Die Angst vor dem Statusverlust
von Susan Bonath
Geschichte wiederholt sich nicht, jedenfalls nicht eins zu eins. So heißt es. Dennoch produzieren ähnliche ökonomische Bedingungen zwangsläufig ähnliche Verhaltensmuster, die ihrerseits die Charakterstrukturen und damit die Denkweise von Generationen ganzer Gesellschaften prägen. Ein Blick in die Geschichte ist daher bedeutsam. Der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno, dessen Todestag sich am 6. August zum 50. Mal jährte, hat einiges dazu beigetragen, den Blick zu erhellen. Wer seine sozialpsychologischen Analysen zum deutschen Faschismus liest, stößt unweigerlich auf Dinge, die auch heute aktuell sind.
"Wundmale einer nie eingelösten Demokratie"
Adorno bezeichnet faschistische Bewegungen damals als "Wundmale" einer versprochenen, jedoch nie eingelösten Demokratie. So habe der Liberalismus seit dem 19. Jahrhundert in Aussicht gestellt, die spätfeudalistische Ständegesellschaft aufzubrechen. Ein jeder könne künftig, so heißt es seither, seines eigenen Glückes Schmied sein. Dies habe der Liberalismus nie eingehalten. Er habe es auch gar nicht umsetzen können, da er als Herrschaftsform innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise eben weder einen entsprechenden Rahmen schaffen könne noch wolle.
Adorno zufolge entsteht Faschismus immer im unmittelbaren Zusammenhang mit bestimmten ökonomischen Bedingungen. Zu diesen zählte er, wie er in einem Vortrag zum "neuen Rechtsradikalismus" im Jahr 1967 in der Universität Wien erläuterte, "die fortschreitende Konzentrationstendenz des Kapitals", die einem System, in dem ausschließlich zum Zweck der Profitmaximierung produziert werde, innewohne. Jede Krise beschleunige die faschistischen Tendenzen
Furcht vor Statusverlust und Verschiebung der Schuldfrage
"Auf der anderen Seite erzeugt dieser Prozess die permanente Bedrohung einer Deklassierung", so Adorno damals. Das versetze Menschen in subtile Angst, die verstärkt werde durch den technologischen Fortschritt, die damit verbundene mögliche Aussortierung aus dem Arbeitsprozess und die international und national zunehmende soziale Spaltung. "So kommt es, dass Schichten, die ihrem subjektiven Bewusstsein nach bürgerlich sind, unter der Bedrohung an ihrem Status und ihren Privilegien festhalten wollen."
Die dadurch entstehenden Aggressionen seien im kleinbürgerlichen Rahmen zwar passé, brächen sich aber dennoch Bahn, so Adornos Beobachtungen. Diese nach oben auszuleben, verbiete gerade die Anpassung in diese Richtung, also das Bestreben, "von denen da oben begünstigt zu werden". "Sie projizieren die Schuld an der eigenen potentiellen Deklassierung deshalb von den Verursachern auf jene, die dem System, in dem sie gefühlt Status haben oder hatten, kritisch gegenüberstehen", mahnte er. So richte sich ihr Hass gegen linke, soziale oder sozialistische Bestrebungen, deren Protagonisten sie als alleinigen Feind ausmachten.
Mit Propaganda zur "permanenten Neurose"
Diese Tendenz nutzten Rechtsradikale für ihre Propaganda. Dieser weist Adorno eine Schlüsselfunktion zu. Charakteristisch für faschistische Bewegungen sei "eine außerordentliche Perfektion der propagandistischen Mittel". Diese seien gar "die Substanz rechtsradikaler Politik". Die Erfahrung sei jedoch: Jenseits des Trommelns falle die Taktik der verbalen Überbietung schnell in sich zusammen.
Der Sozialforscher Leo Löwenthal, ein früher Weggefährte Adornos, der als Jude vor den deutschen Faschisten in die USA geflüchtet war, wies in seinem Werk "Falsche Propheten" detailliert nach, wie die Politik der NSDAP von systematischer, völlig überdrehter Propaganda lebte. Sie habe ihre Adressaten in einem "Zustand der permanenten Neurose gehalten; also permanent schon pathologische Züge des Verfolgungswahns getriggert". Dies sei darüber hinaus ein Merkmal aller bisherigen faschistischen Bewegungen. Letztlich, so Adorno dazu, geschehe dies nur mit einem Ziel: der Übernahme der Macht. Denn dies gelinge in einer bürgerlich-parlamentarischen Demokratie nur mit dem Rückhalt einer Massenbasis.
