Die russische Wirtschaft – in Wirklichkeit auf dem Niveau der deutschen?
Von Alexander Männer
Die als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 massiv ausgeweitete Sanktionspolitik des Westens gegen Russland konnte die Wirtschaft des Landes nicht nur nicht ruinieren, sondern hat wider Erwarten schwerwiegende negative Folgen für die Länder gebracht, die die Strafmaßnahmen einführten. Das zeigt vor allem das Beispiel Deutschlands, das aufgrund seiner breiten Abkehr von den preiswerten russischen Ressourcen zuerst mit hohen Energiepreisen und danach mit einer extrem hohen Inflation konfrontiert wurde. Infolgedessen wurde die Bundesrepublik unter anderem von einer beispiellosen Pleitewelle der Unternehmen erwischt, weswegen man unlängst von der Gefahr einer Deindustrialisierung spricht.
Im Vergleich dazu überrascht die wirtschaftliche Entwicklung Russlands angesichts der Tausenden Sanktionen, die die russische Wirtschaft eigentlich schon vor einem Jahr in den Abgrund stürzen sollten, auf eine positive Weise. So nahm die Inflation in Russland in diesem Jahr schon zum dritten Mal in Folge ab und lag zum Beispiel im März insgesamt bei 3,5 Prozent. Das ist deutlich weniger als die Inflationsrate in Deutschland, die im selben Monat 7,4 Prozent betrug. Sollte diese Tendenz bis zum Jahresende anhalten, dann wäre es das erste Mal in der jüngsten Geschichte überhaupt, dass die jährliche Gesamtinflation in Russland niedriger ausfällt als die in Deutschland.
Die Rolle des Produktionssektors
Derweil machen viele Experten die Widerstandfähigkeit der russischen Wirtschaft vor allem an der Tatsache fest, dass Moskau die westlichen Handelsbeschränkungen auf Rohstoffe umgeht und weiterhin Einnahmen etwa aus dem Verkauf von Erdöl und Gas generiert. Dies stimmt allerdings nur zum Teil, wenngleich der Handel mit Ressourcen für die Russen in der Tat eine zentrale Rolle spielt. Denn ein Schlüsselaspekt für den recht erfolgreichen Umgang Russlands mit Sanktionen ist das, was viele Wirtschaftsexperten im Grunde schon während der Corona-Krise ausgemacht hatten: Nämlich das Potenzial eines Landes, physische Güter trotz negativer äußerer Faktoren in einem ausreichenden Umfang herzustellen, um die einzelnen Wirtschaftsprozesse dadurch am Laufen zu halten.
Der Kampf gegen die Corona-Krise und ihre ökonomischen Folgen hatte bereits 2020 deutlich gemacht, dass ein Land inmitten einer schwerwiegenden Krise – wenn vor allem die Zulieferungen aus dem Ausland unterbrochen sind und die eigenen Reserven nicht ausreichen – in hohem Maße auf den Produktionssektor und nicht etwa auf den Dienstleistungssektor angewiesen ist, um einen Wirtschaftseinbruch zu vermeiden.
Insofern darf man nicht vergessen, dass die Produktion in Russland relativ viel Potenzial hat, was die neuesten Meldungen belegen. Allein beim zivilen Flugzeugbau planen die russischen Unternehmen die Produktion von vier Passagierflugzeugen, die die Unabhängigkeit der russischen Luftfahrtindustrie und des inländischen Passagiertransports künftig gewährleisten sollen. Vor allem stehen die Russen kurz davor, mit der Serienherstellung ihres neuen und hochmodernen Passagierjets MS-21 zu beginnen, der die europäische Airbus und die US-amerikanische Boeing sowohl im Inland ersetzen als auch mit ihnen auf dem Weltmarkt konkurrieren soll.
