Putsch in Venezuela, Gelbwesten, EU-Vertrag: Ein Wochenrückblick auf den medialen Abgrund
Von Thomas Schwarz
Medienkonsumenten, die sich noch nicht zu abgebrühten Zynikern entwickelt haben, können sich angesichts des Umsturzversuchs in Venezuela nur die Augen reiben: Zum einen wegen der ganz offenen politischen Einmischung in ein souveränes Land. Zum anderen wegen der medialen Begleitung: die geht ebenso offen vonstatten. Es wird nicht einmal mehr versucht, den Anschein eines demokratischen Prozesses zu erwecken – weder auf politischer noch auf medialer Ebene.
Das hat positive, aber auch sehr bedenkliche Folgen: Positiv ist zu vermerken, dass die Pro-Putsch-Berichterstattung zu Venezuela erheblich weniger in Heuchelei getränkt ist, als dies etwa zu Beginn der kitschigen Kampagnen zur Ukraine oder zu Syrien der Fall war. Aber gerade dieser Verzicht auf extreme und "romantische" Verklärungen erweckt den Eindruck, dass die Putsch-Fraktion in Medien und Politik keinen Anlass mehr sieht, sich zu verstellen. Das gilt nur zum Teil, denn natürlich wird auch in dieser Kampagne nicht auf die bekannten Bilder von schutzbedürftigen Demonstrantinnen verzichtet.
Putsch in Venezuela – Ein Verbrechen auf vielen Ebenen
Der versuchte Putsch in Venezuela ist ein Verbrechen, das sich auf mehreren Ebenen abspielt. Da ist zunächst die Opposition in Venezuela, die zu weiten Teilen als wirtschafts-radikal und militant bezeichnet werden kann. Diese Opposition wäre ohne den (vor allem) durch Sanktionen und Wirtschaftskrieg hergestellten Mangel der vergangenen Jahre und die internationale Unterstützung chancenlos. Durch diese seit Jahrzehnten andauernde westliche Einmischung gegen Venezuela wurde die dortige politische Willensbildung stark sabotiert – und zwar zum Teil durch genau das politische Personal, das den Putsch jetzt mit Maduros angeblichem "Sympathie-Verlust in der Bevökerung" rechtfertigen will. Dieses ausländische politische Personal bildet die zweite Ebene.
Die dritte Ebene wird durch die westlichen Medienkonzerne gebildet, die das antidemokratische Vorgehen der erstgenannten Gruppen kaschieren, um dem Putsch den Anschein eines legitimen "Volksaufstandes" zu geben – das Prinzip kennt man aus der Ukraine oder Syrien, um nur die beiden aktuellsten Beispiele für diese Art von Regime-Change-Versuch zu nennen.
Auch kritikwürdige Politiker müssen vor Putsch geschützt werden
Die hier getätigten Aussagen zu Venezuela bestehen im Übrigen unabhängig von begründeter Kritik an der Regierung des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro. Auch ein kritikwürdiger Präsident darf nicht von ausländischen Medien und Politikern gestürzt werden.
Das ficht die FAZ nicht an, die schreibt: "Nicolás Maduro und sein Vorgänger Hugo Chávez haben Venezuela zugrunde gerichtet. Nur in einem waren sie zwei Jahrzehnte lang erfolgreich: in der Spaltung der Opposition." Der Tagesspiegel urteilt: "Es ist ein Verbrechen gegen die Bevölkerung, dass Präsident Maduro nicht bereit ist zum Dialog mit der Opposition." Die Welt bezeichnet die deutsche Position als "chinesisch": "Maas wurde in Washington gefragt, wo Deutschland steht. Seine Antwort: 'Wir alle wollen nichts dazu beitragen, was dazu führt, dass die Lage weiter eskaliert.' Dagegen warnten Mogherini und Tusk die Machthaber in Venezuela mit deutlichen Worten, Bürgerrechte, Freiheit und Sicherheit des Oppositionsführers zu respektieren. Maas' Statement klang nicht europäisch, sondern chinesisch." Da wird sich die Zeitung freuen, dass die Bundesregierung dabei ist, einzuschwenken. Es muss wohl nicht erwähnt werden, dass sich auch die taz brav eingliedert: "Es ist ein erbärmliches Ergebnis von zwei Jahrzehnten linker Regierungspolitik: Maduros Machtanspruch hat das Land in eine Patt-Situation geführt."
