Warum die globale Linke eine Wahl nach der anderen verliert und was sie dagegen tun kann
von Timo Al-Farooq
Seien wir mal ehrlich, der Hauptgrund, weshalb die Rechten in demokratischen Staaten – in denen Regierungen vom Volk gewählt und nicht gewaltsam installiert werden – bei Wahlen gewinnen, ist die Tatsache, dass sie das metaphorische Messer zu einem Faustkampf mitbringen. Und der entscheidende Grund, weshalb die Linken andauernd verlieren, ist ihre Weigerung, es den Rechten nachzutun.
So kommen die Rechten damit durch, unilateral den politischen Diskurs verroht zu haben, während die Linken, die immer noch mit fast infantiler Naivität an die zerebrale Anständigkeit aller Menschen glauben, sich nach wie vor weigern, sich die Hände schmutzig zu machen und ungebrochen beide Wangen hinhalten.
Dabei ist dieser Birkenstock-Idealismus nicht erst ein Anachronismus, seit sich das Hipstertum diese Jesuslatschen als kulturelles Symbol angeeignet hat, sondern bereits seit der Trumpschen Neuschreibung des Regelwerks allgemeinen politischen Diskurses, in dem es nur noch eine goldene Regel zu geben scheint: verbale Unanständigkeit.
Und Unanständigkeit ist eine geistige Einstellung mit korrespondierendem Verhaltensmuster, auf die linksorientierte Menschen bis heute nicht klar kommen: Denn sie – ob in den USA oder Deutschland – können es immer noch nicht begreifen, weshalb die traditionellen, überparteilichen Benimmregeln politischer Korrektheit, nach der sie sich immer pflichtbewusst gerichtet haben, nicht mehr zum gewünschten Erfolg parlamentarischer Sitzmehrheiten führen, während die Rechten Troja einnehmen, und das ganz ohne Holzpferd, sondern tatsächlich per demokratischem Mandat. Dabei sollen die Linken ja nicht gleichermaßen verrohen, sondern nur den Ton verschärfen: Allein das würde meiner Meinung nach schon aus der politischen Misere heraushelfen.
Was oft übersehen wird: Schuld am bereits erstarkten globalen Rechtsdrall der Mitte und unserer "unanständigen neuen Weltordnung" sind nicht nur die Politiker, sondern gleichermaßen die Wähler in den westlichen Teilen dieser Erde, die ihnen ihre kostbare Stimme geben.
Ist es ein Zeichen von Anstand, einen vollumfänglichen Faschisten wie Jair Bolsanaro, der zur Zeit einen sadistischen Mehrfrontenkrieg gegen Brasiliens Indigene, die Umwelt und die LGBT-Community führt, zum Präsidenten des größten Staates Lateinamerikas zu machen? Oder radikale Ethno-Nationalisten wie Indiens Narendra Modi oder Israels Benjamin Netanjahu zu Ministerpräsidenten ihrer respektiven Staaten wieder zu wählen?
Definitiv nicht. Um zwei und zwei zusammenzuzählen: Wer Rassisten wählt, ist selbst ein Rassist. Wer einen Frauenhasser wählt, ist selbst ein Frauenhasser. Wer einen Faschisten wählt, ist selbst ein Faschist. Denn in halbwegs demokratischen Staaten bekommt man das, was man wählt. Die ultimative Verantwortlichkeit eines jeden Wahlausgangs liegt beim Wahlvolk und nicht an der gewählten Volksvertretung. Und das, was wir heute bekommen, ist viel zu oft demokratisch gewählter De-facto-Faschismus.
Gerade wir in Deutschland sollten nicht vergessen, dass es der demokratische Prozess der Weimarer Republik war, der Hitler und dessen NSDAP zur Macht verhalf, mit dem sie dann kurzen Prozess machten, als sie begannen, das demokratischste Deutschland, das es bis dahin je gegeben hatte, ins Dritte Reich umzubauen. Wie das ausgegangen ist, wissen wir alle. Und wie zu Weimarer Zeiten scheinen die etablierten linken Kräfte heute genauso machtlos zu sein angesichts des steten Aufstiegs der Rechten.
Genau das macht den Faschismus so gefährlich: Er bedient sich völlig legaler politischer Partizipationsprozesse und beginnt dann, sobald an der Macht, diese mit Autoritarianismus im besten und Totalitarianismus im schlimmsten Fall zu ersetzen.
Wenn die globale Linke wieder Ansätze von Relevanz erreichen möchte, muss sie schleunigst ihre Taktik überdenken. Auch wenn das bedeutet, ihr eigenes Wertesystem zu kompromittieren, so schmerzhaft das auch sein mag. Soll heißen: Die Linke muss endlich verstehen, dass ihr tradierter Ansatz gegen diese Art von wütendem, postfaktischem Populismus, wie die Rechten sie an den Tag legen, nicht funktioniert. Und dass sie endlich anfangen muss, Feuer mit Feuer zu bekämpfen. "Feel the Bern" und "Indignez-vous!" sollten schnellstmöglich die konternarrativen Schlachtrufe der globalen Linken zum Make-mein-Land-Great-Again-Mist der organisierten Rechten werden.
Denn die Zeit drängt: Wie bei der Umwelt befinden wir uns auch in einem politischen Klimanotstand sondergleichen.
Nicht erst seit der Netflix-Serie "House of Cards" wissen wir, dass Politik ein Drecksspiel ist. Doch seit jener fatalen amerikanischen Dienstagnacht vom 8. November 2016 ist so ziemlich nichts mehr heilig, nicht einmal Fakten und allgemein akzeptierte "Wahrheiten". Politiker in sogenannten "liberalen" Demokratien haben schon immer gelogen, das gehört zum Geschäft. Aber noch nie seit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde dies so schamlos, so aggressiv und auf eine solch geradezu dadaistische Weise getan.
2020 ist ein Schicksalswahljahr in den USA: Und welch bessere Gelegenheit, den Startschuss für eine globale linke Renaissance abzufeuern als mit der "Amtsenthebung" von Donald Trump an der Wahlurne mit einem wirklich linken Gegenkandidaten wie Bernie Sanders als Wahlsieger statt eines neoliberalen Status-Quo-Demokraten, der höchstwahrscheinlich den gleichen Weg wie Hillary 2016 gehen würde.
Die globale Linke hat eine Wahl: Weiter herumzuheulen oder endlich erwachsen zu werden. Meint: den unschönen Realitäten ins Gesicht schauen, den "fight" annehmen, wie es im Fußballneudeutsch so schön heißt, und die politischen Strategien an diese nicht mal mehr neuen Gegebenheiten anpassen. Wir befinden uns im Krieg. Und je früher die Linke diese Tatsache akzeptiert, desto schneller kann sie diesen gewinnen.
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