Ohne Parma-Schinken und deutschen Meerrettich: Wie russische Gastronomen mit Sanktionen umgehen
Vor der Pandemie waren die Gastronomen die neuen russischen Stars – und die Branche wuchs dynamisch. Ausländische und aufsteigende russische Chefköche, neue Restaurants und Cafés, anspruchsvolle Restaurantkritik und kulinarische Wettbewerbe – es war faszinierend, die Entwicklung des Gaststättengewerbes in Russland zu beobachten, es war wie ein lukullisches Gourmet-Theater.
Die Pandemie versetzte der Branche den ersten schweren Schlag – alle Lieferketten brachen über Nacht zusammen und neue mussten aufgebaut werden. Außerdem galt es, einige ausländische Zutaten durch einheimische zu ersetzen. Es sah bereits so aus, als hätten die Gastronomen diese Aufgabe erfolgreich gemeistert. Selbst der Guide Michelin traute sich endlich nach Russland – und dann kam der 24. Februar.
Alles änderte sich mit einem Schlag. Nun versuchen russische Gastronomen seit Monaten, mit den Folgen der westlichen Sanktionen fertigzuwerden. Die Preise ändern sich, die Lebensmittellieferungen aus dem Ausland werden drastisch eingeschränkt, aber die Restaurants und Bars geben nicht auf. Sie denken sich neue Speisekarten aus, suchen nach Alternativen und kämpfen mit den Lieferanten um den Fortbestand.
Iwan Froluchin, Küchenchef bei Harvest und Frantsuza Bistrot in Sankt Petersburg, sagte zum Beispiel gegenüber Afischa-Daily:
"Wir sind recht optimistisch. Es ist für uns, wie für alle anderen auch, schwer, aber wir suchen nach Möglichkeiten. Ich stimme teilweise mit der Meinung überein, dass die Schwierigkeiten mit importierten Produkten eine Gelegenheit für unsere Produzenten sind, das Niveau der ausländischen Anbieter zu erreichen."
Das größte Problem für die Gastronomen seit einigen Monaten sei wahrscheinlich die sich immer wieder ändernde Situation mit den Lieferungen und Preisen, so die Wirtschaftsseite RBK. Nach Beginn der Militäroperation in der Ukraine wurden die Speisekarten in sieben Restaurants, in denen Roman Tamrasjan, Küchenchef und Botschafter des Chefs Team Russia im Nordkaukasus, arbeitet, zweimal geändert, schreibt RBK: Beim ersten Mal wurden die Preise um 30 Prozent angehoben und beim zweiten Mal um zehn Prozent gesenkt, einige Positionen wurden von der Speisekarte gestrichen, teure Zutaten mit heimischen ersetzt.
In den vergangenen sechs Monaten hat die Familiencafé-Kette "Anderson" ihre Speisekarte rekordverdächtig oft aktualisiert, so Firmengründerin Anastasia Tatulowa gegenüber RBK. Die Veränderungen wurden unter anderem durch den erzwungenen Wechsel der Lieferanten, höhere Preise für Lebensmittel und Zutaten sowie durch einen Rückgang der Besucherzahlen verursacht.
"Unkontrollierte" Produktpreiserhöhungen im März reichten von zehn bis 250 Prozent, so Tatulowa.
In einem Gespräch mit RBK wies die Gastro-Managerin Jekaterina Meteliza beispielsweise auf einen drastischen Preisanstieg bei Meerrettich hin: Sein Preis verzehnfachte sich, da er aus Deutschland importiert wurde.
Die Restaurants könnten die Preise auf der Speisekarte jedoch nicht wesentlich erhöhen – das schrecke die Kunden ab, so RBK. Also müssten sie eine "kolossale Arbeit" in Bezug auf das Zusammenstellen der Gerichte und die Suche nach ähnlichen Zutaten leisten.
Normalerweise beträgt der Zeitrahmen für die Änderung der Speisekarte drei bis vier Monate, erklärte man gegenüber RBK in "Anderson", aber in diesem Frühjahr musste man eine Frist von zwei Wochen einhalten, da der Gewinn von der Reaktionsgeschwindigkeit abhing. Verlustbringende Gerichte wurden aus dem Angebot gestrichen: Insbesondere Parmaschinken, Edamame-Bohnen und Kirschtomaten wurden von der Speisekarte genommen. Salatblätter wurden teilweise aus den Beilagen entfernt. "Römersalat wurde überall rausgenommen, außer bei Caesar Salad", erzählte Tatulowa.
