Weshalb versuchten die USA im Jahr 1991 den Zusammenbruch der UdSSR zu verhindern?
Von Petr Lawrenin
Wenn man auf Google nach "Ende des Kalten Krieges" sucht, wird die Suchmaschine umgehend ausspucken, dass dieses Ereignis am 26. Dezember 1991 stattfand, dem Tag, an dem die Sowjetunion aufhörte zu existieren. Dies ist jedoch in Wirklichkeit nicht wahr. Bereits zwei Jahre zuvor erklärten die Staatsoberhäupter der USA und der UdSSR offiziell das Ende der über 40 Jahre andauernden Konfrontation.
Die Spannungen, die in den 1980er Jahren zwischen den beiden Supermächten zunehmend herrschten, konnten schließlich durch gemeinsame diplomatische Bemühungen abgebaut werden. Das in diesen Jahren zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus aufgebaute Vertrauen, inspirierte die Vereinigten Staaten nicht nur dazu, Anfang der 1990er Jahre über die Integration der UdSSR in das neue System der internationalen Beziehungen nachzudenken, sondern bewegte sie auch dazu, den Zusammenbruch des "Roten Reiches" zu verhindern.
Aber warum wurde Washington plötzlich zum Retter in der Not seines ehemaligen Erzfeindes? Und wann wich diese Freundlichkeit den kompromisslosen Aussagen über "einen Sieg im Kalten Krieg und den triumphalen 'Tanz' der Vereinigten Staaten auf der Asche ihres untergegangenen Feindes"?
Ein dorniger Weg
Im letzten Jahrzehnt des Kalten Krieges entwickelte sich die Lage auf dem globalen Schachbrett nicht zugunsten der UdSSR. Die sowjetische Wirtschaft wurde durch ein langwieriges Wettrüsten, das die USA beschleunigten, erheblich geschwächt. Ende 1983 stationierte Washington die erste Batterie von Pershing-II-Raketen in Europa. Diese konnten Ziele im westlichen Teil der UdSSR innerhalb von nur sechs bis acht Minuten erreichen.
Gleichzeitig begannen die USA über eine neue Art von Atomschlag gegen die UdSSR zu sprechen – über einen "Enthauptungsschlag" oder "Angriff zur Erblindung", mit dem die Führungsstrukturen des Landes und die Führung selbst eliminieren werden sollte, bevor die Entscheidung für einen Vergeltungsschlag getroffen werden konnte. Im Jahr 1984 lancierte der damalige US-Präsident Ronald Reagan das "Star Wars" Programm, das den sowjetisch-amerikanischen Konflikt auf den Weltraum auszuweiten drohte.
Doch schon vor diesen Ereignissen suchte die sowjetische Führung fieberhaft nach einem Kompromiss mit den USA. Juri Andropow, der damalige Generalsekretär der KPdSU, versuchte, eine Einigung mit Washington zu erzielen. Doch seine Initiative wurde durch den tragischen Abschuss einer Boeing 747 der Korean Air Lines durch die sowjetische Luftwaffe zunichte gemacht, woraufhin Reagan seine berühmte Rede hielt, in der er die UdSSR das "Reich des Bösen" nannte.
Die Hoffnungen auf ein Ende des Konflikts waren im Nu verflogen. Die Spannung nahmen nur noch mehr zu und erreichten ein Rekordhoch, wie es in den vorangegangenen 30 Jahren nicht erreicht wurde. Ab einem gewissen Zeitpunkt kam die UdSSR zu dem Schluss, dass die Fortsetzung von Verhandlungen ein Zeichen ihrer Schwäche sei. Der Dialog scheiterte und beide Seiten befürchteten einen baldigen Atomschlag.
Alles änderte sich, als Michail Gorbatschow an die Macht kam. Entgegen dem Rat seines Militärs und ohne jeglichen Druck der USA, entschloss er sich den ersten Schritt zu tun und Zugeständnisse zu machen. Erstens verhängte die Führung der Sowjetunion 1985 einseitig ein Moratorium für die Stationierung des operativ-taktischen Raketenkomplexes "Oka" in der Tschechoslowakei und der Deutschen Demokratischen Republik. Im Januar 1986 folgte dann die Ankündigung einer schrittweisen weltweiten nuklearen Abrüstungskampagne durch die UdSSR. Gorbatschow sagte damals:
"Wenn ich heute vor Ihnen stehe, möchte ich sagen, dass sich das sowjetische Volk dem Frieden verschrieben hat, diesem höchsten Wert, der dem Geschenk des Lebens gleichkommt. Lassen Sie uns gemeinsam dazu verpflichten, diese Bedrohung zu beseitigen, die über der Menschheit schwebt."