Solche Nachrichten könnten in den westlichen Ländern mit Sicherheit für Verwirrung sorgen, wo man Russland, zumindest wirtschaftlich, lange Zeit eher als eine Bananenrepublik angesehen hat, das kaum dazu in der Lage ist, etwas Anspruchsvolles selbstständig zu entwickeln und herzustellen und stattdessen nur Rohstoffe verscherbeln kann.
Auch der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, Rüdiger von Fritsch, der zwischen 2014 und 2019 in Russland gearbeitet hat und das Land eigentlich besser als jeder deutsche Otto Normalverbraucher kennen sollte, war in der ZDF-Sendung "Markus Lanz", die Mitte Februar des vergangenen Jahres ausgestrahlt wurde, nicht weit von dieser Annahme entfernt: Er hatte damals behauptet, Russland sei wirtschaftlich im Grunde auf dem Niveau von Italien. Was im Kern definitiv nicht der Realität entsprach, aber wieder das Vorurteil unterstrich, dass Russland bloß ein weiteres Krisenland ist, das wirtschaftlich in einer anderen Liga spielt als Deutschland oder Frankreich.
Wie stark ist Russland Wirtschaft wirklich?
Im Zuge der scheiternden Sanktionspolitik und des Wiedererstarkens der russischen Wirtschaft findet im Westen diesbezüglich inzwischen offenbar ein Umdenken statt, das bereits auch in den USA Einzug gehalten hat, wie das bekannte US-Magazin The National Interest (NI) verdeutlicht. In seinem am Montag veröffentlichten Artikel "Can We Please Stop Comparing Russia's Economy to Italy's?" erläutert der Chefredakteur dieses Magazins, Carlos Roa, warum Russlands Wirtschaft in Wirklichkeit nicht so klein ist, wie die Statistiken es vermuten lassen, und warum das Land mit den Sanktionen fertig wird.
Seiner Ansicht nach soll der besagte Vergleich mit Italien in erster Linie deshalb hinken, weil die russische Wirtschaft immer wieder an dem nominalen Bruttoinlandsprodukt gemessen werde und nicht an der sogenannten Kaufkraftparität, die die realen Verhältnisse besser wiedergeben würde. Diese sind Roa zufolge so, dass das an der Kaufkraftparität gemessene BIP Russlands etwa im Jahr 2021 4,81 Billionen US-Dollar betrug und damit näher an dem deutschen BIP von 4,85 Billionen Dollar lag als an dem italienischen, das im selben Jahr nur 2,74 Billionen Dollar ausmachte. Dies sei ein entscheidender Unterschied, und es sei sowohl rätselhaft als auch beunruhigend, dass "so viele weiterhin den Russland-Italien-Vergleich nachplappern" würden, meint Roa.
Zudem bestätigt er die eingangs erwähnte These über die Produktion und die Dienstleistungen: Ihm zufolge hatten sich die westlichen Volkswirtschaften in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend auf den Dienstleistungssektor konzentriert, der in Zeiten von Konflikten jedoch an Bedeutung verliert. Unter den Bedingungen eines Krieges sei die Produktion von physischen Gütern von entscheidender Bedeutung, so der Experte, und aus diesem Grund sei die russische Wirtschaft nicht nur "stärker als die deutsche, sondern auch mehr als doppelt so stabil wie die französische".
Roa weiter: "Die dominierende Position Russlands bei dem weltweiten Handel mit Energie und Rohstoffen – das Land ist ein wichtiger Produzent von Öl, Gas, Platin, Kobalt, Gold, Nickel, Phosphat, Eisen, Weizen, Gerste, Buchweizen, Hafer und anderen Gütern – gewährt ihm einen erheblichen Einfluss auf die Märkte und die Wirtschaft und macht es weniger anfällig für Sanktionen und den Druck des Westens." Darum scheiterte auch der "universelle Ansatz" von Wirtschafts- und Handelsbeschränkungen gegen ein Land mit solch einer beträchtlichen Wirtschaftskraft, heißt es.
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