Linkspartei spricht Klartext
Die Liste der fragwürdigen und demokratiefeindlichen Beiträge aus der deutschen Politik- und Presselandschaft ließen sich seitenweise fortsetzen. Da tut es gut, dass zumindest einige Mitglieder der Linkspartei Klartext sprechen, etwa Fraktionsvize Sevim Dagdelen, die den Putsch und dessen Unterstützung klar kritisiert: "Der Putschversuch in #Venezuela wird von US-Präsident #Trump – wie bestellt – unterstützt. Jeder aufrechte Demokrat muss diesen Putschversuch verurteilen. Kritik an der Regierung ist legitim, ein Putsch ist es nicht und klar zu verurteilen!"
Und auch die skandalöse Haltung der Bundesregierung, deren Mitglieder sich aktuell nicht gerade als "aufrechte Demokraten" darstellen, wird von Dagdelen thematisiert:
#Merkel s Putschbefürwortung ist unerträglich und trägt zur Eskalation in #Venezuela bei. Sie stellt sich damit offen hinter den völkerrechtswidrigen Konfrontationskurs von #Trump. Dialog statt Eskalation! #VenezuelaLibre#VenezuelaCouphttps://t.co/hbGaiv0rHz
— Sevim Dagdelen, MdB (@SevimDagdelen) 25. Januar 2019
Westliche Medien: Koalition der Anti-Demokraten
Die internationale westliche Presse steht der deutschen Propaganda in Sachen Demokratiefeindlichkeit nicht nach, etwa die New York Times, die urteilt: "Die Trump-Administration tut gut daran, Guaidó zu unterstützen. (…) Die Vereinigten Staaten müssen sich jetzt als Teil einer breiten Koalition südamerikanischer und anderer demokratischer Nationen betrachten, die den Venezolanern hilft, der destruktiven Diktatur ein friedliches Ende zu bereiten." Auch der Economist ist auf Putsch-Kurs und nennt das "friedlichen Wandel": "Amerika und die EU sollten alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, um einen friedlichen Wandel zu fördern, indem sie die Parallelregierung von Juan Guaidó stärken."
Infam positioniert sich auch die spanische Zeitung ABC: "Die Proklamation bedeutet das Ende eines totalitären, korrupten und perversen Regimes, das vor fast zwei Jahrzehnten vom brillianten Militär Hugo Chávez gegründet wurde und das dann ein völlig unfähiger Nichtsnutz namens Maduro weiterführen wollte. (…) Die Anerkennung von Guaidó als Übergangspräsident durch die USA, Kolumbien, Kanada, Brasilien, die OAS und einer wachsenden Liste an Ländern lässt keinen Zweifel an der allgemeinen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft gegenüber Venezuela." Und El Espectador aus Kolumbien stellt fest, dass die (zu spaltende) Armee noch hinter "dem Diktator" Maduro stehe: "Guaidó hat jedoch führenden Militärangehörigen eine Amnestie angeboten, und damit könnte er einen Keil in die Armeespitze treiben. Alles deutet darauf hin, dass der Druck auf den Diktator zunehmen wird, und zwar von der Straße und aus dem Ausland."
Stimmen der Vernunft: "Anmaßende Intervention"
Doch immerhin in der internationalen Presselandschaft gibt es auch Stimmen der Vernunft, etwa die türkische Zeitung Sabah: "Dass der Präsident eines Landes das gewählte Staatsoberhaupt eines anderen Landes nicht anerkennt und stattdessen einen selbsternannten Präsidenten für legitim erklärt, ist einfach nicht üblich.(…) Die US-Regierung legt den gleichen postmodernen Kolonialismus an den Tag, mit dem sie schon Allende in Chile gestürzt hat."
