf dem Messengerdienst Telegram aufgrund seiner prorussischen Kommentare angeworben haben soll. Serhij S. war mit Frau und Kind aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Er wollte nicht im Ukraine-Krieg kämpfen – was ihm der polnische Staatsanwalt im Interview offenbar sehr verübelt.

Serhij S. und seine Frau Aljona behaupten zwar, er hätte die Aufträge von "Lucky Strike" nur deshalb angenommen, um Geld zu verdienen, und er hätte von der Ausführung der Taten letztendlich Abstand genommen. Das polnische Gericht wertete es als maßgeblicher, dass unter Serhijs Dateien ein Handbuch zum Sturz des "Selenskij-Regimes" gefunden wurde.

Man muss als Zuschauer bewusst einen Schritt von der Inszenierung der russischen Bedrohung zurücktreten, um sich zu fragen: Wer ist eigentlich "Lucky Strike"? Gefasst wurde er ja nicht. Wir wissen nur, dass er Russisch beherrscht, Geld für die Erteilung von Aufträgen hat und einen englischen Kampfnamen gebraucht. Gibt es außer Russland keine weiteren Länder, in denen man Russisch spricht? Auch der ukrainische Geheimdienst dürfte beispielsweise noch über hinlängliche Russischkenntnisse verfügen. Das ist kein Beweis, dass es eine False-Flag-Aktion war. Aber es gibt eben auch keine Belege dafür, dass Serhijs gescheiterter Brandanschlag von Moskau aus gesteuert war.

Völlig unhinterfragt wird im Film die Behauptung des früheren BND-Vizepräsidenten Arndt Freytag von Loringhoven wiedergegeben, der die angebliche Rekrutierung von Low-Level-Agenten vonseiten Russlands damit begründet, dass professionelle Geheimdienstmitarbeiter mittlerweile ausgewiesen worden seien. O-Ton ARD: "Früher arbeitete Russland vor allem mit Profi-Agenten an seinen europäischen Botschaften." Gezeigt wird dabei das Schild der Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland. Russischen Botschaftsmitarbeitern wird damit von vornherein pauschal unterstellt, Geheimdienstler zu sein. Dass Aussagen eines früheren BND-Chefs immer noch interessengeleitet sein könnten (und damit zu hinterfragen) – es gibt schließlich keine "Ehemaligen" –, darauf kommen "Recherchejournalisten" von ARD und Süddeutscher nicht. Oder wollen nicht darauf kommen.

Später im Film wird moniert, dass die russische Botschaft Fragen zu den einzelnen Sabotageakten nicht beantwortet und stattdessen von "Paranoia" gesprochen habe. Wie könnte sie diese Fragen auch beantworten, wenn die russische Regierung doch beteuert, nichts mit den geschilderten Vorfällen zu tun zu haben? Aber egal, die Hexe ist schuldig!

Gegen Ende der "Reportage" dann der Fall der Marsalek-Gruppe. Wirecard-Unternehmer Jan Marsalek soll hauptsächlich Bulgaren für die Spionage für Russland angeworben haben, teilweise unter falschen Vorwänden – so der Vorwurf. Die Beteiligten sind mittlerweile – soweit man ihrer habhaft werden konnte – in Großbritannien verurteilt worden. Sie sollen unter anderem die US-Army in Stuttgart ausspioniert und zwei russlandkritischen Journalisten nachgestellt haben. Bis hin zu Entführungs- und Mordplänen (Abfeuern von Giftpfeilen von einer Drohne aus), die aber nie verwirklicht wurden. Das Ganze klingt ähnlich fantastisch und wenig substanziell wie die Reichsbürgerprozesse in Deutschland. Und ähnlich wie bei den Reichsbürgerprozessen schlachten die Investigativjournalisten nun die Chatprotokolle nach möglichst skandalösem Material aus.

Wie auch immer die Berufungsprozesse der Marsalek-Gruppe enden werden ‒ die Frage muss doch lauten: Cui bono? Hat wirklich Russland einen Vorteil davon, eine Gruppe von Amateur-Spionen anzuwerben, von der selbst das ausgekundschaftete Opfer Roman Dobrochotow sagt, dass sie unprofessionell agiert habe? Überhaupt, was hätte der Kreml davon gehabt, wenn die beiden russlandkritischen Journalisten nach Russland verschleppt worden wären? Oder gar ermordet worden wären? Die weltweite Empörung wäre garantiert das Letzte, was Russland brauchen könnte. Womöglich wird auch der Bekanntheits- und Wirkungsgrad exilrussischer oppositioneller Journalisten überschätzt.

Aber gut, nehmen wir die Sache mit der Marsalek-Gruppe einmal ernst! Nun gibt es ein Land, das große Erfahrung mit dem Wegbomben unliebsamer Journalisten hat. Oder mit dem Erschießen von Exil-Politikern. Und das damit international auch noch durchkommt, weil es sich als Opfer stilisiert. Ich spreche von der Ukraine unter Selenskij, die beispielsweise für den Mord an der russischen Journalistin Darja Dugina verantwortlich gemacht wird. Und dies nicht nur von den russischen Strafbehörden, sondern auch von verbündeten US-Geheimdiensten, wie die New York Times berichtete. Liegt der Gedanke wirklich so fern, ukrainische Geheimdienstler könnten ihre bei der Ermordung von russischen Journalisten und ukrainischen Exil-Politikern gewonnene Erfahrung nicht auch mal bei False-Flag-Aktionen einbringen? Die journalistische Redlichkeit würde es erfordern, auch dies zu erwägen.

Die enge Zusammenarbeit der Macher dieser "Doku" mit NATO und deutschen Geheimdiensten, zu deren Sprachrohr sie sich machen, ist beängstigend. In ihrer "Doku" über die letztjährigen Brandanschläge spielen sie letztendlich selbst mit dem Feuer. Ihr Ziel: Russland als Feind zu stigmatisieren. Dem Zuschauer kredenzen sie eine giftige Propagandasuppe. Sie verfertigen geistige Brandsätze. Und die Frage ist nur, wann diese Brandsätze explodieren werden. Sie könnten einen europaweiten Brand damit auslösen.

Mehr zum Thema – Wirecard: Deutsche Behörden bitten Russland um Auslieferung von Marsalek

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