Russland: Fünf Botschaften, die es mit dem bislang heftigsten Luftangriff an den Westen sendet
Von Andrew Korybko
Das russische Verteidigungsministerium bestätigte am vergangenen Freitag, dass es in derselben Woche insgesamt 50 kombinierte Angriffe und einen massiven Luftschlag gegen eine Vielzahl militärischer Ziele in der Ukraine durchgeführt hat, darunter Standorte und Depots der Verteidigungsindustrie. Kiew gestand in der Folge ein, dass es sich dabei um den verheerendsten und schwersten Angriff dieser Art gehandelt hat, seit Russland seine militärische Sonderoperation in der Ukraine lancierte. Dies geschah, während die Front weitgehend eingefroren blieb, die westliche Unterstützung sich zunehmend zurückhielt und führende westliche Medien – wie die New York Times – darüber zu debattieren begannen, ob die Friedensgespräche zwischen Moskau und Kiew wieder aufgenommen werden sollten.
Nicht wenige waren daher überrascht, dass Russland in diesem heiklen Moment des Konflikts, in dem sich die Dinge allmählich zu beruhigen begannen, die Dinge eskalieren ließ. Zumal dieser bisher heftigste Luftangriff denjenigen Glaubwürdigkeit verleihen könnte, die behaupten, dass der Westen die Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen muss. Der zusätzliche Kontext, in dem dieser beispiellos breit angelegte Angriff stattfand, hilft Beobachtern besser zu verstehen, warum Russland diesen ausführte und welche Botschaften damit gesendet werden sollten.
Zunächst einmal räumte Russland ein, dass die Ukraine eines ihrer Landungsschiffe, das in einem Hafen in der östlichen Krim angelegt hatte, versenkt hat. Einige vermuten, dass dies darauf zurückzuführen sei, dass Kiew die Kontrolle über britische Luft-Boden-Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow, mit einer größeren Reichweite als zuvor, erlangt hat. Daher war es für Russland wichtig, mit einer überwältigenden Machtdemonstration auf diese Eskalation vonseiten Kiews zu reagieren, um das Regime von Selenskij von weiteren Eskalationen abzuschrecken, sei es mit denselben Raketen oder mit anderen Mitteln, die man ihm zur Verfügung stellt.
Zweitens hatte Selenskij seinen Streitkräften nach dem Scheitern der Gegenoffensive im vergangenen Sommer befohlen, die gesamte Front zu verstärken, worauf Russland wahrscheinlich signalisieren wollte, dass keine noch so breiten und langen Schützengräben und andere Hindernisse auf dem Schlachtfeld, das Tempo der Sonderoperation Moskaus behindern können, während sich der Kreml auf eine mögliche Winteroffensive vorbereitet. Jede Verlangsamung der Bemühungen seitens Russlands, könnte von seinen Gegnern als Schwäche und als Bereitschaft missverstanden werden, den Konflikt entlang der Kontaktlinie einzufrieren, obwohl die drei Hauptziele, die sich Moskau für die Militäroperation gesetzt hat, noch nicht erreicht sind. Bei diesen Hauptzielen handelt es sich um die Entmilitarisierung der Ukraine, die Entnazifizierung der Ukraine und die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Neutralität des Landes.
Präsident Putin hat kürzlich bekräftigt, dass er diese Ziele gerne auf diplomatischem Weg erreichen möchte, dass er aber nicht davor zurückschrecken wird, diese Ziele gegebenenfalls weiterhin mit militärischen Mitteln zu verfolgen, falls Diplomatie nicht möglich ist. Während derselben Ansprache gab er auch offen zu, dass er gegenüber dem Westen zu naiv gewesen sei. Zusammengenommen bilden diese Aussagen die dritte Botschaft, die Putin senden wollte – nämlich die Botschaft, dass er kein Schwächling ist.