Ausmerzen zugunsten des Kapitals
Was vielen nicht klar sei, so Adorno weiter: Rechtsradikale seien zwar sehr vielseitig in ihren propagandistischen Versprechungen gegenüber "den kleinen Leuten". Letztlich seien sie aber nichts weiter als die Apologeten diverser verunsicherter Kapitalfraktionen, die mit ihrer Hilfe an der Macht bleiben oder an die Macht gelangen wollten. Sie strebten einen autoritären Staat an, der Menschengruppen, die ihnen dafür unbrauchbar erscheinen, ausmerzen solle – eine Diktatur der rohen Gewalt.
Dabei gingen sie keineswegs nur nach rassistischen oder antisemitischen Kriterien vor, sondern ganz klar sozialdarwinistisch. Die auszumerzenden Gruppen, gegen die – zunächst – agitiert werde, mehrten sich zusehends. In der Vergangenheit war es genauso: Favorisiert wurde der muskulöse, starke, kriegerische "Arier" und die gehorsame, ihre Kinder ebenso zum Gehorsam erziehende, deutsche Frau. Den Kommunisten folgten Sozialdemokraten, den Juden folgten Sinti und Roma, Slawen, Zeugen Jehovas und Arbeitslose in die Todeslager. Behinderte und Kranke wurden hingerichtet. Und im Krieg vernichtete die NSDAP-Diktatur nicht nur unzählige Zivilisten, darunter bis zu 27 Millionen Sowjetbürger. Sie schickte auch Millionen deutsche Arbeiter und Kleinbürger in Elend und Tod.
Märchen von Lösungen durch Machtübernahme
Die Agitation gegen antikapitalistische Kräfte – damals ging es gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und alle Arbeiterorganisationen, wie Gewerkschaften – ist heute auch in der Propaganda der AfD verankert. Bereits am Anfang spiegelte sich die Angst vor Statusverlust in ihrer Agitation gegen die herrschende Politik sowie gegen die EU – zweifelsohne ein imperialistisches Kriegsbündnis – wider.
Sie kritisierten diese dabei aber nicht als Stütze von Kapitalismus und Imperialismus als Verursacher der Probleme. Vielmehr verbreiten sie bis heute die Mär, das Problem innerhalb dieser Wirtschaftsordnung mit ihrer Machtübernahme zu lösen. Man werde, so tönen sie, das Land durch Vertreibung oder gar Vernichtung von zu Feinden erklärten Menschengruppen "säubern".
Der autoritäre Charakter: Unterwerfen und unterdrücken
Laut Adorno und weiterer Soziologen und Psychoanalytiker, darunter etwa Erich Fromm, übe dieses "Machtversprechen" eine ambivalente Anziehungskraft auf autoritäre Charaktere aus. Hier war es vor allem Fromm, der beschrieb, wie die kapitalistische Gesellschaft derartige Persönlichkeiten präge. Lohnabhängige seien stets gezwungen, sich selbst zu vermarkten. Der Verkauf ihrer Arbeitskraft an übermächtige Besitzende entfremde sie zudem von sich selbst und ihrem Handeln. Der bürgerliche Staat, so Fromm, richte Menschen darauf ab, einer auf Profitmaximierung ausgerichteten Wirtschaft dienstbar zu sein. Das erfordere totale Unterwerfung unter jene, die in der Statusskala höher stünden.
Autoritäre Persönlichkeiten sind laut Fromm und Adorno durch bestimmte Verhaltensmuster und Ideologien geprägt: Dazu gehörten einerseits eine starre Bindung an konventionelle Werte der Mittelschicht sowie die unkritische Unterwerfung unter idealisierte Machtpersonen, die der eigenen Gruppe zugeordnet werden. Hinzu komme andererseits die autoritäre Aggression, also die Tendenz, nach als "schwach" empfundenen Personen, die die idealisierten Werte missachteten, Ausschau zu halten, um sie zu bestrafen.
Hierarchisches Denken und Schuldprojektion
Fromm sprach von "sado-masochistischen Persönlichkeiten", die er nicht nur sexuell verstanden haben wollte. Insgesamt neigten die Menschen zum Gehorsam gegen Autoritäten und zugleich zur Unterdrückung Schwächerer oder als fremd empfundener Minderheiten sowie, und das betonte er, zur "Projektion eigener unbewusster Triebimpulse auf die Außenwelt". Der Denkrahmen derart konditionierter Menschen bewege sich, sind sich beide einig, innerhalb von Hierarchien und Machtstrukturen, zwischen Unterwürfigkeit und Aggression, Projektion und stereotypen Glaubensmustern.
Appelle an Humanismus oder Menschlichkeit, so war Adorno überzeugt, liefen angesichts dessen ins Leere. Das bringe die Adressaten "zum Weißglühen", da es ein "verhasstes Gefühl von Angst und Schwäche" erzeuge, sagte er einmal. Und weiter: "Das einzige, was mir etwas zu versprechen scheint, ist, dass man potentielle Anhänger des Faschismus warnt vor dessen Konsequenzen, die auch sie ins Unheil führen werden."
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