Russland

Der Flugzeugabsturz von Prigoschin: Über Verschwörungen und Konsequenzen

Die Community der alternativen Medien hat ein Video in den sozialen Netzwerken verbreitet, in dem Putin sagt, er könne alles verzeihen – außer Verrat. Die Mainstream-Medien erinnerten an Warnungen, dass das Leben von Prigoschin in Gefahr sein könnte. Beide Lager gehen davon aus, dass Putin für den Tod des Wagner-Chefs verantwortlich ist. Beides hält einer Überprüfung nicht stand.
Der Flugzeugabsturz von Prigoschin: Über Verschwörungen und Konsequenzen© Collage Andrew Korybko

Von Andrew Korybko

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin und Elite-Kader seiner Gruppe, kamen am Mittwochabend bei einem Flugzeugabsturz vor Moskau unter Umständen ums Leben, die bisher nicht vollständig geklärt sind. Bevor die weitverbreitete Verschwörungstheorie beleuchtet wird, dass Präsident Putin dafür verantwortlich ist, und die möglichen Folgen dieses Vorfalls erörtert werden, ist es wichtig, die Beziehung des Verstorbenen zum russischen Staat zu klären.

Die langjährige Rivalität der Wagner-Gruppe mit dem russischen Verteidigungsministerium geriet Ende Juni endgültig außer Kontrolle und mündete in einen Putschversuch der Wagner-Gruppe. Präsident Putin gelang es jedoch, die Krise friedlich zu beenden und begnadigte de facto die Beteiligten. Einige der Kämpfer und Kader gingen anschließend nach Weißrussland, andere reisten nach Afrika. Dieses Ergebnis stand im Einklang mit den nationalen Interessen Russlands, wurde jedoch von einigen Mitgliedern aus der Community der alternativen Medien, als Beweis für einen "inszenierten Putsch unter falscher Flagge" gewertet. Unbestreitbar ist jedoch, dass die Wagner-Gruppe weiterhin als Instrument des russischen Staates fungiert.

Prigoschin hatte in den Tagen vor seinem Tod ein Video veröffentlicht, das ihn in der Sahelzone zeigte, in dem er erklärte, er mache "Russland auf allen Kontinenten noch größer und Afrika noch freier." Der Kontext zu Afrika besteht darin, dass es in den vergangenen Jahren in dieser Region zu antifranzösischen Aufständen kam, in Form von patriotischen Militärputschen, zuletzt in Niger, das nun durch eine von Frankreich unterstützte Invasion durch die Staaten der ECOWAS unter nigerianischer Führung bedroht ist.

Die wachsende Rolle der Wagner-Gruppe, bei der Unterstützung der Staaten in der Sahelzone, bei der Wahrung ihrer nationalen Souveränität, wird von einigen Beobachtern als Grund für die angebliche Ermordung des Wagner-Chefs durch Akteure aus dem Westen gewertet. Zwar liegen noch keine Beweise vor, die diese Theorie stützen würden, doch das Treffen zwischen Präsident Putin mit Kadern der Wagner-Gruppe Ende Juni, erklärt, warum die Afrika-Operationen dieser Gruppe auch ohne Prigoschin an der Spitze weitergehen werden.

Nachdem die wichtigsten Ereignisse im Vorfeld des Flugzeugabsturzes zusammengefasst wurden, ist es nun an der Zeit, die Aufmerksamkeit auf die Verschwörungstheorie aus der Community der alternativen Medien und auf jene ihrer Gegenspieler in den Mainstream-Medien zu lenken. Im ersten Fall wurde ein Video in den sozialen Medien verbreitet, in dem der russische Präsident sagt, er könne alles verzeihen – außer Verrat. Im Fall der Mainstream-Medien wurde an frühere Warnungen von US-Offiziellen erinnert, dass das Leben von Prigoschin in Gefahr sei.

Beide Lager kommen zum Schluss, dass der russische Präsident für den Vorfall vom vergangenen Mittwoch verantwortlich ist. Wobei die alternativen Medien andeuteten, dass dies aus persönlichen Gründe geschah, während die Mainstream-Medien ihre Zielgruppe glauben machen möchte, dass es sich hierbei um einen weiteren "politischen Mord", in einer langen Reihe von vielen "politischen Morden" gehandelt hat. In beiden Fällen muss akzeptiert werden, dass Präsident Putin gelogen haben soll, als er im nationalen Fernsehen verlautbarte, er werde sein Versprechen halten. Die Beteiligten an den Ereignissen von Ende Juni, können über ihre eigene Zukunft entscheiden, ohne dass sie Angst vor staatlicher Repression haben müssen.

Darüber hinaus glauben die Anhänger beider Verschwörungstheorien, dass Putin anschließend den Tod von Prigoschin auf eine der dramatischsten Arten angeordnet hat, die man sich ausdenken kann, wobei Putin gleichzeitig unverantwortlich das Risiko einging, unschuldige Zivilisten am Boden zu gefährden, zusätzlich zu den zivilen Piloten und der zivilen Stewardess in der Unglücksmaschine. 