Und auch die argentinische Zeitung La Arena spricht Klartext: "Sobald ein Land über reiche Erdölvorräte oder andere interessante Ressourcen verfügt, darf es sich nicht gegen Washington auflehnen, sonst droht ihm der Zorn des Weltpolizisten. Immer hat Washington irgendeinen Vorwand für seine anmaßenden Interventionen parat: angebliche Massenvernichtungswaffen, Menschenrechtsverletzungen, eine gefährdete Demokratie und so weiter. Auch gegen die Regierung von Maduro werden Lügen verbreitet, und man will sich 'alle Optionen offenhalten', falls er etwas gegen den selbsternannten Präsidenten Guaidó unternimmt. (…) Trump und seine Gefolgsleute haben Blut geleckt – oder sagen wir besser: Öl?"
Die Zeitung Komsomolskaja Pravda aus Moskau traut der Opposition nicht über den Weg und sieht Russlands Investitionen in Venezuela gefährdet, falls Maduro die Macht verliert: "Russland hat mehrere Milliarden US-Dollar in die Energiebranche Venezuelas investiert. Was wird aus diesem Geld, wenn die Gegner Maduros an die Macht kommen? Die Opposition beteuert, dass sie die Freundschaft mit Russland pflegen und die Zusammenarbeit ausbauen will. Aber dieselben Leute behaupten auf Demonstrationen, dass Ex-Präsident Chávez Venezuela an die Russen verkauft habe. Deshalb lässt sich an der Aufrichtigkeit solcher Freundschaftsbekundungen zweifeln."
Die lange Liste der US-Umstürze in Lateinamerika
Der Putsch weckt auch Erinnerungen an das finstere Kapitel der brutalen US-Interventionen in Lateinamerika. Aus diesem Grund hat das Portal Amerika 21 die lateinamerikanischen US-Interventionen seit 1945 dokumentiert: Das Medium kommt auf mindestens 20 (teils gescheiterte) Coups und 1,5 Millionen Tote. Diese Zahlen relativieren auch deutlich etwa die von US-Seite behauptete "russischen Einmischungen" in die letzte Präsidentschaftswahl.
Wer übrigens den Berichten Glauben schenkt, in Venezuela seien die Medien "gleichgeschaltet", ist möglicherweise überrascht von Kommentaren wie diesem hier aus der venezolanischen Zeitung Analytica, aus dem der Deutschlandfunk zitiert:
"In diesem Augenblick gab keine sozialen Unterschiede und keine politischen oder ideologischen Differenzen. Guaidó konnte vor dem Volk seinen Amtseid ablegen und ist nun unser Interimspräsident. Vor uns liegt eine Zeit, in der alle Institutionen des venezolanischen Staates den Anordnungen des einzigen und von der Verfassung legitimierten Präsidenten Folge leisten müssen."
Die Privatmedien Venezuelas mischen mit
Welch destruktive Rolle viele venezolanische Privatmedien spielen, wurde bereits beim Putsch-Versuch von 2002 gegen Hugo Chávez deutlich. Der auch damals mutmaßlich von US-Beamten unterstützte Umsturz war von den venezolanischen Privatmedien und der dortigen Großindustrie vorbereitet worden. Im Jahr 2002 scheiterte der gewaltsame Sturz der Regierung von Chávez jedoch am massenhaften Widerstand.
Die dramatischen Vorgänge von 2002 können auch aktuell Hoffnung geben. In der Dokumentation "Ein Staatsstreich von innen" kann man sie in bewegender Weise Revue passieren lassen:
Zwei Blicke auf "das Volk" – Demonstranten in Frankreich und in Venezuela
Eine im Zusammenhang mit Venezuela auch international massiv verbreitete Losung lautet: "Nicolás Maduro hat das Militär hinter sich, Juan Guaidó das Volk", wie etwa die polnische Rzeczpospolita stellvertretend für viele deutsche und internationale Medien behauptet. Eine solche Überhöhung von einigen Tausend Demonstranten zu "dem Volk" kennt man ebenfalls aus den Kampagnen zu Syrien und der Ukraine.
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