Damit lag der Ball bei Washington. Ob die Geste des sowjetischen Führers das Ende des langen Konflikts einleiten würde, hing jetzt von den USA ab. Ronald Reagan nahm den Ball an und rannte damit los.
Die lang erwartete Entspannung
Bald darauf entwickelte sich zwischen den beiden Staatsoberhäuptern eine besondere Beziehung, und die UdSSR und die USA gingen rasch von strategischen Waffenbeschränkungen zu einer radikaleren Abrüstungspolitik über. Das erste gemeinsame Dokument war der im Dezember 1987 unterzeichnete Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen (INF), der Kurz-, Mittelkurz- und Mittelstreckenraketen verbot. Beide Seiten verpflichteten sich, alle Komplexe ballistischer und bodengestützter Marschflugkörper mit mittelkurzer (1.000 bis 5.500 Kilometer) und kurzer Reichweite (500 bis 1.000 Kilometer) zu zerstören und solche Raketen in Zukunft nicht mehr zu produzieren, zu testen oder einzusetzen.
Auf dem Gipfeltreffen in Malta Ende November/Anfang Dezember 1989, trafen Gorbatschow und Reagans Nachfolger im Weißen Haus, George H.W. Bush, zusammen und verkündeten das Ende des Kalten Krieges. Der Vertreter des Außenministeriums der UdSSR, Gennadi Gerassimow, verlautbarte, dass das Abkommen von Jalta von 1945 – das heißt, die Aufteilung Europas in Einflussgebiete nach dem Krieg – durch die sogenannte "Sinatra-Doktrin" ersetzt worden sei, wodurch die osteuropäischen Satellitenstaaten der UdSSR die Freiheit erhielten, "die Dinge auf ihre Weise zu tun". Das Abkommen von Jalta wurde offiziell begraben.
Im Jahr 1990 einigte sich die UdSSR auf die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft der BRD – was im Wesentlichen dazu führte, dass der sozialistische Osten Deutschlands vom kapitalistischen Westen geschluckt wurde. Die UdSSR versprach zudem, ihre Truppen innerhalb von vier Jahren aus den ostdeutschen Gebieten abzuziehen, aus den anderen Ländern des Warschauer Paktes sogar noch früher.
Im selben Jahr unterzeichnete Gorbatschow auch den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), mit dem die Zahl der sowjetischen Truppen in anderen Teilen Europas drastisch reduziert wurde und somit die Möglichkeit eines groß angelegten Überraschungsangriffs ausschloss. Im Rahmen des KSE-Vertrages musste die sowjetische Seite ihre militärische Präsenz drastisch reduzieren und strenge Beschränkungen der Truppenbewegung einhalten. Zudem musste die UdSSR eine groß angelegte Umgruppierung ihrer Militärkontingente durchführen. Die neuen nicht feindseligen Beziehungen zwischen den Ländern des euroatlantischen Raums wurden in der im November 1990 unterzeichneten Erklärung "Charta von Paris für ein neues Europa" verankert.
Gorbatschows Politik war nicht nur von Altruismus und dem Wunsch nach Frieden geprägt. Der Hauptgrund dafür, dass er den außenpolitischen Kurs der UdSSR änderte, war, dass er das Wettrüsten verlangsamen wollte, das zu einer unerträglichen Belastung für die sowjetische Wirtschaft geworden war. Dies mindert jedoch nicht den Mut des sowjetischen Führers. Sich zurückhaltend zu verhalten und nicht zuzulassen, dass die Vereinigten Staaten – die der UdSSR wirtschaftlich und technisch überlegen waren – das Land in eine weitere Runde eines sich verschärfenden Wettrüstens hineinziehen, war eine Politik, die sich frühere Generationen sowjetischer Staatsoberhäupter nicht einmal vorstellen konnten.