Es gibt zwingende Gründe, an dieser Interpretation der Ereignisse stark zu zweifeln. Zunächst einmal sind sowohl der Ausgang des Geschehens als auch die damit verbundene Optik nachteilig für die nationalen Interessen Russlands. Es ist absurd sich vorzustellen, dass Präsident Putin geplant hat, die Interessen seines eigenes Land auf diese Weise zu untergraben.

Die Eliminierung von Prigoschin und Mitgliedern des Kaders dieser Gruppe, wäre ein eklatanter Verstoß gegen das Versprechen, das er ihnen öffentlich im nationalen Fernsehen gegeben hat. Und dies könnte die Basis von Wagner, zusammen mit ihren Unterstützern in den Streitkräften und in der Zivilgesellschaft, dazu veranlassen, als Reaktion darauf über antistaatliche Aktionen nachzudenken. Diejenigen, die sich von dieser Verschwörungstheorie beeinflussen lassen, könnten sich selbst einreden, dass sie die Nächsten sein könnten, weshalb sie dann unter Umständen aus Notwehr zuerst handeln und so eine sich selbst erfüllende Prophezeiung in Gang setzen.

Es liegt hingegen im Interesse des Westens, diese falsche Wahrnehmung zu einer Waffe zu machen, um hochqualifizierte Mitglieder der Streitkräfte und ihre Sympathisanten dahin gehend zu manipulieren, dass sie als "nützliche Idioten" agieren und Russland entweder durch einen weiteren Versuch eines Putschs oder einer Meuterei, durch Terrorismus und/oder einer Farbrevolution zu destabilisieren. Auch wenn diese Szenarien nicht eintreten werden, ist die Optik immer noch sehr schädlich für den Ruf Russlands auf der Führungs- und Staatsebene.

Die Mainstream-Medien im Westen können die Spekulation, dass Präsident Putin das Todesurteil gegen Prigoschin unterzeichnet hat, maximal verstärken, um Zweifel an seiner Aufrichtigkeit zu säen, nachdem er Anfang des Sommers signalisiert hatte, dass er immer noch an einer politischen Lösung des Ukrainekonflikts interessiert sei. Dies kann auch geschehen, um die internationale Gemeinschaft über die politische Stabilität Russlands in die Irre zu führen, indem man sie fälschlicherweise glauben lässt, dass hinter den Kulissen ein blutiger Machtkampf zwischen konkurrierenden Militär- und Geheimdienstfraktionen stattfindet. 

In diesem Sinne ist jetzt der Moment gekommen, um auf die Folgen des Flugzeugabsturzes und den Tod von Prigoschin einzugehen. Beginnen wir zunächst mit dem, was wahrscheinlich nicht passieren wird, bevor wir ein paar Worte darüber verlieren, was wahrscheinlich bald folgen könnte.

Wie bereits erwähnt, werden Wagners Operationen in Afrika mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beeinträchtigt, weil es immer schon unrealistisch war, sich vorzustellen, dass Prigoschin und einige seiner Kader, Dutzende taktischer Teams in verschiedenen Ländern und in Echtzeit auf Mikroebene managten. Die Moral der Truppe könnte vorübergehend einen Dämpfer erleiden, aber sie wird sich irgendwann wieder erholen.

Es ist nicht zu erwarten, dass der in den vorangegangenen Absätzen beschriebene hybride Kriegsplan des Westens in die Tat umgesetzt wird. Aber selbst wenn es zu einer gewissen Bewegung in diese Richtung kommt, wäre die Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität Russlands beherrschbar, sodass sich niemand auf eine "Balkanisierung Russlands", einen Bürgerkrieg oder ein Regimewechsel vorbereiten sollte. Allerdings wird die laufende Untersuchung sicherlich auch klären, ob der Vorfall vom vergangenen Mittwoch auf ein Verbrechen zurückzuführen ist, einschließlich des Szenarios einer Beteiligung Kiews, möglicherweise aber auch einer Schurkengruppe innerhalb des russischen Militär- und Geheimdienstapparats.

Es ist verfrüht, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen – auch um zu vermeiden, damit als "nützliche Idioten" des Westens zu agieren, indem man entweder die Tötungen Kiew zuschreibt, für die es dann am Ende gar nicht verantwortlich ist, oder indem man Misstrauen gegenüber der Stabilität Russlands sät. Wenn, wie manche spekulieren, eine Bombe an Bord gewesen wäre, würde das hingegen eine eklatante Sicherheitslücke offenbaren. Aber selbst wenn eine abtrünnige Fraktion aus dem Militär oder Geheimdienst an den Ereignissen beteiligt gewesen wäre, besteht immer noch keine Chance, dass sie damit Russland destabilisieren.

Alles in allem ist bis jetzt unklar, was die Ursache für den Flugzeugabsturz war, aber Präsident Putin war mit Sicherheit nicht daran beteiligt. Sollte eine kriminelle Fremdeinwirkung die Ursache sein, werden die russischen Sicherheitsdienste der Sache auf jeden Fall auf den Grund gehen, auch wenn der Staat entscheiden könnte, dass seinen Interessen am besten gedient ist, wenn er dies nicht öffentlich anerkennt. Auf jeden Fall wird dieser Vorfall Russland weder destabilisieren noch seine Aktivitäten auf dem afrikanischen Kontinent oder in der Sonderoperation in der Ukraine behindern.

Aus dem in Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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