"Die Frage der Austauschbarkeit von Produkten ist kompliziert: Wenn man eine Zutat in der Rezeptur eines Gerichts ändert, ist es bereits völlig anders", räumte Konstantin Makowezki, Leiter der Gilde der Köche von Samara, ein.
Einige Zutaten und Produkte können jedoch problemlos durch einheimische Produkte ersetzt werden. Am harmlosesten sind die Probleme mit Fisch, denn davon gibt es in Russland reichlich. "Anderson" hat zum Beispiel Lachs, Wolfsbarsch und Dorade von der Speisekarte gestrichen und durch russischen Qualitätsfisch aus Murmansk, Karelien und dem Fernen Osten ersetzt, schreibt RBK.
Froluchin erzählte Afischa Daily, dass sein Restaurant schon vor den Sanktionen den größten Teil seiner Fische und Meeresfrüchtfe aus Russland bezog. "Wir haben Tintenfisch, Muscheln und Heilbutt aus Murmansk und Jakobsmuscheln aus dem Fernen Osten. Sie sind von hervorragender Qualität, und ich spreche nicht einmal von Krabben, die hier leicht zu bekommen sind – und im Ausland fast unmöglich zu finden", sagte er.
Jewgeni Engelke, Brand Chef bei Salone Pasta & Bar in Sankt Petersburg, betonte in einem Interview mit Afischa Daily:
"Dies ist nicht das erste Jahr, in dem wir unter Sanktionen leben, und wir haben es geschafft, nationale Küchen zu kreieren, ohne beim Geschmack Kompromisse einzugehen.
Was das Sortiment betrifft, so gibt es seit fünf Jahren viele Käsereien, die frischen Weichkäse herstellen. Wir arbeiten nun schon seit vielen Jahren mit ihnen zusammen. Es gibt sogar Leute, die Parmesan herstellen, und jetzt ziehen wir ihn auch als vorübergehende Alternative in Betracht. Der Rest ist eine Frage der Logistik und der Zeit. Ja, es wird neue Angebote auf der Speisekarte geben, denn der gekühlte Mittelmeerfisch ist weg, aber wir werden Meeräsche, Wels und andere Arten hinzufügen. Wir werden sie nach traditioneller italienischer Art zubereiten."
Der Mangel an einigen Importprodukten hat zu einer Knappheit an russischen Gegenstücken geführt, schreibt RBK. Mit dem Rückzug ausländischer Pommes-Frites-Hersteller vom russischen Markt fiel die Last auf russische Unternehmen, insbesondere auf LambWeston, deren Produkte für die Verwendung in der Gastronomie geeignet sind.
Der Nachfolger der Fast-Food-Kette McDonald's, zum Beispiel, sieht sich derzeit mit einem Mangel an Pommes frites konfrontiert.
Im Juli warnte die Kette, dass es in einigen ihrer neuen Lokale bis September keine Pommes frites geben würde. Das Unternehmen führte dies auf die Tatsache zurück, dass das Jahr 2021 in Russland "ein schlechtes Erntejahr für die Kartoffelsorten geworden ist, die für Pommes frites verwendet werden". Die Importe von Märkten, die als vorübergehende Lieferanten in Frage kämen, seien wegen der Sanktionen nicht möglich, so das Unternehmen.
Ein unerwartetes Problem, dem sich Gastronomen auch stellen müssen, sind die Kunden. Die oft immer noch das essen wollen, was sie gewohnt sind. Wie der Küchenchef Witali Istomin gegenüber Afischa Daily anmerkte:
"Wir sind bereit, uns umzustellen und anzupassen, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Gäste dazu bereit sind. Viele wollen immer noch Wolfsbarsch mit Avocado essen — was heutzutage sogar beim Aussprechen teuer wirkt. Für die Köche und Gastronomen ist jedoch das, was passiert, eine gute Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren und aus dem gewohnten Rahmen herauszutreten."
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