Hungrige Falken
Gorbatschows Berechnungen schienen richtig zu sein. Im Mai 1991 erklärte George H.W. Bush, dass die Vereinigten Staaten von der Politik der Eindämmung abrücken und "die Sowjetunion in das Gemeinwesen der Völker integrieren" wollten. Damals hatte er eine Reihe von Treffen mit Gorbatschow, die das weitere Vorgehen beider Seiten maßgeblich bestimmten. Der Prozess der Stabilisierung der internationalen Beziehungen wurde fortgesetzt und im Sommer desselben Jahres wurde der START-I-Vertrag unterzeichnet, der die Atomarsenale beider Mächte erheblich einschränkte.
Allerdings waren nicht alle mit dem Verlauf der Dinge zufrieden. Trotz der Tatsache, dass viele positive Veränderungen eintraten und die Gefahr eines globalen Atomkriegs beseitigt wurde, kam Bush in den Vereinigten Staaten in die Kritik, weil er der UdSSR wohlwollend entgegentrat. Beispielsweise zögerte das Weiße Haus vor dem Augustputsch 1991 – ein Versuch sowjetischer Reaktionäre, einen Staatsstreich durchzuführen und Gorbatschow von der Macht zu entfernen –, mit Boris Jelzin, dem Präsidenten der Russischen Föderativen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSFSR), und mit seinem Gefolge in Kontakt zu treten. Im Juli 1991, wurde Michail Gorbatschow sogar zum G7-Gipfel nach London eingeladen.
All dies missfiel den "Falken" in den USA sehr – zum Beispiel dem damaligen Verteidigungsminister Dick Cheney und dem ehemaligen Präsidenten Richard Nixon –, die glaubten, dass die UdSSR, mit der ihr zur Verfügung gestellten Technologie und den großzügigen Krediten, eine noch größere Bedrohung darstellen könnte als zuvor. Diese Kreise des amerikanischen Establishments wollten die internen Probleme, die während der demokratischen Reformen in der Sowjetunion auftraten, ausnutzen und so den Zusammenbruch des Landes herbeiführen.
Allerdings zog Bush Verhandlungen mit der sozialistischen Regierung in Moskau einem bevorstehenden Zusammenbruch der UdSSR vor. Das Weiße Haus befürchtete, dass ihr Atomwaffenarsenal im Falle eines Bürgerkriegs in der UdSSR über die ganze Welt verstreut werden könnte. Bush brachte seine Position in seiner Rede am 1. August 1991 in Kiew klar zum Ausdruck – eine Rede, die anschließend von der Presse den abschätzigen Titel "Chicken-Kiew-Rede" erhielt.
Befürworter einer unabhängigen Ukraine erwarteten mit Spannung die Ankunft des US-Präsidenten in der Hauptstadt und hofften, dass er die demokratischen Tendenzen in der Sowjetrepublik unterstützen würde. Doch das Weiße Haus entschied anders. Bush erklärte, dass die Trennung der Ukrainischen SSR oder anderer Unionsrepubliken von der UdSSR unstatthaft sei. "Die Amerikaner werden diejenigen nicht unterstützen, die Unabhängigkeit anstreben, um eine weit entfernte Tyrannei durch einen lokalen Despotismus zu ersetzen. Sie werden denjenigen nicht helfen, die einen selbstmörderischen Nationalismus fördern, der auf ethnischem Hass basiert", sagte Bush während einer feierlichen Sitzung des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR.
Und dennoch brach die UdSSR wenige Monate nach dem Besuch von Bush in Kiew in sich zusammen. Etwa 23 Tage nach der Rede von Bush im Obersten Sowjet, verabschiedete Kiew das "Gesetz zur Unabhängigkeitserklärung der Ukraine", das vier Monate später durch ein Referendum bestätigt wurde. Schon bald lösten sich auch die anderen Republiken von der Sowjetunion.
Eine Welt ohne Friedensstifter
Die Ereignisse des Jahres 1991 überraschten nicht nur die UdSSR, sondern auch die USA. Über 40 Jahre lang wollten die amerikanischen Eliten den Kalten Krieg gewinnen, aber es stellte sich heraus, dass sie auf den Sieg völlig unvorbereitet waren. Die Bush-Regierung war sogar gezwungen, Gorbatschow in seinem Kampf gegen Jelzin und gegen die Führer anderer Sowjetrepubliken zu unterstützen, die bestrebt waren, die Sowjetunion aufzulösen.