Wenn die Fronten weitgehend eingefroren geblieben wären und Russland seine Luftangriffe nicht verstärkt hätte – selbst wenn kein Landungsschiff versenkt worden wäre –, dann hätte die Öffentlichkeit seinem Eingeständnis keinen Glauben geschenkt, und vermuten können, dass er gelogen hat, um spekulativ drohende Friedenszugeständnisse zu vertuschen. Diese jüngsten Angriffe dienten daher dazu, seine Glaubwürdigkeit im eigenen Land zu stärken und gleichzeitig dem Westen zu beweisen, dass es ihm tatsächlich ernst damit ist, seine drei Hauptziele auf die eine oder andere Weise zu erreichen – egal was passiert.
Die vierte Botschaft war, dass Russland möchte, dass die Ukrainer zunehmend am neuen Wehrpflichtregime des Regimes von Selenskij zu zweifeln beginnen, sowie an seine messianischen Wahnvorstellungen eines maximalen Sieges über Russland. Letzteres wurde in einer Titelgeschichte des Time Magazine im vergangenen Herbst enthüllt, unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten hochrangigen Berater, wodurch die ukrainische Gesellschaft gespalten werden soll. Selenskij versucht verzweifelt, sich der Verantwortung für das Scheitern der Gegenoffensive zu entziehen, die zu diesem unpopulären Vorstoß im Kontext der Wehrpflicht geführt hat, und der die bereits bestehenden Spannungen zwischen ihm und seinen Rivalen verschärft hat, allen voran mit dem Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Waleri Saluschny.
Diese Spannungen sind so ernst, dass ein Experte der mächtigen Denkfabrik Atlantic Council Selenskij kürzlich aufforderte, eine "Regierung der nationalen Einheit" zu bilden, um die "gerechtfertigte öffentliche Wut gegenüber den Behörden" abzumildern, was seine Herrschaft noch mehr als ohnehin schon untergraben könnte. Indem Russland den Ukrainern zeigt, dass es immer noch nach Belieben und in beispiellosem Ausmaß zuschlagen kann, wo immer es will, trotz der Einmischung des Westens, möchte Russland die ukrainische Elite ermutigen, sich gegen Selenskij zu erheben, um den Konflikt zu beenden.
Schließlich war die letzte Botschaft, die Russland mit seinem bisher größten Luftangriff ausgesendet hat, dass es den Wettlauf der Logistik und den Zermürbungskrieg mit so großem Vorsprung gewinnen wird, dass nichts, was der Westen der Ukraine in der nahen Zukunft realistischerweise zukommen lassen könnte, diese Dynamik verändern wird.
Japans Export von Patriot-Luftverteidigungssysteme in die USA, der es Washington ermöglichen wird, jene zu ersetzen, die sie in die Ukraine schicken wollen, wird keinen Unterschied machen – genauso wie nichts, was der Westen und seine Vasallen im kommenden Jahr sonst noch spenden werden.
Allein die Tatsache, dass Russland einen solchen breit angelegten Luftangriff 22 Monate nach Beginn des Konflikts starten konnte, nachdem der Westen der Ukraine bereits alle Luftabwehrsysteme zur Verfügung gestellt hat, über die er verfügte, ist der bislang überzeugendste Beweis für den Sieg Russlands über die NATO im oben genannten Wettlauf. Wäre die Hilfe des Westens wirklich so effektiv, wie ihre Wahrnehmungsmanager es darstellen, dann hätte Moskau nie einen derartig heftigen und breit angelegten Luftangriff gestartet, da Russland dann keine wertvollen Raketen und Drohnen verschwenden würde. Stattdessen schockierte und beeindruckte der Angriff die Ukraine und den Westen, was in beiden Öffentlichkeiten einen tiefen Eindruck hinterließ.
Was gerade passiert ist, ist ein Zeichen dafür, was möglicherweise passieren wird, wenn den Forderungen Russlands nach Entmilitarisierung, Entnazifizierung und Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Neutralität der Ukraine nicht nachgekommen wird. Wie Präsident Putin Mitte vergangenen Dezember sagte: "Unsere Truppen haben die Initiative. Wir tun, was wir für notwendig halten, wir tun, was wir wollen." Und das wird künftig so weitergehen, bis die drei Hauptziele, die sich Russland gesetzt hat, auf die eine oder andere Weise erreicht werden.
Aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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