Abgesehen von einigen erbitterten "Falken" wollte niemand in den USA wirklich, dass die UdSSR zusammenbricht. Das Ziel der USA bestand darin, das sozialistische System außerhalb der Sowjetunion abzubauen. Die USA waren an der Auflösung des Warschauer Pakts und des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) interessiert. Sie forderten den Abzug der sowjetischen Truppen aus den sozialistischen Ländern Osteuropas und die Einstellung der militärischen und wirtschaftlichen Unterstützung der Regierungen in Afrika, Asien und Lateinamerika durch die UdSSR.
Tatsächlich wurden alle Schlüsselfragen der sowjetisch-amerikanischen Konfrontation bereits vor 1991 und vor dem Zusammenbruch der UdSSR zugunsten der Vereinigten Staaten gelöst. In den letzten Jahren der 1980er Jahre wurden Verträge zur Rüstungsbegrenzung unterzeichnet, der Warschauer Pakt und der COMECON aufgelöst und die UdSSR begann, ihre Truppen schrittweise aus Europa abzuziehen. Im Jahr 1990 wurde der Gesetzesartikel in der Verfassung der UdSSR, über die Führungsrolle der KPdSU, abgeschafft – das "Rote Reich" war nicht mehr die "moralische Autorität" für sozialistische Regimes weltweit.
Der Zusammenbruch der UdSSR barg auch das Risiko einer politischen Instabilität für Europa – berücksichtigt man nicht nur die nuklearen, sondern auch die konventionellen Waffen, die in den sowjetischen Arsenalen verblieben sind. Zudem würde ein Zusammenbruch der UdSSR den Vereinigten Staaten einen 300 Millionen Menschen umfassenden Absatzmarkt entziehen, der durch gemeinsame Wirtschaftsketten vereint ist und ein gemeinsamer Zollraum bildet. Wenn die Sowjetunion nicht zusammengebrochen wäre, hätten amerikanische Konzerne Zugang zu ihren riesigen Öl-, Gas- und anderen Mineralienreserven gehabt. Darüber hinaus war der Erhalt der UdSSR in einem geschwächten Zustand auch für das außenpolitische Modell der USA von Vorteil. Die Sowjetunion war nicht mehr stark genug, um die Vereinigten Staaten herauszufordern, aber sie hätte ein geeigneter Partner für die Lösung globaler Sicherheitsprobleme werden können.
In den ersten Jahren nach dem Kalten Krieg hatten die Vereinigten Staaten es nicht eilig, sich selbst den Sieg zuzuschreiben und nahmen gegenüber dem russischen Staat die Haltung eines gleichberechtigten Partners ein. Laut dem Generaldirektor und Mitglied des Präsidiums des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten, Andrei Kortunow, war ein "Sieg der USA" für die Regierung von George H.W. Bush nicht so wichtig. Unter der Regierung seines Nachfolgers Bill Clinton, übernahmen die Amerikaner jedoch das Konzept einer "unipolaren Welt". Sie erklärten, sie hätten die Sowjetunion besiegt und versuchten, im Nahen Osten und in Zentralasien "demokratische" Doktrinen einzuführen.
Im Jahr 1992 schlug die Regierung von Bill Clinton einen viel aggressiveren Kurs im postsowjetischen Raum ein, festigte ihre Position als "Gewinner des Kalten Krieges" und etablierte die Vorherrschaft der USA. Unter Bill Clinton wurde die Politik der Eindämmung Russlands systematischer und intensiver. Die Vereinigten Staaten versuchten nicht nur, das Beste aus dem Zusammenbruch der UdSSR zu machen, sondern versuchten auch, die Entstehung eines auf Russland ausgerichteten wirtschaftlichen und politischen Raums im ehemaligen Sowjetimperium zu verhindern.
Übersetzung aus dem in Englischen.
Petr Lawrenin ist Polit-Journalist sowie Experte für die Ukraine und die ehemalige Sowjetunion
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